Es ist Jahre her, dass ich zuletzt ein Buch gelesen habe. Ich meine ein solches aus Papier.
Gerhard Schwarz, früher Direktor der Denkfabrik Avenir Suisse und noch früher Chef des Wirtschaftsressorts der NZZ, hatte mir das Buch per Post zugeschickt.
Sein Buch.
Ich hab’s in ein paar Stunden durchgelesen.
Weil der Titel anspricht: „Die Schweiz hat Zukunft“, geschmückt mit der Selbstertüchtigungsunterzeile „Von der positiven Kraft der Eigenart“.
Die 162 Seiten sollen einem also helfen, Trompeter und Kavallerie in einem zu werden.
Nun gilt in der Kommunikation das Axiom, dass nicht zählt, was man in bester Absicht kommuniziert, sondern das, was beim Empfänger der Botschaft ankommt.
Nach ein paar Seiten driftete ich in diese Stimmung ab, wie damals, vor vielen Jahren, beim Lesen von J.R. von Salis „Notizen eines Müssiggängers“.
Ein Echo aus einer untergegangenen Zeit.
Man kann das Schwarz-Buch mit einem Anflug von Wehmut lesen. Sofern man, wie ich vor Jahren, von der liberalen Sache ziemlich überzeugt war.
Deshalb kommt bei mir „Die Schweiz hat Zukunft“ weniger als Aufbruch zu neuen Ufern an, als vielmehr als ein etwas melancholischer Schlussakkord auf die untergehende Welt der (FDP)-Liberalen.
Deshalb ist es lesenswert.
Weil es die Gegenwart aus einer Zeit betrachtet beschreibt, in der noch ziemlich vieles in Ordnung schien.
Als die NZZ noch Orientierung bot und die Deutungshoheit in Wirtschaft und Politik den Milizoffizieren der Schweizer Armee gehörte.
Eine Zeit also, als die FDP tatsächlich noch etwas zu sagen hatte und solches, meist Staatstragendes, mit dem Gütesiegel „Liberal“ in die kleine grosse Welt der Schweizer Politik schicken konnte.
Unterfüttert vom Hayek-Liberalismus.
Gerhard Schwarz, ganz in dieser Tradition verankert, gibt uns Tipps, wie wir es besser machen könnten.
Das mit der Schweiz.
Ein willkürzlich herausgegriffenes Beispiel – Schwarz schreibt:
Der Föderalismus ist in der Schweiz vermutlich noch mehr in Gefahr als die anderen, jüngeren Pfeiler des System s wie etwa die direkte Demokratie oder der Milizgedanke. Von den Personen unter 30 Jahren scheint gemäss Umfragen nur noch ein gutes Drittel Sympathie für ihn zu haben.
Das liberale Rezept: Fehlanreize beim Finanzausgleich eliminieren; schleichender Zentralisierung Einhalt gebieten; am Ständerat in seiner heutigen Form festhalten, da er eine wichtige Rolle gegen die Zenralisierung spielt; nur noch das auf Bundesebene enscheiden, was nationalen Charakter hat und so weiter und so fort.
Saublöd also, dass da eine neue Generation in den Parteien, in die Parlamente oder sonstwo nachrückt, die ein eigenes Bild entwickelt, wie wir unser Zusammenleben organisieren sollen.
Ich meine, 30 Prozent, das ist eine derart starke Minderheit, dass sie den Gang der Dinge verändern kann. Allein schon dadurch, dass sie an liberalen Lösungsansätze nicht mehr glaubt oder – oh Schreck – die gar nicht mehr kennt.
Diesen dreissig Prozent kommt bei „liberal“ ohnehin nicht mehr die FDP in den Sinn, sondern wenn schon die Grünliberalen.
Klar kommt sie vor, die Forderung „Mehr Eigenverantwortung, weniger Paternalismus“. Oder wie die FDP damals am Beginn ihres Abstiegs forderte „Mehr Freiheit – weniger Staat“.
Was die Linken etwas früher mit dem Schlachtruf „Macht aus dem Staat Gurkensalat“ erreichen wollten.
Aber jetzt verändert gerade Corona die Welt.
Was bedeutet, dass es der Staat richten soll, für die Gewerbler, die Beizer, die Bergbahnenbetreiber, die Coiffeuse, für die Angestellten in Büro und Betrieb.
Und auch mit ein paar Millionen für Grosskonzerne. Die Banken hat er schliesslich vor ein paar Jahren auch gerettet.
Und wenn der Staat dem Chemiekonzern nicht subito ein paar hundert Millionen für eine neue Produktion ausbezahlt, dann wird lautstark reklamiert.
Von bürgerlicher Seite.
Aus der Traum von weniger Staat und mehr Freiheit.
Weil heutzutage mehr Staat Freiheit bedeutet. Die Freiheit zum Beispiel, wieder auf der Terrasse sein Bier zu geniessen.
