Die Lohnkürzungsdebatte hat neben den Grammatik-Abschweifern, noch eine Bildungsschleife eingelegt. Können das hier auch separat diskutieren.
Leser Iha schreibt dazu:
Absolut einverstanden Manfred. Die Eltern machen den Unterschied. Daraus abzuleiten, dass das unnötiges Aufhebens gemacht wird, ist aber ein Fehlschluss. Denn darin liegt genau das Problem: Kinder bildungsreicher Eltern haben die wesentlich besseren Voraussetzungen im Bildungsmark zu reüssieren. Im Langstreckenlauf zum Schulabschluss starten sie mit einigen Kilometern Vorsprung. Tageschulen mit Betreuungsangeboten wie Hausaufgabenhilfe mindern diese Diskrepanz und schaffen für Kinder bildungsferner Haushalte bessere Bedingungen für den Schulerfolg. Lässt man den Ball allein bei den Eltern, werden fortlaufend Bildungsverlierer produziert. Das kann sich unsere Gesellschaft, deren Wertschöpfung vom Humankapital abhängt, schlicht nicht leisten. Da würde Arbeitslosigkeit auf Vorrat produziert. Klar: Nicht jeder braucht Matur. Aber: Der Fachkräftemangel beginnt bereits im Lehrstellenmarkt. Und dafür muss die Schule ihre Abgänger fit machen. Diese Aufgabe kann man nicht den Eltern delegieren.
Ich will gar nichts an die Eltern delegieren, aber im Umkehrschluss auch nicht an die Schule. Die Behauptung, Eltern produzierten „fortlaufend Bildungsverlierer“, weshalb man ihnen nicht über den Weg trauen könne, halte ich für ziemlich vermessen.
Die Gymnasiasten-Quote liegt in der Schweiz bei rund 26 Prozent. Dass halt die Mehrheit dieser Schülerinnen und Schüler aus bildungsnahen Milieus stammen – so what? So etwas wie Bildungsgerechtigkeit gibt es nun mal nicht.
Auch die Frage, ob die Schule Defizite ausgleichen kann, ist geklärt – sie kann es dies nur sehr begrenzt.
Grummel meint
Danke für’s gegenlesen.
Felix meint
Die obligatorische Schule und die Eltern sind das Eine. Das andere ist die „Verhochschulung“. Kein Witz: An der FH (ZHAW) in Wädenswil kann man „Facility Management“ studieren. WTF? Früher hiess der „Facility Manager“ schlicht Abwart und bei ganz grossen Organisationen (Spitäler, Industrie, etc.), hiess der Chef aller Abwarte irgendwas wie Leiter Unterhalt und Instandhaltung, jetzt heisst er wohl „Facility Management Director“ und dafür reicht dann wohl der Bachelor nicht mehr aus… Das Problem ist: Wir produzieren Titelträger, aber keine Know-How-Träger. Ich führe jedes Jahre über 100 Vorstellungsgespräche mit Berufseinsteigern und eines weiss ich, Zeugnisse und Titel sagen inzwischen nichts mehr aus.
M.M. meint
Das all die Titel und Weiterbildungen mehr der Domestizierung und Austauschbarkeit des arbeitenden Menschen dienen, muss sich noch durchsetzen.
Ich halte nichts davon. Weil sowieso gilt, was heute gilt, ist morgen überholt.
Die Berufswelt wird sich in den nächsten Jahren derart grundlegend verändern, dass heute eh niemand weiss, welches Wissen dannzumal gebraucht wird.
Grummel meint
Da erhebt er sich also wieder: Der hässliche Kopf des «bildungsreichen» Bürgers.
Dass der «liebe Gott» Intelligenz mit der Giesskanne verteilt, (und nicht jedes Pflänzchen gleich viel Wasser erwischt) hat sich in diesen Kreisen mittlerweile auch herumgesprochen.
Deshalb kann man nicht früh genug damit anfangen, zielgerichtet unter den «Bildungsfernen» geeignetes Personal zu selektieren und auf die Bedürfnisse des eigenen Statuserhalts abzurichten.
Die nennen das Wettbewerb (und dabei lassen wir für einmal die Mechaniker dieses Systems, die Lehrer, aussen vor) und nehmen ihre eigenen Sprösslinge explizit davon aus.
Wer soviel «geistige Apartheit» vorlebt und institutionalisiert, riskiert sehr viel.
Aber: « Meine Burg ist meine Burg ». Das haben schon andere vor denen gedacht: Und sehr selten hat das funktioniert.
