Wer die tektonischen Verschiebungen im transatlantischen Verhältnis allein Trump zuschreibt, greift zu kurz.
Auch wenn nicht er, sondern sie gewählt worden wäre – am Grundproblem hätte sich nichts geändert: Die USA und Europa entfernen sich in einem Tempo voneinander, das wenig Raum für gemeinsame Interessen übrig lässt.
Wenn man die europäische Welt mit amerikanischen Augen betrachtet.
Die unbequeme Wahrheit ist: Europa hat mit Blick auf die Zukunft schlechte Karten. Das zentrale Problem Europas ist die Demographie. Laut dem Brüsseler Thinktank Bruegel wird die EU ab 2026 in eine Phase des schrumpfenden Bevölkerungswachstums eintreten – ein Wendepunkt mit weitreichenden sozialen, politischen und militärischen Folgen.
Während nördliche und westliche Länder wie Deutschland und Frankreich durch höhere Zuwanderung ein moderates Bevölkerungswachstum verzeichnen, schrumpfen die Bevölkerungen in südlichen und östlichen Staaten teilweise dramatisch.
Bis ins Jahr 2050 sollen die Länder in Eurasien (z. B. China, Russland, Deutschland, Japan) etwa um 200 Millionen Menschen im erwerbsfähigen Alter schrumpfen.
Bis 2100 sollen es über 300 Millionen weniger sein (UN-Zahlen).
Demgegenüber verfügen die USA auch langfristig über ein robustes demografisches Fundament, das wirtschaftliches Wachstum, militärische Schlagkraft und politische Stabilität garantiert; die USA sind die einzige Grossmacht, deren Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter (25–49 Jahre) im 21. Jahrhundert wachsen wird.
Die Kurzformel für die USA lautet im Gegensatz zu der europäischen: jung, innovativ, wirtschaftlich stark und mit globalem Handlungsspielraum.
Deshalb stellt sich für die USA angesichts eines zunehmend geschwächten Europas nicht erst seit Trump eine strategische Grundsatzfrage: Lohnt es sich noch, die liberale Weltordnung um jeden Preis zu verteidigen – inklusive der Lasten und Kosten für die europäischen Sicherheitsgarantien – oder ist es realistischer, sich auf eine multipolare Welt einzustellen, in der Washington nicht mehr automatisch das Zentrum bildet?
Für „Foreign Affairs“ (lesenswerte Analyse: „The Age of American Unilateralism“) ist die wahrscheinlichste Entwicklung jedoch eine dritte: Die USA entwickeln sich zu einer „rogue superpower“ – zu einer aggressiven, mächtigen Nation, die zunehmend eigennützig handelt.
Die zentralen Aussagen der Analyse:
- Die USA haben die Macht, unilateral zu handeln: wirtschaftlich dominant, militärisch überlegen, geopolitisch unabhängig.
- Ihr liberaler Führungsanspruch stammt aus der Zeit des Kalten Kriegs, doch dieser Kontext ist überholt.
- Viele einst geschützte Verbündete sind heute sicherheits- und wirtschaftspolitisch schwach, während Rivalen wie China und Russland von der liberalen Ordnung profitierten und sie nun aktiv untergraben.
- Die Globalisierung hat zu inneren Verwerfungen geführt: Industrieschwund, soziale Spaltung.
- Der Binnenmarkt ist grösser als der von China und der Eurozone zusammen.
- 90 % der internationalen Finanztransaktionen laufen über den Dollar.
- Die USA sind weniger exportabhängig als andere Volkswirtschaften (nur 11 % des BIP kommen aus Exporten).
- Die USA können rund um den Globus militärisch eingreifen.
Die USA stehen an einem Wendepunkt – weiterhin globale Verantwortung oder destruktiver Einzelgänger?
Wie auch immer: Europa muss handeln.
Die Schweiz erst recht.
Herrmann Elig meint
“schrumpfendes Bevölkerungswachstum”. Um nicht zu sagen: eine ansteigende Bevölkerungsabnahme.