Von Christoph Meury*
Finanzdirektor Anton Lauber verkündete unlängst ein Maßnahmenpaket, um die Schieflage der Kantonsfinanzen, unter dem Motto «Starke Gemeinden – starker Kanton – Baselbiet vorwärts!», zu eliminieren. Autonomie soll für die Gemeinden zum Zauberwort werden. Lauber meint damit aber in Analogie nicht die schottische oder katalanische Autonomiebestrebung. Er plädiert auch nicht für ein entsprechendes Referendum.
Unser Verdacht ist daher groß, dass hier mit viel inszeniertem Tohuwabohu versucht wird bei den Gemeinden Eigenständigkeit- & Selbständigkeitsfantasien, quasi eine Autonomie ‚light’, zu wecken, um in einem undurchsichtiges Gegengeschäft kantonale Aufgaben den Gemeinden abzuschieben.
Wir lassen uns in Birsfelden nicht mehr über den Ladentisch ziehen und fordern eine radikale Autonomie. Das kann in der jetzigen Situation nur heißen, dass die Gemeinde Birsfelden wieder politisch handlungsfähig werden muss, um sich neue Aktionsräume erschließen zu können. Das geht, wenn die Finanzen ins Lot kommen. Im Klartext: Birsfelden will sich zukünftig von den 12 Gebergemeinden nicht mehr mit 6 Millionen durchfüttern lassen. Also weg von dieser Abhängigkeit.
Im Gegenzug fordert die Gemeinde das 420’479 m2 große Hafenareal vom Kanton zurück. Nur mit diesem gewinnbringenden Projekt kann sich die Gemeinde emanzipieren und in Richtung Eigenständigkeit entwickeln. Damit hätte die Birsfelden die Möglichkeit direkten Zugriff auf die Baurechtsverträge zu erhalten. Die Verträge laufen ab 2020, 2030, 2040, 2050 und 2060 gestaffelt aus. Die Zukunft steht also unmittelbar vor der Tür. Zahlreiche Firmen sind auf dem attraktiven Industrieareal aktiv, welche den Wasseranschluss nicht zwingend benötigen und es wurde auch nie laut über Verdichtungen auf Industriearealen nachgedacht. Diese «Spielräume» gilt es zu nutzen.
Im Rahmen ihrer Hafenfest-Eröffnungsrede am letzten Wochenende hat Bundesrätin Doris Leuthard gesagt: «Es macht keinen Sinn einen Hafen zu subventionieren, der Gewinne schreibt». Worauf Regierungsrat Christoph Brutschin entgegnet: «Der Hafen macht nur Gewinne, weil die beiden Halbkantone das Land zu tiefen Preisen zur Verfügung stelle».
Diese Form von Wirtschaftsförderung ist schwer verständlich. Hier werden Firmen mit attraktiven Baurechtsverträgen quasi «lebenslänglich» über niedrigste Baurechtszinsen subventioniert. Die Gewinne werden selbstverständlich den Firmen belassen. Bei dieser verqueren Art von Wirtschaftsförderung gewinnt der Kanton kaum etwas und die Firmen gewinnen alles. Man erkläre mir warum gestandene Firmen von vergünstigten Baurechtszinsen profitieren dürfen? Keine Startups, sondern global agierende und erfolgreiche Logistik-Firmen kommen in den Genuss von Baurechtszinsen um die 5.- CHF pro m2 (Jahreszins). Bei dieser Förderpolitik verliert – oder vielmehr verschenkt – das Gemeinwesen Geld. Viel Geld! Markübliche Baurechtszinse für wertvolles Industrieland bewegen sich zwischen die Jahreszinsen von 25.- bis 45.- CHF pro m2 .
Die Schweizer Rheinhäfen erwirtschaften auf dem gesamten, 1,5 km² großen Areal (Basel, Birsfelden, Muttenz) lediglich magere 8’148’989.- CHF. Davon gehen 7’740’000.- CHF als Gewinnausschüttung, respektive Baurechtszins, an die beiden Kantone.
