Lese im Moment (unter anderem) „Wiedersehen mit den Siebzigern“ von Ulrich Raulff, ein, ich gebe es zu, für mich wohliger nostalgischer Rückblick.
Ich meine, so einen Satz versteht nur der, der damals dabei war, weil in diesem einen Satz unsere/meine damals völlig neu entdeckten Kontinente lagen:
Lag es daran, dass sie sich alle nach der Lektüre von Hermann Hesse und Carlos Castaneda auf die Schriften des englischen Schulreformers A. S. Neill gestürzt hatten?
Carlos Castaneda mit seinem „Die Lehren des Don Juan“ und all den folgenden Bücher hat mein Leben stärker beeinflusst als die drei Jahre Handelsschule. Und Hesses „Siddartha“ und „Der Steppenwolf“ markierten die beiden Rollen, in denen ich damals aufging.
Ich meine ernsthaft.
Zu der Zeit ging ich Samstag für Samstag einkaufen. Bücher. Bei Helbing und Lichtenhahn, später Jäggi und dann im Antiquariat des Dr. Koechlin und hin und wieder bei einem weiteren Antiquar in Zürich, dessen Namen mir entfallen ist. In der Tat in Buchhandlungen, wo grosse Privatbibliotheken ein Auffangbecken fanden, „in denen unendlich gelehrte Kenner über verstaubte Schätze wachten“.
Meist waren es ältere Männer von einer gewissen Verschrobenheit und Säuerlichkeit. Die meisten von ihnen hatten irgendwann ein geisteswissenschaftliches Studium abgebrochen und nach dem Abschied vom Lebensziel des Akademikers sich für den Typus des Connaisseurs entschieden. Wie alle Menschen ihres Schlages kommunizierten sie am liebsten mit ihresgleichen. Gespräche mit offenkundigen minores, wie junge Studenten es waren, führten sie knapp, belehrend und mit allen Anzeichen der Herablassung.
Klar habe ich mehr gekauft als danach gelesen.
Heute muss ich für Bücher nicht mehr aus dem Haus. Ich lese sie nur noch E-Books. Ich bin nicht so versessen auf Papier. Auch weil ich noch nie eines dieser Bücher weggeworfen habe. Weshalb es schlicht keinen Platz mehr hat, für Neuerwerbungen. E-Books sind ungemein Platz sparend.
G. Koller meint
„… ungemein platzsparend“, – das ist ja noch der am ehesten einleuchtende Effekt. Über weitere, zweifellos eintretende Auswirkungen, zB auf die Kulturtechnik der Erinnerung, der Bewusstseinspflege etc. kann nur spekuliert werden.
Vielleicht eine generelle Entsinnlichung beim Prozess des Lernens, ein Verlust des Verständnisses des unmittelbaren Zusammenhangs zwischen der Information und dem Trägermedium.
Vorbei mit dem Buch als quasi primäre Materialisation des Wissens, in weiche, verzierte Tierhäute gebunden die Jahrhunderte überdauernd.
Berührend aber der Nachruf auf diese untergegangenen Tankstellen für wissensdurstige Leute jeden Alters, amüsant die hochkommende Erinnerung an die verwinkelte, stubenartig beleuchtete Taschenbuchabteilung bei H&L.
Castaneda – im Rückblick unerklärlich, wie wir auf diesen zwar spannend erzählten, aber letztlich zusammengelogenen Ethno-Eso-Kitsch abgefahren sind, – er gehört wohl eher zu den „Schurken jener Zeit“, wie es im Werbetext zu Ulrich Raulffs Buch heisst, wenn Leben und Werk zusammen betrachtet werden.
Neill dagegen mag ich heute noch, er bleibt mir auf immer eine väterliche Alternative …
Wenn schon Indianer, dann lieber das Buch der Jean Liedloff, „Die Suche nach der verlorenen Kindheit, Gegen die Zerstörung unserer Glücksfähigkeit in der frühen Kindheit.“ Ein Buch, das damals zurecht beliebt wurde, wie ich meine.
Überhaupt könnten noch ein paar andere Namen aufgeführt werden, so bin ich gespannt auf das Buch von Raulff, ich habe es mir gleich besorgt, Papier natürlich.
Und Hesse. Den „Siddhartha“ habe ich vor paar Wochen nach vielen, vielen Jahren wieder mal und zwar einigermassen skeptisch zur Hand genommen. Aber ich war angenehm überrascht, vor allem durch die einfache, fast hymnische Sprache, von weit her gesungen. Das Thema, das Aussteigen, nun gut, das war damals auch so eine salopp herumgereichte Metapher der Unzufriedenheit. Bei Hesse aber ist ein in indisch-chinesischen Weisheitlehren verankerter Archetyp dargestellt, für viele Morgenlandfahrer der sechziger und siebziger Jahre von einiger Anziehungskraft.
Ein Buch sollte noch erwähnt werden, Tom Wolfe, „The Electric Kool-Aid Acid Test“, zwar aus den sechziger Jahren, grundlegend, wenn man wissen möchte, wo und wie alles begann, und zum Verständnis vieler Hippie-Missverständnisse …
Hans Kummer meint
Und diese zerlesenen Exemplare von Sloterdijks Sphären… 🙂
M.M. meint
Den dritten Band hatte ich auf unserer Indienreise mit dabei, in der Papierausgabe. Gutes Kontrastprogramm.
U. Haller meint
Wem sagst du das! Hier: schätzungsweise 4000. Gefühlte Anzahl: weit mehr. Abstauben: jährlich. Und keines kommt weg, doch viele wären damals, bei der widerlichen »Aktion wider den undeutschen Geist« dem Feuer anheimgefallen. Das darf man nie vergessen.
Doch was später? Diese Frage treibt mich schon lange um….