Die Meldung hat mich – ehrlich gesagt – schockiert: In nur einem halben Jahr hat die „NZZ am Sonntag“ 51’000 Leser verloren und die „Neue Zürcher Zeitung“ auch gleich noch 24’000.
Man muss sich das mal vorstellen: Beim Verlagshaus NZZ sind in nur sechs Monaten 75’000 Leser einfach weg. Und die Medien verbreiten dazu lediglich eine sda-Meldung, so als sei nichts weiter passiert.
Wirklich gut im Rennen sind offenbar nur noch Gratiszeitungen. Weshalb man nicht einfach sagen kann: News auf Papier ist tot. Wenn schon muss man konstatieren: Bezahl-News auf Papier zu drucken, ist tot.
Vielleicht etwas Persönliches. Ich könnte die NZZ täglich gratis lesen, weil diese App für die NZZ am Sonntag ist irgendwie mit der Tagesausgabe verknüpft. Wer also via App lediglich die NZZ am Sonntag abonniert, bekommt die NZZ während der Woche gratis dazu.
Mein Leseverhalten? Ich lade die NZZ kaum je auf mein iPad. Weil ich deren „Qualitätsjournalismus“ meistens schon anderweitig via Onlineportal oder mit Twitter mitbekommen habe (FAZ, WELT, NYT, Süddeutsche, Spiegel etc. etc.).
Ich habe seit einem Monat hingegen wieder die BaZ als E-Paper abonniert. Auch, selbstverständlich, weil ich dort jetzt selbst jeden Freitag schreibe, aber auch, weil ich schon Monate zuvor begonnen habe, immer öfters die BaZ zu lesen. Weil die es geschafft haben, relevant zu werden.
Wer sich im Kanton einBasel für Politik und so interessiert, kann anders, als vor zwei Jahren, nicht mehr behaupten, er lese das Blatt nicht.
Gut, die BaZ hat auch weitere 6’000 Leser* verloren.
Als ich (als Mandat) noch Mitglied der Geschäftsleitung war, habe ich verschiedentlich darauf hingewiesen, wir müssten uns auf eine Auflage von 35’000 Exemplare einrichten. Damals waren es so um die 90’000 Exemplare täglich.
Was von den Besitzern nicht sehr wohlwollend aufgenommen wurde.
Was ich sagen will: Noch vor zwei, drei Jahren meinten hiesige Verleger noch, der Sinkflug der angelsächsischen Zeitungen sei deren Phänomen. Und in Basel wurde behauptet, der Sinkflug der BaZ sei auf den geänderten Kurs des Blattes zurückzuführen.
Mag ja teilweise so sein.
Doch wenn man weiss, dass der Durchschnittsleser Print so um die 60 Jahre alt ist und die Jungen zum Smartphone oder zu 20Minuten greifen, wenn sie wissen wollen, was denn so läuft, dann liegt doch die Erkenntnis näher, dass die Leser einfach wegsterben. Oder, wie ich, sich neue Infokanäle zulegen, => iPad => Twitter => Flipboard.
PS: Die irische Rockband U2 verschenkt ihr neues Album (ihre neue CD) auf iTunes. Weil sich der Verkauf von Tonträgern schlicht nicht mehr rechnet, (dafür Konzerttourneen um so mehr).
*Nachtrag 16:00 Uhr Rettet Basel macht mich über Twitter darauf aufmerksam, dass die BaZ nicht 5’000 6’000 Leser verloren habe, sondern 17’000 und zwar von 134’000 auf 117’000 (kann man hier nachlesen) . Weil die BaZ nur die neuesten Zahlen angegeben hat, habe ich mich an diese Zahl hier gehalten. Was jetzt stimmt, weiss ich auch nicht.