Marc Schinzel meint
Wohl etwas viel Klassenk(r)ampf mitbekommen. Die immer gleiche These: Ein paar durchtriebene Erzkapitalisten steuern alles und halten sich ein Heer bedauernswerter Dumpfbacken. Obwohl uns der klassische Arbeiter seit mindestens vier Jahrzehnten ebenso abhanden gekommen ist wie der Manchester-Kapitalist.
Übrigens: Apartheid schreibt man mit weichem „d“. Dass hape ik alls Piltungspürger gelernd.
Gruss von einem Intelligenzentsorger (= Klugscheisser)
Grummel meint
Wissen Sie, Schinzel: Es sind ja nicht die «Kleinen», die sich den «Grossen» andienen.
Es sind die, die glauben, sie gehörten zu den «Grossen» und enttäuscht darüber sind, dass sie dort oben niemand hört.
«Similes simili gaudet»
lha meint
Natürlich kann die Schule nicht alle gleich machen, darum geht es nicht. Es geht darum, dass die Schule in der Lage sein kann, Chancendefizite zu verringern. In der einschlägigen Literatur aus der Bildungssoziologie gibt es dafür hinreichende, empirische Befunde (endlich weiss ich, warum ich mir das Studium angetan habe). Das ist primär eine Frage der Struktur des Betreuungsangebots. Nur als Beispiel: Ich nehme an, dass der Nachwuchs des wortgewandten Messmer-Haushalts mit guten rhetorischen Fähigkeiten ausgestattet wurde und mit einem umfassenden Wortschatz sowie der Fähigkeit zu Argumentieren eingeschult wurde. Wessen Elternhaus der Deutschen Sprache aber nicht oder nur sehr rudimentär mächtig ist, dessen Kind wird in der Schule grösste Mühe beim Spracherwerb haben. Dabei ist gerade Sprache die Schlüsselkompetenz, um in allen anderen Schulfächern (Sport ausgenommen) zu reüssieren. Wir können das ja bei nächster Gelegenheit in der Badi vertiefen.
M.M. meint
Wir müssen da gar nicht immer auf die Fremdsprachenkinder schielen. Bin der Meinung, dass Schweizer Kinder die deutsche Hochsprache bezüglich Akzent so beherrschen sollten, wie Deutsche. War kürzlich an einer Vortragsreihe. Im Mix mit Deutschen und Österreichern war es einfach beschämend, wie die Schweizer mit der Hochsprache umgingen. Gerade solche mit Uniabschluss. Dieser Mangel an souveräner Sprachbeherrschung der „Bildungssprache“ setzt sich später in der Fremsprachenkonversation fort.
lha meint
Einverstanden. Vielleicht sollten wir entweder nur noch Deutsche Lehrer einstellen oder die angehenden Lehrer noch an die Schauspielschule schicken, damit sie sich etwas souveräner und aktzentfreier ausdrücken können.
Dieter meint
Igitt, Herr M.M., soweit kommt’s noch, dass wir Standard-Siebs-Bühnen-Deutsch sprechen sollen. Grammatikalisch korrekt, semantisch treffend und verständlich soll es natürlich sein, aber die Schweizer Aussprache des Hochdeutschen ist gleichwertig mit der österreichischen oder der BR-deutschen. Meinen helvetischen Akzent gebe ich nicht auf, weder in einer politischen noch in einer kulturellen Diskussion.
Aber vielleicht meinen Sie mit „Akzent“ einfach falsche Wortwendungen oder das Zurückfallen in die Mundart: dann bin ich auf Ihrer Seite.
Nur so am Rande: Wussten Sie, welchen Effort Friedrich Dürrenmatt aufwenden musste, damit er „Morgenessen“ statt „Frühstück“ schreiben durfte?
M.M. meint
Es darf durchaus ein Helvetischer Zungenschlag hörbar sein. Die Bayern und Österreicher haben den auch. Morgenessen finde ich okay. Schliesslich haben sie in Deutschland jetzt die Strassenbahn durch Tram ersetzt. 🙂
Kurz: Die Deutschweizer sollten so gut Deutsch sprechen, wie die Welschschweizer Französisch.
Meury Christoph meint
Ausgelöst wurde die Bildungsdiskussion über den Univertrag und eine BL-Beteiligung, welche um 25 Millionen reduziert werden soll. Es geht nicht um eine höhere Finanzierung und/oder einen Ausbau der Universität. Es geht um eine massive Reduktion. Das ist ein heftiger Einschnitt ins Bildungswesen.