Über 100 global agierende Firmen tätigen hier täglich ihre Geschäfte. Damit ist der Hafen und die Hafenwirtschaft keine volksnahe Wohltätigkeitsveranstaltung (wie im Hafenfest suggeriert), sondern ein hochwertiges Industrieareal mit dem Potential einer hohen Wertschöpfung. Wir gönnen diesen Firmen die guten Geschäfte. Sie importieren und exportieren Güter, welche wir als Konsumentinnen und Konsumenten für gutes Geld anschließend kaufen und konsumieren. Wir wollen parallel dazu aber auch ein Geschäft machen. Das Land darf nicht mehr zu einem Dumpingpreis zur Verfügung gestellt werden. Let’s talk about: Baurechtszinsen.
Kurz: Birsfelden will über das Hafenareal autonom verfügen. Birsfelden will das Industrieareal effizienter und effektiver bewirtschaften. Mit Baurechtszinsen soll in naher Zukunft mindestens das 5-fache erwirtschaftet werden. Ein Teil des attraktiven, rheinseitigen Areals soll als Wohngebiet erschlossen werden. Damit will Birsfelden seine Einwohnerzahl mittelfristig auf 15’000 erhöhen.
Das verstehen wir in Birsfelden unter Autonomie.
*ist Kulturschaffender und ehemaliger Leiter des Theater Roxy.
Sissachr meint
Irgendwas habe ich bei der ganzen Gemeindeautonomiegeschichte noch nicht ganz begriffen: In welchem Bereich soll jetzt die Gemeindeautonomie erhöht werden? Gehen wir mal die grossen Kostenblöcke durch:
Bei den Primarschulen könnte man die Lehrerlöhne freigeben. Die Anstellungsbehörde – nota bene heue schon die Gemeinden – könnten dann auch die Entlöhnung festlegen. Politisch ein sehr heisses Eisen.
Pflegeheimkosten/Spitex/EL (also eigentlich die gesamten Gesundheitskosten): Hier krankt es gewaltig an der Koordinationslosigkeit des Kantons. Für Gemeinden ist es derzeit lukrativer, die Spitex auf ein Minimum runterzufahren und die Leute ins Spital zu schicken. Die EL-Belastung wird via Giesskannensystem über alle Gemeinden verteilt. Hier wäre eine direkte Zuordnung auch im Sinne der Kostentransparenz gut, führt aber zu gewaltigen Minder- oder Mehrbelastungen pro Gemeinde. Was die Pflegeheimkosten anbelangt, lassen die eidg. Gesetze kaum Spielraum
Steuern und Gebühren: Hier sind die Gemeinden heute schon autonom
Umweltschutz/Raumplanung/Bauwesen: Da wünschte man sich mehr Autonomie, aber die wird der Kanton nicht abgeben wollen, da verwett ich eine Waldhüttenumbaubewilligung!
Sozialhilfe/Vormundschaftswesen: Wenig gesetzlicher Spielraum. Grauenhafte Kostenentwicklung im KESB-Bereich. Aber auch das ist wohl gegessen
Ich bin schon gespannt, was denn da so kommen soll. Übrigens wären wir heute schon gem. Gemeindegesetzt befähigt, Gemeinden zu fusionieren. Aber das möchte man in den seltensten Fällen prüfen. Kostet ja 10 Mio. und 10 Jahre Stillstand.
Sissachr meint
…. und das mit den Gebü“h“ren tut mir leid. Alte Schwäche von mir.
M.M. meint
“ …da verwett ich eine Waldhüttenumbaubewilligung!“ Grossartig! 🙂
Hp. Weibel meint
Herr Meury, ich beginne langsam an den Birsfeldern zu zweifeln. Der Gemeindepräsident hat in der heutigen Debatte um das Herzstück dessen Finanzierung bei einer allfälligen Ablehnung angeboten (leider wurde darüber nicht abgestimmt 😉 ) und Sie fordern nun das Areal vom Kanton zurück. Wie ich Sie verstanden habe, selbstverständlich in klassischer SP-Manier entschädigungslos. Aber in einem gehe ich mit Ihnen einig: Der Kanton finanziert immer wieder Firmen dadurch, dass er ihnen entschädigungslos oder zu tieferen Konditionen Geld oder Land oder beides überlässt (Messe CH lässt grüssen!)
Meury Christoph meint
@Hp Weibel: Sehen Sie, da haben wir doch bereits eine gemeinsame Schnittmenge. Wenn zumindest darin Einigkeit bestehen würde, dass auf den Hafenareal keine Firma Anrecht auf subventioniertes Land hat und dass die Baurechtszinsen endlich angepasst werden müssten (marktübliche Preise!), dann hätten wir erreicht, dass unter dem Strich für den Kanton ein mehrstelliger Millionenbetrag als Mehrertrag erreicht werden könnte. Klassische Marktwirtschaftliche Position: Optimierung der Erträge.