proMeury-Votant meint
Zwischenruf: Ob dem Blogbetreiber bewusst ist, was er so ganz nebenbei mit Christoph Meury gewonnen hat? Irgendwie schade, dass der sich so lange im Roxy verbarrikadiert hatte. (Fusionsgegner bleibe ich trotzdem. Es fehlt das Personal, das sowas konsequent durchzieht; mit dem heutigen entsteht nur Bürokratie im Quadrat)
G. Koller meint
… Und wenn es ganz still geworden ist in den Redaktionsstuben, hört man auch das heimelige Ticken des Holzwurmes wieder …
G. Koller meint
Ah, dachte zuerst an Paul Gegendiewolle und seine schluchzenden Geigen, wenn im Herbst die Blätter fallen … et l’nternet n’est pas du tout monotone …
gotte meint
ach, der heisst bei mir paul wurmwolle und wäre in der tat noch passender gewesen – feuilles mortes, welch‘ bild für unsere zeitungslandschaft…
Henry Berger meint
…wäre eigentlich als „reply“ auf Ihre Antwort „Zwischenruf vom Chef“ gedacht gewesen, irgendwie kriege ich das hier nicht hin, dass die Antwort am richtigen Ort steht
Henry Berger meint
…es handelt sich halt auch um einen interessanten Blog und keine Online-Ausgabe einer Zeitung, welche unter dem Druck steht möglichst viel Inhalt zu produzieren, der vielmals leider inhaltsleer bleibt
Henry Berger meint
…und aus Gründen der persönlichen Psychohygiene haben ich das Lesen von Online-Kommentaren bei Online-Ausgaben von Tageszeitungen praktisch eingestellt. „Die Zeit“ ist m.E. die einzige Zeitung, welche die Kommentarfunktion sinnvoll „bewirtschaftet“.
Ansonsten ist es halt der elektronische Stammtisch auf tiefstem Niveau.
Meury Christoph meint
Bevor wir jetzt die BaZ rehabilitieren und als knapp lesbar deklarieren (was ja möglicherweise damit zusammenhängt, dass wir als Kolumnist dort agieren können), sei doch noch auf die schwer erträgliche Sitte der Online-Redaktion und der Möglichkeit via Like-Button sein kurzatmiges Einverständnis oder Missbehagen zu einem Kommentar (quasi kommentarlos) der Welt mitzuteilen, hingewiesen.
Aktuell wird in BaZ-Online gerade Ständerätin Anita Fetz von Markus Melzl in seiner Kolumne «Zeigt Basel Haltung?», respektive von der Kommentar- und Like-Button Meute (aktuell mit 58 Kommentaren und über 150 Like-Hits pro Kommentar) öffentlich „geschlachtet & filetiert“ und mit Häme eingedeckt. Im Minuten-Takt nehmen die Hetz-Kommentar zu. Das ist die neue Form der BaZ-Basis-Demokratie. Degoutant!
Daher plädiere ich für einen Online-Diskurs, wie in aktuell die Tageswoche oder arlesheimreloaded.ch anbieten. Die entsprechenden Diskurse & Beiträge sind grossmehrheitlich gehaltvoll und vor allem anständig. Ich bin absolut gegen Hetzjagden.
Es braucht mehr Köpfe & Stimmen, welche öffentlich für politische Projekte einstehen und auch Menschen, welche bereit sind diese politischen Projekte zu diskutieren und entsprechend auch Red & Antwort zu stehen. Entsteht ein Vakuum weichen Menschen aus und artikulieren sich nur noch via BaZ-Hetze. Es braucht auch eine politische Diskurs-Kultur.
Man sollte aufzeigen, dass ein politischer Exkurs auch in einem gesitteten Rahmen möglich ist.
Man sollte zeigen, dass solche Exkurse auch Online stattfinden können.
Man sollte zeigen, dass Dispute (auch mit unterschiedlichen Positionen) anständig und ohne Personenattacken stattfinden können.
Die BaZ-Hetze verurteile ich!
Ich meine dazu könnte man hier auch Stellung beziehen und eine Haltung in Richtung BaZ kommunizieren, welche solche Plattformen diskreditiert.
