Varanasi wäre wohl für jeden Verkehrsplaner ein Alptraum. Für jeden Anhänger eines sich selbst regulierenden Marktes ist die Stadt jedoch der Beweis für den Grundsatz, dass je weniger sich der Staat in die Belange seiner Bürger einmischt, desto besser Angebot und Nachfrage aufeinander abgestimmt werden.
Nachgefragt ist in Varanasi, wie auch bei uns, das rare Gut „Strasse“.
Bei uns gilt rigorose Planwirtschaft: der Staat geht hin und zeichnet starke Linien auf den Strassenraum, stellt rigide Verkehrsregeln auf, montiert Ampeln und richtet Kreisel ein. Alle Verkehrsteilnehmer halten Abstand, beachten den Rechtsvortritt, fahren geordnet hintereinander her, warten geduldig vor den Ampeln und im Stau. Wer die Regeln nicht beachtet wird hart gebüsst.
In Varanasi würde ein derartiges staatliches Verkehrskorsett den Kollaps des gesamten Verkehrssystems zur Folge haben.
Angesichts der Knappheit an Strassenfläche hat sich der Staat weitgehend aus dem Verteilkampfes desselbigen zurückgezogen. Es gelten nur zwei Rahmenbedingungen: 1. in Indien herrscht Linksverkehr und 2. entweder wird die Strasse in beide Richtungen befahren oder es handelt sich um eine Einbahnstrasse. Es gibt kaum eine Einbahnstrasse in indischen Städten.
Haben das alle begriffen, fährt jeder drauflos.
Je nach Verkehrsaufkommen verschiebt sich die vorhandene oder gedachte Mittellinie flexibel und innert Sekunden in die eine oder andere Fahrtrichtung, mal mehr nach links, mal mehr nach rechts. Beim Kreisverkehr fährt man auf die Mitte zu und drückt sich dann schrittweise vorwärts bis man seine Bahn wieder gefunden hat. Überholt wird links und rechts oder man quetscht seinen fahrbaren Untersatz in der Mitte durch.
Und es wir gehupt, was das Zeugs hält.
Um den spärlichen Strassenraum so optimal wie möglich zu nutzen, fährt man links, rechts, vorne, hinten so dich an die anderen Verkehrsteilnehmer heran, dass vielleicht noch eine Hand dazwischen Platz fände.
Die Hand einer Mumie.
Erstaunlicherweise kommt es praktisch nie zu einem Zusammenstoss. Einen richtigen Unfall haben wir bis jetzt noch nie gesehen. Um sein Auto zumindest vorne zu schützen, setzen Varanasier auf robuste Kuhfänger. Klar, laufen hier wie überall auch noch Kühe rum. Allerdings, wer eine Kuh über den Haufen fährt, kriegt riesigen Ärger. Deshalb gilt in Indien noch eine Regel: Kühe haben immer Vortritt.
Charlie, unser Chauffeur – er ist wirklich ein guter und erfahrener Fahrer, mag der freien varanasischen Strassenbewirtschaftung gar nichts abgewinnen. „Die sind verückt“, sagt er und weigert sich, in Varanasi herumzufahren. Wir sind deshalb auf Tuktuk umgestiegen. Die Dinger kommen trotz Chaos erstaunlich rasch vorwärts.
PS apropos Staat: Wie Inside Paradeplatz schreibt, wird es im Steuerstreit eng für eine „Cantonal Bank“. In einer ersten Version haben sie den Namen der Bank noch genannt: die BKB.
Der Blog spekuliert, dass der Bank ein zweites Wegelin droht. Eine Schlüsselfigur, die zwei Jahre in den USA festgehalten worden war, hat den US-Behörden volle Kooperation zugesagt und ist danach freigelassen worden. Das wird für den Kanton Basel-Stadt eine teure Geschichte werden.
Ironie an der Geschichte: die links-grünen Obama-Jubler am Rheinknie bekommen die Steuerpolitik ihres Politstars voll in die Magengrube gedonnert. Der Mann braucht Geld, um seine Sozialversprechungen zu finanzieren, Schulden abzubauen und weltweit die Bösen mit Drohnen in Schach zu halten. Er holt es sich das Geld dort, wo es etwas zu holen gibt, zum Beispiel bei Frau Herzog in Basel. Herr Obama lebt das Shiva-Prinzip: er ist zugleich Schöpfer und Vernichter.
Herr Somm hat recht, Romney wäre die bessere Wahl gewesen, gerade für die BKB und Basel.
Markus Saurer meint
Das ist ja eine höchst interessante Betrachtung, die noch weiter vertieft werden sollten. Also weiter so! Ich plage mich derweil mit dieser Realsatire Energiestrategie 2050 herum. Es ist nicht zu fassen, wie falsch das alles ist.
Gruss, M.S.
Berger Henry meint
Heija, waren das doch noch schöne Zeiten, als man Anno 1878 im Deutschen Reich ein „Sozialistengesetz“ gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie erlassen konnten – nicht wahr? Bei Ihnen und bei Herr Somm fällt mir immer Marx‘ Satz ein: „Das gesellschaftliche Sein bestimmt das Bewusstsein“ – insbesondere bei Herr Somm kann ich mir dann gut die Tischgespräche zuhause, am elterlichen Tisch vorstellen, man wird wohl nicht immer nur wohlwollende Worte über die Arbeitnehmer der BBC, resp. ABB gehört haben….
Ich, als Arbeiterkind sehe vieles anders, stehe mit 48 Jahren politisch immer noch eher links, habe aber anders als Herr Somm keine solchen „Ängste“ gegenüber bürgerlichen Politkern, bei ihm scheint mir das fast schon manisch…
Schade, dass Sie sich bei Ihrer Indien-Reise nicht mehr von Ihrem „streng“ marktwirtschaftlichen Blick trennen konnten….
Vielen Dank jedoch für die wunderschönen Fotos und die Schilderung Ihrer Eindrücke. Ich wünsche Ihnen einen schönen weiteren Aufenthalt in Indien und eine gute Rückkehr