Mein derzeitiger Arbeitsplatz in Goa, Südindien
Als ich 1970, also vor 42 Jahren, in Goa war, da schrieb ich hin und wieder einen Luftpostbrief nachhause. Der war dann zwei Wochen unterwegs. Es wurden nur wenige Briefe hin und her geschickt.
Die Tageszeitung wurde damals von einem Zeitungsverträger kurz nach sechs Uhr morgens in den Briefkasten gelegt. Kurze Zeit später kam der Milchmann und stellte zwei Liter Milch sowie 100 Gramm Butter und sechs frische Eier in den Milchkasten, (das ist dieser unnütz gewordene Kasten, unter dem Briefkasten).
Damals gab es noch keinen Fax. Die Agenturmeldungen aus aller Welt und von den Korrespondenten aus Bern, Paris, London, New York und Berlin ratterten per Telex in die Redaktion. Die Meldungen wurden vom zuständigen Auslandredaktor nach Dienstantritt gesichtet und die von Hand redigierten, mit einem neuen Titel versehenen Manuskripte im Verlaufe des Vormittags in Satz gegeben, in den Bleisatz.
Radio Beromünster, die abonnierte Tageszeitung und die Fernsehnachrichten waren die einzigen Nachrichtenquellen zu der Zeit.
Kurz nach sieben Goa-Ortszeit gehe ich online, lese die letzten Meldungen auf SPON, WELT, beim Tagi (Fringer ist weg), aktualisiere die Feeds auf Flipboard und lese bis zum Frühstück jede Menge Meldungen und Kommentare. Um diese Uhrzeit und Längengrad sind die Amerikaner aktuell; in Europa wird noch geschlafen. Ich meine, Leute, das hätte ich mir noch vor zehn Jahren in meinen kühnsten Träumen nicht vorstellen können.
Ich bin ja durch und durch ein Kommunikationsmensch, nicht mehr von Beruf aber noch immer aus Berufung „Journalist“. Deshalb wird jeder, der Journalist mit Leib und Seele ist, für den es keine Alternative gibt, weil er nichts anderes kann als fragen, denken und schreiben, jeder Vollprofi also wird sofort verstehen, dass für mich mit der Niederkunft des Internets das Kommunikationsparadies auf Erden wahr geworden ist.
Den Fax haben die Redaktionen inzwischen abgeschafft. Die Auslandredaktionen bekommen ihre Meldungen über Nacht direkt ins Satzsystem geliefert. Sie redigieren die Artikel und setzen einen neuen Titel drüber. Fertig. Kurz nach sechs Uhr morgens legt der Zeitungsverträger noch immer die Tageszeitung(en) in meinen Briefkasten. Nicht das Internet, sondern dieser Anachronismus muss doch jedem Journalisten schwer zu denken geben.
Herr Döpfner hat recht. Ich danke Steven Jobs jeden Tag dafür, dass er uns das iPad (Tablet) gebracht hat. Das iPad hat mich von der Abhängigkeit von den Verlagen befreit. Deshalb ist es mir schnurzegal, was Herr Döpfner oder sonst irgend ein Verlagsmensch zur Lage der Medien sagt.
Es ist mir auch völlig egal, um diesen Gedanken nochmals zu unterstreichen, wie die neue Medienwelt finanziert wird. Das hat mich nämlich in den zwölf Jahren, in denen ich Journalist war (selbst als Chefredaktor), herzlich wenig interessiert.
Ich sitze hier an meinem temporären Schreibtisch inmitten dieser Parklandschaft am Meer und löse in der Schweiz mit ein paar durchaus ernst gemeinten Gedanken eine Diskussion aus (über tausend Besucher gestern, Weiterführung der Diskussion in anderen Blogs und auf Twitter) – wenn das für einen Kommunikationsmenschen nicht das Paradies ist, ja dann weiss ich nicht.
PS: Was mich die Wand hochsteigen lässt: Früher: der Zeitungsverträger hat sich verpennt; heute: Internetverbindung ist unterbrochen
Nachtrag: Dieser Beitrag zum Thema ist auch noch lesenswert: „Guter Journalismus beginnt im Kopf„, Antwort auf Herrn Schirrmacher.
Und das noch: Finanzierung des Journalismus – die falsche Debatte
merlinx meint
„… Unter Palmen am blauen Meer
ist für uns das Leben nicht schwer …“
Nein, das ist natürlich schon sehr, sehr exemplarisch, und anschaulich, getreu Ihren Motto reduced to the max.*
Möge eine sanfte Brise aus diesem Bild in viele Redaktionsstuben wehen …
(* Sphären III und Indienkarte auf Papier werden toleriert.)
M.M. meint
Die Spähren gibt es (leider) nicht digital :-), aber Danke für die Absolution. Dafür hat’s überall auf dem weitläufigen Gelände Broadband-Wifi.
Martin meint
Unnützer Milchkasten? Ach so, Sie können Ihre bestellten Waren immer direkt entgegennehmen, da sowieso daheim …
U. Haller meint
Gerade gelesen: „Übervater“ Blocher – der hatte ja in der Retrospektive in vielem Recht, was man ihm aber in weiten Kreisen nicht gönnen mag – hat zu den Printmedien eine etwas andere Meinung:
Wie schätzen Sie generell die Lage in der Medienbranche ein?
Blocher: Die Frage ist, ob die Leute auch in Zukunft noch Zeitungen lesen. Das hängt mit dem Internet zusammen, wobei ich glaube, dieser Internet-Boom sei eine vorübergehende Sache. Leute, die sich richtig informieren wollen, die lesen Zeitungen.
Aus: http://www.blocher.ch/artikel/20-jahre-nach-dem-nein-der-schweiz-zum-ewr-ii.html
Bin echt gespannt, was die Zukunft noch bringt. Habe von den Lochkartenmaschinen über den ersten PC bis hin zu den neusten Gadgets schon alles erlebt. Beim „vorübergehend“ fehlt mir aber der Glaube….
Blindtext meint
Dass der Besitzer einer Tageszeitung das Internet als vorübergehendes Phänomen betrachtet, würde mich als Angestellter besagter Tageszeitung beunruhigen. Herr Blocher mag von vielen Dingen eine Ahnung haben, vom Zeitungsgeschäft aber eher nicht.
Markus Saurer meint
Ich habe auch Freude an dieser schönen neuen Welt. Zudem ist ein Ausfall der Internetverbindung zumindest bei mir in Steffisburg kaum möglich. Ich habe Cablecom, die meisten Nachbarn Swisscom (auf sie kann ich im Notfall problemlos zurückgreifen via WLAN). Zudem gibt es noch 3 vollständige 3G Mobilnetze, und die 4G-Netze mit 100 und mehr Mbps sind mit grossen Schritten im Anmarsch. Der netzbasierte Wettbewerb, auf den das FMG im Jahr 1998 abzielte, hat voll durchgeschlagen. Für einmal eine Erfolgsstory. Gruss und viel Spass in Goa oder wo auch immer. M.S.
M.M. meint
Haben vom stotternden 3G von Airtel via Handy-Hotspot auf das Breitband des Hotels umgestellt. Jetzt läufts rund. Werde demnächst etwas über die Schnittstelle schreiben, den Ort zwischen analoger und digitaler Welt, in dem wir uns auch in Indien aufhalten.