Städter meint
Stammtische gabs schon immer, naja mit zweifelhafter Diskurs-Qualität – früher im ‚Ochsen‘, heute eher online, aber Sie wissen ja: One man – one vote. Und mal objektiv betrachtet: Welches unkanalisierten Schrott muss man sich manchmal von studierten (ja!) Zeitgenossen zu Themen anhören, wo man denkt, „oh ist das fern von jeder Realität“ ? Zu Wohnpolitik z.B., aber auch anderem. Klar, wir brauchen auch Zeitgenossen, die Verantwortung übernehmen und für Projekte einstehen, für die man gemeinhin keinen Trostpreis gewinnen kann. Und noch dies: Die Meinungen der Leserschaft bei der Tageswoche sind so hell auch wieder nicht, sondern triefen häufig von Ignoranz was ökonomische Zusammenhänge betrifft, und von ideologischer Verträumtheit. Keinen Deut besser wie Stammtischparolen. Wahrscheinlich gehören die sogar in diese Kategorie.
Franz meint
Doch doch, Online-Kommentare haben das gleiche Niveau wie das Gekritzel auf der Klo-Wand.
Da bevorzug ich doch eher das qualitativ hochstehende Piepmatz-Selfie von Geri.
M.M. meint
Zwischenruf vom Chef: Ich finde die Kommentare hier gut und lese sie mit interesse.
Städter meint
Der Verweis auf U2, und deren Vermarktungsstrategie zusammen mit Apple hat es wirklich in sich. LPs oder CDs sind Auslaufmodelle in Zeiten von itunes und Spotify, genauso wie es gedruckte Zeitungen sind, für die man bezahlen muss.
gotte meint
habe die nzz am sonntag auch abonniert und werde das abo nicht mehr erneuern. der sonntag wäre mein liebster lesetag, aber ich ertappe mich seit ca. einem halben jahr jeden sonntag, dass ich das blatt nach ca. 20 minuten gelangweilt weglege. es bleibt meist der eindruck, alles irgendwie so und anders schon mal gelesen zu haben – vor allem diese trend- und feelgood-dinge, die rezepte, die stilfragen, die gesellschafts- und geschlechterthemen: zum abdösen langweilig und irrelevant. auch die polit-primeurs bleiben zunehmend weg, auslandanalysen kann die wochen-nzz viel besser. flipboard finde ich hingegen nicht so toll: irgendwie bleibt es da beim blättern, ich vertiefe kaum je einen artikel. auch finde ich es nervig, dass unter der rubrik titelthemen dann ein thema hundertmal kommt. zur baZ: hauswirth, bangert und agnolazza nerven zu 100%, somm zu 95%, aber andere sachen sind gut.
M.M. meint
Genau so geht es mir auch. Zwischendurch schau ich mal bei der SonntagsZeitung vorbei, die ist noch schlimmer. Wenn mal was Lokales in der „Schweiz am Sonntag“ wichtig scheint, lade ich die mir als Einzelexemplar für zwei Franken aufs iPad.
Sissacher meint
Ihren beiden Kommentaren ist fast nichts hinzuzufügen, ausser: Die beiden erwähnten Sonntagszeitungen sind einfach langweilig geworden, ich war jahzehntelanger Abonnent, jetzt nicht mehr. Schlechter Journalismus. Nichts, dass meinen natürlichen Gwunder auf Neues, Unbekanntes kitzeln könnte. Ich mag nicht Reportagen über neue Kultwohnungen in Züri für 1,5 Mio. aufwärts oder über die Vorteile des neuen Bentleys lesen.
Der Sonntagsblick, über dessen Inhalt ich mich gar nicht erst äussern mag, ist aufgrund seines idiotischen Zusammenstellens der beiden Bünde nicht ohne grössere Verwirrung lesbar. Aber einen grossen Vorteil haben alle Zeitungen auf Papier: Es gibt keine Kommentarfunktion. Solange sich die Online-Redaktionen einen Deut um ihre eigenen Regeln scheren (BaZ: „Offensichtlich falsche Namen werden nicht toleriert,“ Stichwort Elias Goldstein-Mack, einen Menschen, der scheinbar nur im BaZ-Universum existiert), sich Kommentatoren nicht klar identifizieren müssen und „Gefällt-mir-Drückerkolonnen“ scheinbar ungehindert Meinungen manipulieren können (etwa aus der eigenen Redaktion?), solange tue ich mir gewisse Online-News nicht mehr an.
