Eine der interessantesten Abstimmungen seit Langem ist diejenige über die Abschaffung des Eigenmietwerts für Rentner. Was unter dem harmlosen Sozialtitel „Sicheres Wohnen im Alter“ im Alter läuft, ist ein erstes und ernsthaftes Kräftemessen der Generationen. Die Abstimmung ist deshalb so interessant, weil das Resultat erstmals eine konkrete Momentaufnahme – jenseits von Stimmungsumfragen – über das Kräfteverhältnis der Generationen liefern wird.
Denn abgesehen vom Mutterschaftsurlaub gab es bis anhin noch keine Abstimmung zugunsten einer exakt definierten, exklusiven Bevölkerungsgruppe, (lasse mich von der Leserschaft durchaus eines Besseren belehren). Bemerkenswert ist nicht nur dieses Faktum, sondern dass die Betroffenen, also bald einmal ich, wählen können, ob sie den Eigenmietwert beibehalten oder, je nach Belastungslage der eigenen Immobilie, ihn individuell abschaffen möchten. Das jährliche Steuersahnehäubchen bildet der vorgesehene Unkostenfixabzug.
Es handelt sich also um eine Steueroptimierungsvorlage für Häuslebesitzer.
Obwohl die Rentner lediglich einen Bevölkerungsanteil von 17,2 % ausmachen, gehen diese 1‘365‘429 Personen überdurchschnittlich oft an die Urnen: Im Schnitt beträgt ihr Mitmachanteil über 40 %. Oder noch anders ausgedrückt: Von den 65+-Jährigen beteiligen sich jeweils über 70 % an Wahlen und Abstimmungen, von den 18- bis 39-Jährigen jeweils um die 30 %. (Zahlen über den Daumen gepeilt aufgrund Erfahrungswerte bei Umfragen.)
Um es – wie immer hier – ziemlich drastisch auszudrücken: Sollte diese Abstimmung über die Abschaffung des Eigenmietwerts für Rentner angenommen werden, dann markiert dieser Abstimmung den Beginn einer Gerontokratie schweizerischer Ausprägung. Dies wird zur Folge haben, dass die Parteien künftig auf die Alten und nicht mehr auf die Jungen setzen werden. Letztere sind zwar deren Zukunft, Erstere sichern jedoch die Pfründe. Jetzt.
PS: Na klar doch, habe ich der Vorlage zugestimmt.
Klaus Kirchmayr meint
Eines ist sicher. Das Pendel wird zurückschwingen und die Jungen werden zurückschlagen. Oder wie war das damals noch, 1968 oder 1980….?? Nur wird es beim nächsten Mal dann nicht mehr um die freie Liebe oder ein AJZ gehen, sondern um Existenzielles. – Hier wird mit dem Feuer gespielt.
P. Rinderknecht meint
Ich bin erst 43 stimme aber auch für die (Alten), in der hoffnung das bis in ein paar Jahren der Eigenmietwert für alle fällt.
M.M. meint
Das ist auch ein rationaler Abstimmungsgrund, dem ich mich durchaus anschliessen kann, bei der nächsten Abstimmung, (schön mal wieder von Ihnen zu hören/lesen).
Henry Berger meint
Wobei sich die meisten Gruppen immer irgendwie überschneiden, d.h. es gibt autofahrende, rauchende Jesuiten und schwangere, weibliche Arbeitnehmer, welche Hausbesitzer sind. Keine Überschneidung gibt es jedoch zwischen Alten und Jungen, hier sagt ganz einfach das Geburtsdatum ob man zu dieser oder jener Gruppe gehört – insofern haben Sie in diesem Punkt schon recht, das „Alter“ als Kriterium schliesst automatisch einen grossen Teil der Bevölkerung aus (oder ein), ohne jegliche Möglichkeit für generationenübergreifende „Koalitionen“, es ist eigentlich fast wie die Hautfarbe oder die Religion und vielleicht deswegen auch entsprechend „gefährlich“??
M.M. meint
Das Neue für mich liegt darin, dass es hier erstmals konkret um eine einzelne Bevölkerungsgruppe geht, die sich allein durch das Alter (und Besitz) von der übrigen Bevölkerung unterscheidet. Wie Sie richtig bemerken, schliessen Kategorien wie „Raucher“, „Frauen“, „Bauern“ ja alle Bevölkerungsschichten ein, sind also altersunabhängig (okay, Schwangere als Ausnahme plus Geschlecht).
Wenn Sie so wollen, handelt es sich um ein erstes demographisches Kräftemessen. Ich denke, die Senioren-Rentner-versus-Jung-arbeitend-Frage wird zum Topthema der nächsten 20 Jahre werden. Deshalb bin ich auch so gespannt, welches Resultat dieser erste Testlauf bringen wird.
Übrigens – wenn ich jetzt so um die 16 Jahre rum wäre, würde ich mir überlegen, ins Bestattungsbusiness einzusteigen. Wenn die Babyboomer ab 2030 ins Ewige-Jagdgründe-Alter kommen, wird dieses Business boomen. 🙂
Henry Berger meint
Folgende Initiativen habe sich mit „besonderen“ Bevölkerungsgruppen befasst: „Ja zu fairen Mieten“ 18.5.2003, (Mieter) „Gegen Erhöhung Rentenalter Frauen“ 26.11.2000, (Frauen), „Kleinbauern-Initiative“ 4.6.1989 (Bauern), Mieterschutz, 25.09.1977 (Mieter), Wählbarkeit von Bundesbeamten in den NR, 11.6.1922 (Beamte). Wenn man dann noch Arbeitnehmer als exklusive Bevölkerungsgruppe nimmt, so gibt es X Abstimmungen (44 Std-Woche, Mitbestimmung etc. etc.). Diverse Initiativen befassen sich mit Autofahrern (autofreie Sonntage, div. Autobahnen [gegen/für Bau]), nicht zuletzt haben die Männer der „eklusiven“ Gruppe der Frauen das Stimmrecht zugestanden. Wenn man nun noch schaut, gegen welche speziellen Gruppen sich Initiativen wenden, so wird es fast unheimlich: Militär (Rothenturm, Abschaffung Armee), Ausländer/Asylanten, schwangere Frauen (Abtreibung), Gläubige (Trennung von Staat und Kirche), Absinthtrinker, Banquiers, Jesuiten, Juden etc. etc. etc. Eigentlich befasst sich der grösste Teil der Initiativen mit einer „exklusiven“ Bevölkerungsgruppe. Nicht zuletzt an diesem Wochende die Gruppe der Raucher!
M.M. meint
Sehr schön. Man bedankt sich.