Den inhaltlichen Diskurs über Bildung kann man zwar führen, aber bitte nicht über’s Geld.
Dabei müsste man sich klar werden, welche Ausrichtung und welchen Stellenwert eine zukünftige Universität geniessen sollte. Gleichzeitig muss man sich vielleicht auch noch ein paar Gedanken machen, was dies für die hier ansässige Wirtschaft, oder die Gesundheitspolitik, usw. bedeutet. Die Uni ist ja nicht ein intellektueller Rastplatz & Vergnügungsraum, sondern hier werden Menschen für zukünftige Berufe, für Forschungsaufgaben und für Lehraufgaben ausgebildet.
M.M. meint
Die Diskussion muss dahin gehen, ob an der Uni Basel tatsächlich alles, was geboten wird, auch weiterhin angeboten werden soll. Der dauernde Hinweis auf die Bedürfnisse der Wirtschaft finde ich insofern amüsant, als dass man mit diesem Argument das Studium zur Pflege von Aberglauben, die Theologie, streichen kann.
Meury Christoph meint
Wenn die beteiligten Kantone sich einigen, dass die Universität Basel neu aufgestellt und ausgerichtet werden soll, dann muss die Universitätsleitung dies zusammen mit der Trägerschaft angehen und als neue, oder verfeinerte, Strategie mit entsprechenden Studien-Modulen zur Diskussion stellen. Dass jetzt Krethi & Plethi an einem Bastelbogen rumschnipseln und sich dabei eine Universität nach eigenem Gusto zusammenstellen, kann jetzt nicht der Weisheit letzter Schluss sein.
Die Rambassen stellen die Universität in der bisherigen Form zur Disposition, respektive wollen für’s Gleiche weniger bezahlen, und schon wird ein grosses Jekami gestartet. Ich bin irritiert. Vielleicht ist es die Hitze….
M.M. meint
Von der Uni hat man bis jetzt ja noch nichts gehört.
Die Sache ist die: Der Vertrag wird gekündigt und dann fängt die Diskussion an.
Dann schauen wir mal, wie sich das alles entwickelt. Die Uni wird ihren Standpunkt ausgiebig darstellen können.
Ab 2018 zahlt BL weniger.
(PS: In unserem Haus ist es im Moment lediglich 25 Grad warm, dreifach isolierte Fenster, Komfortlüftung, stark isolierte Aussenwände.)
U. Haller meint
Huch, da hast du aber den Finger auf einen wunden Punkt gelegt! Wenn man die Existenz eines Gottes leugnet, dann hat die Theologie („Studium zur Pflege von Aberglauben“, Zitat MM) tatsächlich keinen Stellenwert und keine Berechtigung mehr. Es ist in der Tat so, dass die Theologie an den Universitäten die Existenz eines Gottes, von welchem sie spricht und über den sie lehrt, voraussetzt. Man könnte nun argumentieren, dass sich diese Wissenschaft möglicherweise in einem Zirkelschluss befindet, insofern als sie – entgegen der Maxime, Wissenschaft wertfrei und voraussetzungslos zu betreiben – genau das voraussetzt, was sie als existent beweisen will. Doch dieser Beweis ist nicht vonnöten, denn für den Theologen ist diese Existenz selbstverständlich. Aber auch andere Wissenschaften besitzen solche Selbstverständlichkeiten. Die Finanzwissenschaften, die Physik (wohl die strengste aller Wissenschaften), die die wirtschaftliche und mathematische Beschreibbarkeit der Welt voraussetzen. Der Zirkelschluss kann wohl nie ganz aufgelöst werden. Ein ganz persönliches Streitgespräch wohl auch nie. Ein guter Freund, seines Zeichens Professor für Physik an einer deutschen Universität, liegt mir seit Jahren in den Ohren. Wie könne man nur Theologie studieren? Oder Geschichte? Oder Linguistik? Oder Philosophie? Das einzige, was die Menschheit tatsächlich weitergebracht habe, so sein klares Verdikt, seien die Naturwissenschaften. Alles andere soll von den Universitäten verbannt werden. Die Diskussion hält schon lange an, und sie wird wohl nicht so schnell verstummen.
Ein guter Artikel hierzu findet sich übrigens hier:
http://www.nzz.ch/wissenschaft/bildung/die-theologie-auf-rollensuche-1.17669222#kommentare