Cornelis Bockemühl meint
Genau! Und warum sind Sonntagszeitungen langweilig geworden? Weil sie NOCH weiter von der Aktualität entfernt sind als schon die Tageszeitungen! Und weil die Redaktionen inzwischen alle derart zusammengespart sind dass auch keine grosse Meinungsvielfalt mehr da ist – einfach mangels Köpfen!
Aber es zeigt sich doch immer mehr dass die Sache halt einfach nur logisch ist: Noch vor einigen Jahrzehnten druckten Zeitungen ein Extrablatt wenn was besonders Aufregendes passierte: sie waren damals die Quelle für „Aktualität“.
Mit Radio und später TV verloren sie diese Kompetenz. Damals gab’s schon einen massive Schrumpfungswelle; man reduzierte z.B. die zwei bzw. drei Ausgaben pro Tag auf eine. Aber man behielt noch einen Trumpf: Zeitung lesen konnte man immer und überall, während man bei Radio/TV an ein sperriges Gerät und bestimmte Zeiten gebunden war.
Und ja, jetzt haben wir halt Phase drei: Auch dieser letzte Konkurrenzvorteil fällt flach! Dass die Gratis-„Zeitungen“ sich noch etwas besser behaupten beweist für mich garnichts: Man liest die doch letztlich nur aus Langeweile, um die Zeit beim Pendeln tot zu schlagen – und die „Neuigkeiten“ sind dabei Nebensache, eh nur das was man gestern im Internet schon erfahren hat. Plus ein paar Gags und Enten, die aber auch scheinbar per Agentur verbreitet werden da sie immer überall synchron auftreten.
Dieses Mal trifft’s jetzt auch noch die Gewinner von Phase zwei (Radio und TV) – die sich jetzt durch eine neue „Radio/TV-Haushaltssteuer“ ihre davonschwimmenden Felle sichern wollen. Ich vermute aber mal dass auch das nur ein vorübergehendes Ärgernis ist, dass ihnen auch das nicht langfristig gelingen wird, und ich glaube kaum dass diese Prognose sehr gewagt ist.
Ob man’s nun mag oder nicht: Die Medienwelt ändert sich ganz von selber – ob’s einem nun passt oder nicht!
G. Koller meint
Dem kann ich nur zustimmen, seit einem Jahr verzichte ich auf die SonntagsZeitung, keine Entzugserscheinungen.
Vielleicht ein Seufzer, ein Hauch von Wehmut:
Zerflattert die Zeitung mit ihren unerhörten Berichten,
Verklungen das Echo vom schönen Leben.
Schneller Flitzer auf den Felgen ruht,
Teures Designer-Sofa durchgerittenen,
Funkelnde Kristallgläser zerkratzt,
Edler Tropfen sauer geworden.
Da hilft nur noch tabula rasa, – oder meinst du wohl, ein tablet …
gotte meint
hier ein noch etwas pötischer abgesang auf die sonntagszeitungen:
Les médias assourdissants autour de moi hurlaient.
Longue, mince, en grand deuil, douleur majestueuse,
Un journal passa, d’une souplesse fastueuse
Soulevant, balançant les opinions et les faits;
Agile et noble, avec son papier de statue.
Moi, je buvais, crispée comme une extravagante,
Dans ses mots, ciel livide où germe l’ouragan,
La douceur qui fascine et le plaisir qui tue.
Un éclair… puis la nuit ! – Fugitive beauté
Dont le regard m’a fait soudainement renaître,
Ne te verrai-je plus que dans l’ordinnateur?
Ailleurs, bien loin d’ici ! trop tard ! jamais peut-être !
Car j’ignore où tu fuis, tu ne sais où je vais,
Ô toi que j’eusse aimé, ô toi qui ne le savais pas !
G. Koller meint
Boah – ganz nicht schlecht! Ein Lorbeerkranz für gotte!
gotte meint
danke für die lorbeeren… bevor ich mich auf ihnen ausruhe und damit einen baZ-shitstorm oder sogar einen gottiplag auslöse: sie gebühren zur hauptsache dem hans schönvonluft…