Im März habe ich geschrieben „Neutralitätsinitiative ist wichtig – danke Herr Blocher!“
In der Tat bin ich noch immer der Meinung, dass wir uns der Frage stellen müssen, wie wir es denn mit der Neutralität in Zukunft halten wollen.
Dass Schweden gerade dabei ist, seine 200-jährige Neutralität aufzugeben, was Beobachter als „ein geopolitisches Erdbeben“ bezeichnen, ich meine Schweden, auf das in Sachen theoretischer Neutralität immer Verlass war, sieht er wohl als Opfergeste gegenüber dem Zeitgeist.
Und überhaupt, diese Schweden-Sozis.
Doch die schweizerische Neutralität ist da von ganz anderer Qualität.
Oder?
Es gab und gibt noch einige – und dazu mag man Herrn Blocher zählen – die ernsthaft daran glauben, die Schweizer Neutralität sei schon immer gewesen, aber sicher seit der Schlacht von Marignano.
Was ziemlicher Unsinn ist.
Fakt ist: Sie wurde 1814/15 der Schweiz von den damaligen Grossmächten aufgezwungen. Weil man in der Mitte Ruhe haben wollte.
Doch die längste Zeit war die schweizerische Neutralität vor allem ein Geschäftsmodell mit vorzüglichen Gewinnmöglichkeiten.
Rechnet man zu all dem Schwarzgeld, dass hier seit 1934 (Einführung des Bankgeheimnisses) erfolgreich bewirtschaftet wurde, noch die völlige Unversehrtheit des Landes während zweier Weltkriege plus noch jede Menge immaterieller Werte hinzu, dann kommt man gar nicht darum herum, festzustellen: Die schweizerische Neutralität war in der Tat ein Erfolgsmodell!
Das ging so lange gut, bis der Kalte Krieg sein Ende fand, die Amerikaner Schweizer Banken verklagten und Deutschland mit der Kavallerie drohte.
Und heute bestimmt das Ausland die Steuersätze der Schweiz.
Zur gleichen Zeit bröckelte der Glaube an die „bewaffnete Neutralität“ – im Land selbst. Auch wenn die beiden GSOA-Initiativen ziemlich deutlich abgelehnt wurden.
Wir hätten in diesem Schwebezustand der Post-Bankgeheimnis-Neutralität noch einige Jahre so vor uns her leben können, ohne uns grosse Gedanken über die Zukunft desselbigen machen zu müssen, wäre da nicht dieser Ukraine-Krieg.
Über Nacht musste der Bundesrat Entscheide treffen, für die er sonst Monate, wenn nicht gar Jahre braucht. Die Schweiz musste einmal mehr Nachvollziehen, weil einem neutralen Staat offenbar nichts anderes zu tun übriggelassen wird.
Und Flugs steht Herr Blocher auf der Matte.
Man muss sich mal wieder fragen: Was will Blocher – will der die Neutralitätsdiskussion mit seiner Initiative anstossen?
Will er uns gar für einmal mit seinen Ideen bereichern?
Nein, er klaut das Thema und bestimmt den Inhalt.
Punkt.
Die Antwort ist so einfach wie durchsichtig konstant die Politik Blochers schon seit Jahrzehnten ist: Diese Initiative ist sein letztes, dafür das ultimative Abschottungsprojekt.
Diese Initiative wird in ihrer Wirkung radikaler sein, als alle bisherigen Initiativen der SVP zusammen.
Sie ist die Vollendung all seiner politischen Träume.
Denn Blocher möchte nichts weniger, als seine Vorstellung von Neutralität auf alle Ewigkeit in der Verfassung verankert wissen.
Klar wird man im Parlament und später anlässlich des Abstimmungskampfes „im Volk“ über die Neutralität und was man darunter verstehen kann, engagiert und kontrovers diskutieren.
Doch am Ende des Tages nützt das alles nichts, weil nur dieser Blocher-Text bleibt zu dem man ja oder nein sagen kann.
Blocher ist zum letzten Mal auf einer Mission, auf einer ganz grossen: Er will als der Mann in die Geschichte eingehen, der die schweizerische Neutralität gerettet hat.
Quasi im Alleingang.
Doch das allein ist noch nicht zu viel des Guten.
Darüber hinaus hätten er und seine Nachfolger mit diesem Verfassungsartikel einen Hebel, mit dem sie (rhetorisch und politisch) alles aushebeln können, was ihnen nicht passt.
Neuauflage eines Rahmenabkommens – verstösst gegen den Neutralitätsartikel. EWR dito und ein EU-Beitritt erst recht.
Sanktionen gegen China – verfassungswidrig. Sanktionen gegen Russland erst recht.
Blocher will nicht weniger, als „eine integrale Neutralität“, wie sie im 1. und im 2. Weltkrieg galt, also so wie in der Erinnerung Blochers.
Es geht demnach nicht um das, was man heute unter Neutralität verstehen könnte, sondern um das, was Neutralität damals gewesen sein soll.
Deshalb bringen wir es doch auf den Punkt: Blocher geht es nicht um Neutralität, ihm geht es allein um den Platz der Schweiz in Europa – und in der Welt.
Wow. Darunter macht es der Mann nun mal nicht.
Die Schweizer Neutralität ist eine dauernde, bewaffnete und integrale Neutralität.
(Quelle bz/chMedien, Paywall)
Dieser Satz, den er in der Verfassung verankert haben will, ist sein Hebel und das Wort „integral“ der Sprengsatz für alles, was er und seine Kameraden künftig bekämpfen werden.