
Manchmal bin ich wirklich überzeugt, wir leben in der Schweiz tatsächlich in einer Parallelwelt.
Das nicht nur allgemein gefühlt, sondern konkret faktisch.
Übers Wochenende, zum Beispiel, sendet auf allen möglichen Kanälen ein ernsthaft dreinschauender deutscher Wirtschaftsminister Besorgnisbotschaften in Sachen Gasversorgung seines Landes.
Um 60 Prozent wurden letzte Woche die Lieferungen aus Russland gekürzt. „Da will ich nicht drum herumreden: Es ist eine angespannte, ernste Lage“, sagt Robert Habeck dem SPIEGEL.
Deutschland plant für den Winter einschneidende Energiesparmassnahmen.
Und was tut sich in der Schweiz?
Hier scheint die Aufregung nicht halb so gross zu sein, weil, ist schliesslich alles eine Frage der Organisation.
Oder?
Die Befehlsausgabe des Bundesrates lautet also so:
Die regionalen Gasnetzbetreiber werden verpflichtet, die Versorgung im kommenden Winter bestmöglich sicherzustellen. So müssen 15 Prozent (rund 6 TWh) des inländischen Jahresverbrauchs (35 TWh) in Speicheranlagen in den Nachbarländern gelagert werden und spätestens ab 1. November 2022 verfügbar sein. Im Weiteren müssen 20 Prozent (6 TWh) des Schweizer Winterverbrauchs in Frankreich, Deutschland, Italien und in den Niederlanden in Form von Optionen für zusätzliche Gaslieferungen zur Verfügung stehen und kurzfristig abgerufen werden können.
Das, meine Damen und Herren, ist die Schweizer Antwort auf die Habecksche Aufgeregtheit!
Weil in der Schweiz immer alles „bestmöglich“ ist – das neue Auto, der Fahrplan der SBB, die Bilateralen mit der EU, das Olivenöl im Coop.
Und die „Option“ die Conditio-sine-qua-non allen Handelns ist: Wir können, noch besser: könnten, müssen aber nicht.
Walter Steinmann meint
Und nachdem die Schweiz die Gasversorgungssicherheit zu 100% aus dem eigenen Untergrund garantiert, reicht diese „Befehlsausgabe“ des Bundesrates und alles wird gut für den nächsten Winter 😉
Aber: in der Schweiz sind wir in der Mitte einer Transitgaspipeline Deutschland – Italien, wir haben keine Gaslager und wir werden das Gas wohl nur erhalten, wenn wir dieselben Spar- und Kontingentierungsregimes in Kraft haben wie die EU, resp. D und I.
Mit der „Befehlsausgabe“ werden die regionalen Gasversorgung ermächtigt, die Zusatzkosten für Gaslager im Ausland (D,F,I) auf die Endkonsumenten abzuwälzen. Aber ob wir damit bereits genügend Gas für den nächsten Winter haben, ist fraglich.
Habeck bereitet die Deutschen auf zwei unbequeme Wahrheiten vor:
1. Gas ist knapp und wird massiv teurer (Verdoppelung bis Verdreifachung der Preise)
2. Es kann zu Knappheiten kommen, allenfalls wird die (Schwer-)Industrie nicht mehr produzieren können – das kann einen Wirtschaftsminister nicht kalt lassen.
Vielleicht sollten wir uns auch in der Schweiz mit diesen Szenarien und Wahrheiten ohne Scheuklappen auseinandersetzen, vielleicht sollten wir uns auf die dümmstmöglichen Optionen vorbereiten.
Rampass meint
Gazprom behauptet, dass Siemens fehlende Ersatzteile für den Gastransport infolge der Sanktionen nicht liefern könne. Auch wenn das nicht stimmen sollte: Habeck kann auf die Schnelle keine Gaslieferungen aus irgendwoher aus dem Hut zaubern. Gewinner ist und bleibt Putin: er kann weniger Gas zu immer höheren Preisen an den Westen verkaufen.
Die „Befehlsausgabe“ macht Sinn. Immer noch besser, als von Rahmen- und Stromabkommen zu träumen.