Wir leben ja mit der Illusion, die direkte Demokratie bedeute Freiheit. Weil wir, das Volk, selbst über unser Schicksal entscheiden können.
Oder zumindest über die Spielregeln innerhalb unserer Staatsgrenzen.
Doch die direkte Demokratie ist neben Wilhelm Tell der zweite Mythos, an dem die Schweiz krankt.
Lassen Sie mich kurz ausholen.
Diktatoren, wie beispielsweise Putin oder Lukaschenka, aber auch Möchte-gern-Führer wie Trump setzen auf Zermürbung.
Sie setzen darauf, dass die Menschen eines baldigen Tages resignieren und von da an die Leute an der Spitze einfach machen lassen.
Weil, was immer man auch tut, es läuft am Schluss auf dasselbe hinaus: Es ändert sich nichts.
Womit wir bei unserer direkten Demokratie wären: Über was wir wie auch immer abstimmen, ist im Grunde genommen egal.
Wir simulieren direkte Demokratie, weil wir alle zusammen genau wissen: Ist der Abstimmungssonntag erst mal vorbei, ändert sich – vielleicht etwas oder auch nicht.
Meistens.
Oder es geht gleich wieder von vorne los.
Veranschaulichen lässt sich das mit der Unternehmenssteuerreform.
Die Nr. 1 von 1997 ging ziemlich glatt über die Bühne. Die Nr. II wurde 2008 in einem Referndumsentscheid angenommen. Die Nr. III wurde 2017 vom Volk abgelehnt. die Nr.IV, oder Reform 2017, wurde dank einem AHV-Sidekick 2019 deutlich angenommen.
Und dann dachten alle, jetzt haben wir für ein paar Jahre Ruhe.
Vor dem Ausland.
Weil freiwillig, aus Einsicht, machen wir eh nichts.
April, April!
Das Theater geht wieder von vorne los, weil sich die, welche auf dieser Welt etwas zu sagen haben – also nicht wir Direktdemokraten – auf einen Mindestsatz für alle Länder geeinigt haben.
Und die Schweiz muss ihr Unternehmenssteuersystem erneut ändern.
Nach nur mal zwei Jahren seit der letzten Abstimmung.
Das Reformtheater beginnt wie immer mit einer Kakophonie: Verbände, Parteien, Unternehmen, Lobby-Gruppen; Moderate Lösung gesucht, wo bleibt der Widerstand?!, Widerstand ist kontraproduktiv, den Konzernen Sozialbeiträge erlassen, andere Faktoren sind wichtiger, Einkommen über 200’000 werden zu hoch besteuert, Arbeitsmarkt flexibilisieren und so weiter und so fort.
Und überhaupt: die anderen.
So wird es die nächsten zwei, drei Jahre weitergehen.
Hat irgendjemand „aus dem Volk“ Lust, sich an dieser Diskussion nochmals zu beteiligen, wo doch schon alle Argumente durchgekaut sind?
Nein, das glaube ich nicht.
Also warten wir einfach – resigniert – mal ab, weil es läuft, wie es immer läuft: Irgendwann im Jahr 2026 oder so liegt eine kompromissgeladene Vorlage vor, gegen die das Referendum ergriffen wird.
Die Schweizer Direktdemokraten werden zustimmen, weil das Land bereits für die graue Liste vorgemerkt ist.
Und die anderen?
Delaware ist der Heimatstaat von Biden, die Briten mit ihren Offshore-Häfen haben einen Flugzeugträger nach Asien geschickt und die Niederländer und Iren sind in der EU.
Noch Fragen?
Henry Berger meint
Was bei der Mindeststeuersatz-Diskussion etwas untergeht: Diese Anpassung stellt m.E. die Schweiz nicht vor so grosse Probleme, – unsere Steuersätze sind nicht so meilenweit von diesen neuen Minima entfernt – wie der andere Teil der Steuerreform: Gewinne sollen inskünftig nicht mehr dort versteuert werden, wo sie buchhalterisch ausgewiesen werden, sondern dort wo der entsprechende Umsatz generiert wird. Man kann sich vorstellen, wie wenig der Umsätze z.B. Nestlé in der Schweiz generiert.
Linder Karl meint
Niederländer und Iren sind quasi die Freunde der CH, Bollwerk gegen allzu grosse Änderungen, die uns ansonsten blühen könnten.