Ich könnte jetzt Herrn Somm zitieren und auch von Demut schreiben.
Weil auch ich mich geirrt habe.
Doch meinem Irrtum folgen nicht Bedauern oder gar Entsetzen über das Wahlergebnis in Grossbritannien, sondern grosse Freude.
Nämlich darüber, dass diese Wahlen gezeigt haben, dass «Das grosse digitale Aufrüsten» (der Titel meiner Kolumne im Mai) nur dann etwas bringt, wenn die Bürgerinnen und Bürger in ihrem Engagement für die Demokratie nachlassen.
Denn anders als bei der Brexit-Abstimmung, bei der das Leave-Lager viel Geld in Firmen pumpte, die mit speziell entwickelten Software-Instrumenten und datenbasiertem Profiling individualisierte Botschaften an Millionen von Stimmbürgern absetzten und zur Überraschung (fast) aller eine 52-Prozent-Mehrheit für den Austritt aus der Europäischen Union erzielten, verlor Theresa May ihre Mehrheit, weil kaum jemand die jungen Erstwähler und die vielen schon etwas älteren taktisch Wählenden auf dem Radar hatte.
Erst Ende Mai wurden die Medien auf die junge Welle aufmerksam: Bis dann hatten sich bereits 1 Million der 18- bis 24-Jährigen für die Wahl registrieren lassen und am letzten Tag waren es nochmals fast 250 000. 72 Prozent dieser Altersgruppe hat dann tatsächlich gewählt, vorwiegend Labour.
Gegenüber früheren Wahlen ein Plus von 30 Prozent. Bis zum Urnengang hat das Komitee «Best for Britain» über 400.000 Pfund gesammelt und damit eine Kampagne fürs taktische Wählen finanziert. Und es wurden Kandidierende unterstützt, die gegen einen harten Brexit sind.
Das heisst, sollten die Tories und rechtskonservative Kreise sich wie bei der Brexit-Abstimmung erneut auf Dataprofiling-Firmen verlassen haben, dann sind diese dieses Mal an realen Menschen gescheitert.
Zum Beispiel an den Reichen und Schönen im Londoner Stadtteil Kensington, dort wo auch der ehemalige Premier Cameron und sein früherer Schatzkanzler George Osborne wohnen. Sie schickten erstmals keinen Tory ins Parlament, sondern eine Corbyn-Sozialistin.
Mit einer hauchdünnen Mehrheit von 20 Stimmen.
Man kann also festhalten: Eine neue Wählergeneration plus taktische Wähler haben in nur einem Jahr unglaublich schnell dazugelernt. Der harte Ausstieg aus der Europäischen Union ist vom Tisch. Die Briten werden eine Art Norwegen-Status erlangen, Personenfreizügigkeit inklusive.
Oder aus reinem Unvermögen gar nichts.
Egal welchem politischen Lager man nun zuneigt: Der Aufmarsch der Jungen und der taktisch wählenden Citoyens ist eine gute Nachricht für die Demokratie.
Zum einen, weil sie sich dieses Mal selbst organisiert haben (auch via Soziale Netzwerke). Zum anderen, weil die dominierenden Boulevardblätter mit ihren Kampfparolen die Mehrheit der Jungwähler nicht mehr erreichten. Und drittens haben die jungen Briten mit ihrem Wahlverhalten gleich noch die These gekippt, wonach in Wahlen und Abstimmungen an der Rentnergeneration kein Weg vorbeiführt.
Nebst diesen Neuheiten gab es da aber noch ein altbewährtes Mittel, wie man Wahlen und Abstimmungen (auch bei uns) dreht: Diskutiere nie die Themen deines Gegners. Zwinge ihn vielmehr dazu, deine Agenda zu übernehmen. So ist Frau May letztendlich über die von Labour lancierte soziale Frage gestolpert.
Und was lernen wir? Wir können die europapolitischen Debatten gelassener angehen. Und die nächsten Wahlen könnten für einige Überraschungen sorgen. Das ist der Trend.