Es gibt ja verschiedene Erklärungen, weshalb sich die Auflagenzahlen der Printmedien, zum Beispiel auch der Basler Zeitung, seit über zehn Jahren in einem rasanten Sinkflug befinden.
In Basel hat man eine vermeintlich schlüssige Kurzformel für das Phänomen gefunden: Rechtskurs, Blocher, Somm.*
Das ist selbstverständlich grosser Quatsch, aber entspricht durchaus dem kruden Denken eines ehemaligen SP-Nationalrats, der mit verbalen Ausfällen für fünf Minuten nach Aufmerksamkeit giert.
Wenn wir jedoch nach schlüssigen Antworten suchen, dann fallen zuallererst die Stichworte Demografie – den abonnierten Zeitungen sterben die Abonnenten weg, was nicht verwunderlich ist bei einem Durchschnittsalter der Abonnenten von 60+; Online-Konkurrenz – Facebook & Co. haben den grössten Teil des täglichen Zeitbudgets für Aufmerksamkeit geklaut; die fehlende Werbung – dank digitaler Wegelagerei können Nutzer im Internet auf Klick und Wisch überwacht und deshalb mit massgeschneiderten «Informationen» versorgt und politisch beeinflusst werden.
Ich möchte zu diesen Stichworten noch ein weiteres hinzufügen. Tageszeitungen wie die BaZ haben es vor allem deshalb schwer, ihre bisherigen Abonnenten zu halten und neue hinzuzugewinnen, weil sie sich als Daseinszweck mit einem Thema beschäftigen, das je länger, desto weniger Leute tatsächlich interessiert: die Politik.
Vor allem die lokale Politik. Das kann man beispielsweise an den tiefen Wahl- und Abstimmungsergebnissen der letzten Jahre festmachen.
Im Baselbiet haben gerade mal 31 Prozent der Stimmberechtigten an den letzten kantonalen Abstimmungen im Juni teilgenommen.
Das heisst, all die Beiträge, die über die verschiedenen kantonalen Abstimmungsthemen publiziert wurden, haben lediglich eine Minderheit der Minderheit interessiert.
Selbst eine populistische Initiative im Sinn von «Wollt ihr schönes Wetter», nämlich «Recht auf Wohnen», lockte in Basel-Stadt gerade mal 44 Prozent an die Urnen.
Selbst ein vermeintlicher Spitzenkampf zwischen links und rechts, bei dem es gemäss den Parteien im Baselbiet um Sein oder Nichtsein ging – 2013 Nussbaumer gegen Weber –, bringt unter vierzig Prozent an die Urne.
Normale Wahlen, die Aufreger schlechthin, bringen noch schlechtere Werte. Welch triste Voraussetzungen also für ein Geschäft mit einem Produkt, das am hart umkämpften Markt der Aufmerksamkeit ums Überleben kämpft.
Keine Frage also: Der Niedergang der Medien hat auch etwas mit dem Niedergang der Politik zu tun. Wenn im Landkanton über die x-te Schul-Initiative abgestimmt wird, dann interessiert das ausserhalb des bei diesem Thema noch weiter geschrumpften Politbiotops niemanden mehr.
Selbstkritisch muss man feststellen, dass der Dauerbrenner «Wirtschaftskammer-Filz» für die meisten Leser nur noch zum Umblättern ist.
Wenn sich also Politiker echauffieren, sie würden von «den Medien» ungerecht behandelt, sich gar ein amtierender SP-Regierungsrat seine Arroganz qua Amt in einer medienhetzerischen Videobotschaft zur Schau stellt, dann muss man ihnen in aller Deutlichkeit sagen: Seid froh, dass euch überhaupt noch jemand zur Kenntnis nimmt, sich noch Journalisten ernsthaft mit euren inhaltlich zumeist bescheidenen Wortmeldungen auseinandersetzen.
Die Tage der (Basler) Lokalzeitung sind gezählt. Wie das in Zukunft läuft, zeigte Tamedia in der Romandie: Le Matin hat ausgedruckt.
* Tages Anzeiger-Zahlen 2017: 18 Prozent weniger Leser im Print, 12 Prozent weniger im Web.
Zuerst erschienen in der Basler Zeitung vom 8. August 2018
Arlesheimreloadedfan meint
Jede Lebensform ist politisch und so ist auch jede Auesserung in einem Medium eine politische Haltung.
In Zeiten wo BVB – Verantwortliche Bildungsreisen um die Welt machen und Zuhause vergammelt das Trämli,ist die Aufteilung in Lokalpolitik und Weltpolitik absurd.
1978 schaltete die Weltbank noch 5 – seitige Anzeigen in der NZZ.
DAMALS war es wurscht wie viel der Abonnent bezahlt und ob jemand die Zeitung las.
Wie das Produkt ankam,vernahm der Journalist vom Besitzer,falls die Inserenten rebellierten.
Meury Christoph meint
Eine gesunde und robuste Demokratie ist auf adäquate Kommunikationsmittel, Informationsplattformen und Diskussionsforen angewiesen. Nicht nur die Zivilgesellschaft muss sich darstellen können, sondern auch die PolitikerInnen, die Politik, Interessenverbände, die Verwaltung, etc.. MM ist nicht der erste Experte, welcher uns den schleichenden Niedergang der gedruckten Presse erläutert. Die Vielfalt der Szenarien und die differenzierten Analysen bestätigen nur, was wir alle bereits wissen. Die Suche gilt den Alternativen. Oder kann die Demokratie ohne Presse auskommen? Werden zukünftige Wahlen & Abstimmungen sich auf die sozialen Netzwerke fokussieren? (und damit wiederum Viele ausschliessen). Oder kommunizieren und politisieren wir weiterhin auf einem Mix von Rumpfpresse, Twitter, Facebook, etc.? Oder wird es zum Zeitpunkt X Aufgabe des Staates sein die Kommunikation zu seinem Volk sicherzustellen? Die Tageszeitung als Service public? Oder lassen wir die Demokratie schlittern? Und überlassen die Meinungsbildung und Kommunikation dem Zufall?
Henry Berger meint
Wenn man die Zahlen des Bundesamt für Statistik anschaut, so verfängt Ihre Argumentation nicht ganz. Relativ tiefe Stimm- und Wahlbeteiligungen kennen wir seit den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts (Stimmbeteiligung an eidg. Volksabstimmungen 1950 bis 1971: zwischen 33.4% und 56.2% – in der Regel jedoch immer unter 50%)
Die Wahlbeteiligung bei den NR-Wahlen war seit 1979 immer unter 50%
Die kantonalen Zahlen sind wohl vergleichbar.
Und in dieser Zeit ging es den Zeitungen doch richtig gut – oder nicht?
M.M. meint
Ich stelle ein zunehmendes Desinteresse an Politik fest, wenn es sich nicht um Aufregerthemen handelt, die über soziale Medien gepusht werden können.
So funktionieren auch Gratismedien wie 20 Minuten, die weitgehend auf Politik verzichten.