Wenn wir dann die Baurechtsverträge nicht einfach blind und strategielos verlängern würden, könnten wir doch immerhin schon so etwas wie ein Planungsfenster für die Zukunft freihalten.
Gehen wir jetzt (als Schlussfolgerung) noch davon aus, dass die Schweizerischen Rheinhäfen das Areal nicht optimal verwalten, müsste ein entsprechender Auftrag überprüft werden. Die Politik muss vermutlich einen klaren (und eher restriktiven) Leistungsauftrag formulieren, welcher zum Ziel hat für das Gemeinwesen einen optimale Ertrag (ich sage mal aus der Hüfte geschossen: mindestens 5x höher als bis anhin) erwirtschaften.
Zur Erläuterung: Im Auftrag der Trägerkantone Basel-Stadt und Basel-Landschaft verwalten, bewirtschaften und entwickeln die Schweizerischen Rheinhäfen die Baurechts- und Mietflächen in den Hafenarealen, deren Gesamtfläche sich auf 1,5 km² beläuft.
Die Häfen werden nach dem Landlord-Prinzip betrieben: dies bedeutet, dass das Infrastrukturmanagement einerseits und Betrieb/Umschlag andererseits nicht von derselben Organisationseinheit vorgenommen werden. Auf den Punkt gebracht: Die Schweizerischen Rheinhäfen kümmern sich um die Infrastruktur, also Strassen, Gleise, Quaianlagen, Liegestellen und Steiger, aber auch um politische und rechtliche Rahmenbedingungen. Den Umschlag und das Handling von Gütern erledigen die Baurechtsnehmer.
Diese Rolle als „Landlord“ beinhaltet z.B. Verhandlungen und Vertragsabschluss bei Neuvergabe von Baurechtsarealen oder bei Verlängerungen von Baurechten oder die Begleitung der Baurechtnehmer bei Bauvorhaben. Dazu kommt die Weiterentwicklung der Häfen als trimodaler Logistikdrehscheibe sowie die langfristige Sicherung der Entwicklungsmöglichkeiten der Hafenstandorte in Basel, Birsfelden und Muttenz.
Gerhard Schafroth meint
Lieber Herr Meury
Ihr Anliegen ist meines Erachtens berechtigt und es spricht überhaupt nichts dagegen, dass die Landräte aus Birsfelden einen entsprechenden politischen Vorstoss machen und helfen die finanzielle Stellung und die Handlungsfreiräume von Birsfelden zu verbessern.
Erlauben Sie aber, dass ich Sie auf ein – nicht ganz unwesentliches – Missverständnis hinweise, das mir in gleicher Weise passiert ist, wie Ihnen jetzt in Ihrem Text:
Die derzeit vom Finanzdirektor Toni Lauber forcierten Projekte zur „Stärkung der finanziellen Steuerung“, zur Stärkung der Gemeindeautonomie und zum horizontalen und vertikalen innerkantonalen Finanzausgleich sind alle nicht oder nur indirekt und langfristig auf das Ziel der gesunden Kantonsfinanzen ausgerichtet. Mit anderen Worten hat es der Finanzdirektor faktisch aufgegeben, die gesunden Kantonsfinanzen mit erster Priorität anzustreben. Verständlich, wer will schon vor den Wahlen mit unangenehmen Sparvorschlägen auf sich aufmerksam machen. Der Finanzdirektor hat deshalb sogar einen Restbestand an finanziellen Mitteln, die für das laufende Entlastungspaket (Ü-Massnahmen im personellen Bereich) bewilligt worden sind, bewusst – und meines Erachtens rechtswidrig – zweckentfremdet und in Verletzung des vorgeschriebenen Ausschreibungsverfahrens für externe Beratungsaufträge, die mit dem Entlastungspaket nichts zu tun haben, eingesetzt. Wir tun alle gut daran, den derzeitigen Aktivismus des Finanzdirektors unter dem Blickwinkel der finanziellen Perspektiven des Kantons im Auge zu behalten. Höchste Priorität muss die möglichst rasche und nachhaltige Gesundung der Kantonsfinanzen haben!
Gerhard Schafroth, Grünliberale Liestal