Irgendwie hatte ich gestern einen Déjà-vu-Moment, vor der Glotze, als sie unseren Finanzminister zu der von ausländischen Regierungen geplanten Erhöhung der Unternehmenssteuern in der Schweiz befragten.
Seine Antwort tönte so ähnlich, wie diese berühmte Feststellung einer seiner Vorgänger: „An diesem Bankgeheimnis werden…“
Herr Maurer meinte: Das sei noch lange nicht so weit, auch andere Länder wehrten sich auch dagegen…
Allerdings schien es, dass er dann doch kurz vor dem „Zähne ausbeissen“ zurückschreckte und meinte, wenn in der Schweiz die Unternehmenssteuern raufgesetzt müssten, dann müsse man halt andere Standortvorteile in den Vordergrund rücken, wie Stabilität, Verfügbarkeit von Fachpersonal, Lebensqualität et ceterapipi.
Und, schob er noch nach, man müsse dann halt prüfen, ob man andere Steuern senken könne, zum Beispiel die LSVA oder DIE CO2-ABGABE.
Gut, Herr Maurer wird nicht mehr im Amt sein, wenn das mit der Unternehmenssteuer gelaufen ist. Er wird dann den Hut nehmen, wenn der Bundesrat dem Rahmenabkommen zustimmt.
Ein Abgang mit Knall und unter Applaus der SVP.
Aber bleiben wir beim CO2-Gesetz. Darüber wird das Schweizer Volk am 13. Juni abstimmen. Vorgesehen sind höhere Abgaben auf fossile Brennstoffe, mit denen Klimaschutzmassnahmen finanziert werden sollen.
Muss man Ueli Maurer nun so verstehen, dass er gewillt ist, sich um die direktdemokratische Volksmeinung – das CO2-Gesetz wird deutlich angenommen, keine Frage – einfach foutieren will?
Wenn sich die Umstände ändern?
Womit wir bei der heikelsten aller schweizerischen Frage sind: Sind wir mit der direkten Demokratie nicht an einen Endpunkt anbelangt, weil auf die komplexen Herausforderungen der tempogeladenen Welt eine Ja- oder Nein-Antwort an einem Sonntag im Herbst einfach nicht mehr taugt?
Das Beispiel Unternehmenssteuern zeigt doch, dass nicht mehr die Stimmbürger das letzte Wort haben, sondern ausländische Regierungen und Machtblöcke.
Nochmals das CO2-Gesetz. Die Schweiz kann das auch ablehnen. Ein Entscheid, der für ein paar Monate Geltung haben wird.
Doch dann wird die Schweiz die europäischen Vorgaben unter dem Titel „Level playing field“ übernehmen müssen, weil ein Land mit einem niedereren Umweltstandard als die EU keine kommerziellen Vorteile haben soll.
Was eben auch für die Unternehmensbesteuerung gilt.
Aber bleiben wir ruhig im Inland.
In den letzten zehn Jahren hat sich in Sachen AHV gerade einmal etwas getan, weil die Frage deren Finanzierung mit der Unternehmenssteurvorlage verknüpft wurde.
Obwohl alle wissen, dass die Pensionen und AHV-Bezüge so wie heute nicht mehr zu halten sind, tut sich ansonsten gar nichts.
Weil die Politiker und -innen auf Bundesebene immer dann, wenn sie „Skin in the game“ zeigen müssten, also etwas riskieren müssten, zum Beispiel die Wiederwahl, zur gäbigsten aller Ausreden Zuflucht nehmen:
„Dem wird das Volk nie zustimmen.
Woraus man schliessen muss: Die direkte Demokratie taugt nicht für einschneidende Systemänderungen.
Das direktdemokratische System scheint eines für Schlafwandler, die erst dann kurz mal aufwachen, wenn die Weichen im Ausland gestellt werden.
Ohne ihr Zutun.
Wie beim CO2-Gesetz, den Unternehmenssteuern, in Menschenrechtsfragen, Datenschutzrichtlinien, technischen Normen, Marktzugängen, Forschungsprojekten, Herkunftsschutz und so weiter und so fort.
„Eigentlich müssten wir mal ernsthaft über den Sinn der direkten Demokratie reden“ – fast schon eine Nebelspalter-Provokation.
Sissachr meint
Man müsste noch die „Schwarmintelligenz“ einwerfen. Oft hat die Mehrheit rückblickend – vorab bei sehr komplexen Fragen – Recht, auch wenn es am Tag der Entscheidung der falsche Entscheid schien.
Phil Bösiger meint
Dumm nur für die wackeren Bio-Eidgenossen, die immer noch an die Insel Schweiz glauben. Das Beispiel CO2-Abgabe zeigt, über welche Vorlagen wir künftig noch verbindlich abstimmen werden.
Da werden wir uns auf dem Niveau des Entscheids über die Farbe des Bodenbelags der Mehrzweckhalle oder über das Einheitsräppli an der Basler Fasnacht bewegen.
Alle anderen Abstimmungen mit auch nur ansatzweise internationalem Bezug werden bestenfalls Petitionscharakter haben.
Ich finds nicht schön, aber es wird nicht besser, wenn wir einfach unseren Kopf in das Schwinger-Sägemehl stecken und vom Rütlischwur träumen.
Und jetzt dürfen die Rechten wieder munter gegen die CO2-Abgabe trommeln. Vielleicht hörts ja einer – irgendwo.
Vor dieser Realität ist das Rahmenabkommen ein klarer Gewinn für unser Land. Besser ein wenig mitreden als komplett überfahren werden. Es war schon immer eine gute Strategie für den Kleineren, den Kuchen von innen auszufressen…..
M.M. meint
grandios!
Patrick Loeb meint
klare Kante für den realistischen Blick!
Jörg Schild meint
Lieber Manfred Messmer, ich verstehe Ihre leicht resignierende Frage. Es geht mir ähnlich. Aber letztlich ist es doch im Berufsleben wie auch in der Politik dasselbe. Der Chef oder das Volk sagen WAS man will. Das WIE wird jedoch den operationell Tätigen überlassen. Und dabei kommt es letztlich auf die Fähigkeiten der Betreffenden an, wobei man einen CEO rascher entlassen kann als einen unfähigen Exekutivpolitiker. Deshalb trotz Ihrer verständlichen Frage: Solange wir einen solchen Bundesrat wie zur Zeit „besitzen“ wünsche ich mir soviel Demokratie wie möglich…. Mit leicht resignierenden Grüssen Jörg Schild