Oder die nächsten Ferien zu buchen, mit Freunden und Bekannten zusammen sein zu dürfen.
Weil der Staat den Impfstoff gegegen Covid besorgt und gratis an alle Bürgerinnen und Bürger verteilt.
Ich kann’s nur wiederholen: Die Welt nach Corona wird eine andere sein, als vor Corona.
Die Weichen werden gerade eben gestellt.
Keine Frage: Das ist ein kluges Buch, von einem klugen Mann mit sehr viel klugen Ideen.
Gut möglich also, dass das Buch von Gerhard Schwarz einfach zu spät kommt.
mrs meint
Ein Buch in Papierform lesen ist immer gut. Auch wenn es nur noch Melancholie aufleben lässt. Zurück in der Corona Realität hat manches Buch nur noch Melancholie-Charakter. Joel Dicker Bücher spielen da aber keine Rolle. Es ist reine Unterhaltung. Oder Haruki Murakami – „Wovon ich rede, wenn ich vom Laufen rede“. Auch dieses Buch ist zurück in der Realität kein Aufwachen. Man kann bestens laufen, während der Corona Zeit. Man kann sogar einen virtuellen Corona-Marathon laufen. (Je l’ai fait). Haruki hat mir höchstens Tipps gegeben, was man nicht tun soll, wenn man einen Marathon laufen will. Das ist aber auch nicht Corona Realitäts-Relevant. Corona-Freiheit wird richtigerweise nicht nur bei uns vom Staat diktiert. Das Rahmenabkommen wird gar vom Bundesrat monopolisiert, was aber weniger gut ist. Ich sage schon lange, wir sind bereit. Wir wollen abstimmen. Macht Euren Job in Bern, handelt bessere Lösungen für den Streit um die 3 Knackpunkte aus, unterzeichnet das ergötzliche Vertragswerk, sodass die SVP nach dem Durchwinken durch die beiden Kammern, das Referendum ergreifen kann! Denn, wir wollen endlich abstimmen, und dezentral entscheiden, ohne Föderalismus, wo wir hin wollen. Das haben die Briten getan, und wir wollen das nun endlich auch. Aber in Bern wird weiterhin gebummelt. Ist aber der Föderalismus dem Untergang geweiht? Ich denke nicht. Wir bekommen bald ein Impfzertifikat. Damit kann es los gehen, mit Konzerten, Parteiveranstaltungen und Fussballspielen. Lockerungen kommen auf uns zu, und das Leben wird wieder beginnen. Die Impfungen sind föderalistisch kantonal organisiert. Das Baselland ist schneller als Basel-Stadt, erstaunlicherweise. Der Föderalismus wird zu früh als untauglich abgeschrieben. Es sind sicherlich sehr junge Wähler, die damit nichts mehr anfangen können. Sind sie etwas älter, werden sie begreifen, was Föderalismus ist. Die Grünen sind auf dem Vormarsch. Bei denen ist Föderalismus ein Teil ihrer Identität. Bei der SP ebenfalls, und auch bei den Mitteparteien. Der Ständerat wird uns noch lange erhalten bleiben. Es gibt keine direkte oder indirekte Partei mit nur einer Kammer. Aber wie schon gesagt, es lohnt sich immer, Bücher in Papierform zu lesen. Auch wenn eine Partei mit sich selber kämpft, und in Erinnerungen schwelgt.
Chienbäsebärti meint
Was sollte der schon „im Schilde führen“? — da ist nichts. Sogar den Reset Knopf hat der vernuscht- Der könnte zu den Gedanken von +Franz Blankhard führen, zurück in eine Zeit als die FDP noch…. aber lassen wir das.
Gregor Stotz meint
Lieber Manfred, du schreibst:
„Eine Zeit also, als die FDP tatsächlich noch etwas zu sagen hatte und solches, meist Staatstragendes, mit dem Gütesiegel “Liberal” in die kleine grosse Welt der Schweizer Politik schicken konnte.“
Aber wo ist die FDP heute? Die Schweiz hat ein dringendes Problem: Wir müssen unser Verhältnis mit unseren Nachbarn (d.H. EU) klären und auf einen vernünftigen Nenner bringen. Aber ich weiss wirklich nicht was unser Aussenminister im Schilde führt. Eigentlich wäre dies einer seiner Kernaufgaben (und nicht ein Treffen zwischen Biden und Putin zu organisieren) Du hast sicher einen besseren Einblick in die FDP und die Gedankengänge von Herrn Cassis. Wieso geht er nicht nach Brüssel (kai Lust?) Kannst du mir weiterhelfen?
M.M. meint
Vielleicht erleben wir einen Blocher/Kaiseraugst-Moment.
Falls ja, dann war es gut, dass der SVP-Mann alleine hinfuhr.
Ich meine, was immer kommt, ein SVP-Mann trägt jetzt alle Verantwortung.