Herr Gross, eben wiedergewählter Nationalrat der SP, konnte heute Morgen kaum gebremst werden, mit all seinem Lob über die Wahlen in Tunesien.
Das sei vorbildlich gewesen, fair und frei. Also fast wie bei uns. Und er fragte, weshalb solch geordnete Wahlen nicht in Russland, in der Ukraine, ja selbst „in einigen EU-Ländern“ möglich seien.
Die Tunesier sprächen halt eine Sprache, die zur Offenheit verhelfe, Französisch. Sie seien gebildet, schon von der Volksschule weg, auch die Frauen. „Tunesien hat einen hohen Massstab gesetzt, es ist ein Vorbild für die umliegenden Länder „, sagt Herr Gross den Schweizer Radiohörern.
Kurz nach diesem Hohelied des Herrn Gross auf die tunesische Demokratie lesen wir, dass die Islamisten die ersten freien Wahlen in Tunesien gewonnen haben. (Gestern war da und dort die Rede von „gemässigten Islamisten“,was immer das auch ist.)
Nun ist die Furcht vor einer islamistischen Regierung groß, vor allem unter liberalen Tunesiern. Sie fürchten einen dramatischen Wandel im Land – bis hin zu Kopftuchzwang und Alkoholverbot.
Vor allem liberale Frauen fürchten eine Machtübernahme der Islamisten. Trotz der Einschränkungen vieler Bürgerrechte galt Tunesien unter Ben Ali als eines der fortschrittlichsten Länder in Nordafrika. In keinem anderen muslimischen Staat der Region hat der weibliche Teil der Bevölkerung so viele Rechte.
Schreibt der SPIEGEL. Die weltoffenen, Französisch sprechenden Tunesier wird es wohl in Scharen übers Meer treiben.
Titus Sprenger meint
Da heisst es zum Beispiel im Spiegel: „Tunesien ist nicht das einzige Land, dessen Politik künftig stark von der Religion geprägt sein dürfte.“
Wie steht es denn mit unserem Land, dessen Verfassung wohl nicht zufällig mit den Worten beginnt: „Im Namen Gottes des Allmächtigen!“
Und warum schreit hierzulande niemand auf, wenn Parteien wie CVP und EVP zur Wahl antreten?
Mich würde gerne interessieren, wo auf dem westlichen Links-Rechts-Schema diese „gemässigten Islamisten“ verortet sind. Aber darüber weiss auch ein Spiegel nichts zu schreiben – vielleicht weil dann die Empörung keine mehr ist (?).