Es ist ja immer gut, wenn man behaupten kann, die Europäische Union erpresst die Schweiz.
Weil das tönt so niedlich nach David und Goliat.
Dann werden die Kommentarspalten geöffnet und das Volk kommt aus den Löchern und poltert drauflos.
Meine Favoriten:
„Wir lassen uns nicht erpressen!“ „Die EU zeigt langsam ihr wahres Gesicht. Drohen und Macht ausüben.“ „Die Hilflosigkeit der CH Regierung in dieser Sache ist beschämend.“
Ich frage mich dann, was zum Geier sind das für Leute? Wo arbeiten die? Wie verdienen die ihr Geld? Wie stellen die sich eigentlich die Zukunft mitten in Europa, mitten im grössten Wirtschaftsraum der Welt vor?
Haben die – gemeinsam mit etlichen Politikern – das Gefühl, der Schwanz (Schweiz) könne tatsächlich mit dem Hund (EU) wackeln?
So, wie man meinte, beim Bankgeheimnis den USA dann schon noch zeigen zu können, wo der Bartli den Most holt. Und man dann erstaunt feststellen musste, dass die Amerikaner keinen Most mögen.
Offensichtlich verschliesst man in der Schweiz die Augen vor der Realität. Weil sie einen erschrecken könnte.
Das Vereinigte Königreich, immerhin die sechstgrößte Volkswirtschaft der Welt, musste nach zweieinhalb Jahren brustklopfender Sprüche und eineinhalb Jahren zermürbenden Verhandlungen einsehen, dass die EU, wenn es um Handelsbeziehungen geht, am längeren Hebel sitzt.
Qua Wirtschaftsmacht.
2017 exportierte das Vereinigte Königreich Waren im Wert von 188,5 Mia. Euro in die EU-Länder. Die Schweiz lag da bei 103 Mia. oder 53 Prozent aller Exporte (in die USA: 15.3%; nach China 5.1%).
Deutschland exportierte 2017 Waren im Wert von 85 Mia. Euro nach Grossbritannien. Der Export in die Schweiz betrug im gleichen Jahr gerade mal 5.1 Mia. Euro.
Sind die Deutschen in den Verhandlungen mit den Briten eingeknickt, weil die Industrievertreter um ihren Umsatz fürchteten?
Wie gezeigt wurde: Nein.
Der deutschen Industrie war der Binnenmarkt wichtiger als der drohende Rückgang der Exporte nach Grossbritannien.
Die unbequeme Wahrheit: Die Schweiz ist (fast) vollkommen von den Importen aus der EU abhängig: 71.42% (2017).
Kommt es bei diesem Handel zu Friktionen, leeren sich bei den Grossverteilern die Regale und die Maschinen stehen still. Der Franken saust in den Keller und Inflation durch die Decke.
Man kann das auch umdrehen, wie in den Kommentarspalten – hey, wir sind für die schampar wichtig. Die können auf uns doch nicht verzichten.
2017 exportierte die EU Waren im Wert von 3.280 Mia. Euro in alle Welt. Die Schweiz ist mit ihren EU-Importen von 117 Mia. Euro ein Fliegenschiss.
Zum selber nachlesen: CH-Statistik, EU-Statistik
Es ist an der Zeit, dass die Schweiz ihr Verhältnis zur EU endlich klärt. Das ist schon seit Monaten die Botschaft der EU an den Bundesrat und die Parteien (und an uns).
Wenn wir klug sind, dann ist das Ergebnis dieses Prozesses nicht so schmerzhaft wie für die Briten.
Wenn wir uns jedoch wie Idioten verhalten wollen, na dann halt. Die Welt verkraftet allerlei Tollereien.