In diesen Wochen spielt sich, von den Medien und damit auch von der Öffentlichkeit völlig unbeachtet, geradezu Ungeheuerliches ab: Die Schweiz ist der EU beigetreten.
Digital.
Weder Bundesrat noch Parlament haben über den Beitritt debattiert. Vielmehr: Ausser ein paar Beamten, die sich in Bundesbern damit beschäftigen, hat im politischen Machtzentrum der Schweiz das kaum jemand mitbekommen. Deshalb muss man von einer Revolution reden, die da eben stattfindet.
Unternehmen und Private haben, alle demokratischen Prozesse ignorierend, den autonomen Nachvollzug eines der weitreichendsten Brüsseler Gesetze eingeleitet.
Die Rede ist (erneut) von der EU-Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO), die am Freitag in Kraft tritt.
Weil es sich nicht um eine Richtlinie, sondern um eine Verordnung handelt, ist sie für alle EU-Staaten verbindlich. Und auch für die Schweiz, d.h. für alle im Internet präsenten Unternehmen, Parteien, Verbände und auch Private. Denn wer eine Website hat, sammelt Daten nicht nur im Inland, sondern auch in der EU. Und sei es nur mit einem Cookie, das im Laptop eines EU-Bürgers platziert wird. Wer gegen die DSGVO verstösst, kann jederzeit vor irgendeinem europäischen Gerichtshof verklagt werden.
Das weiss beispielsweise die Firma Miele, von der wir vor Jahren den Backofen und den Geschirrspüler gekauft haben. Die haben irgendwann mal die E-Mail-Adresse meiner Frau abgespeichert.
Am Sonntag(!) wurde sie angeschrieben: «Wir bei Miele begrüssen ausdrücklich, dass der Gesetzgeber die Vorgaben für den Umgang mit Verbraucherdaten erneut präzisiert hat. Den Rahmen hierfür liefert die sogenannte Datenschutz-Grundverordnung, die am 25. Mai EU-weit in Kraft tritt. Um auch dieser neuen Gesetzgebung gerecht zu werden, bitten wir Sie nun um Ihr ‹Ja›, dass wir zu den oben genannten Themen weiter per Brief oder E-Mail in Kontakt miteinander bleiben können.»
Miele Schweiz hat ihren Sitz in Spreitenbach und wir wohnen bekanntlich in Arlesheim.
Tragisch ist die Geschichte eines Baselbieter Start-ups, das wegen der DSGVO vor dem Aus steht. Die vor drei Jahren von zwei Studienkollegen gegründete Firma hat eine IT-Lösung für die Mitgliederverwaltung von Firmen entwickelt, eine kostengünstige, clevere Lösung, weshalb der Erfolg auch im EU-Raum nicht ausblieb.
Dass Daten des Start-ups in der Schweiz gespeichert werden, ist nun der Killer.
«Wir können uns einfach keinen Anwalt leisten, der für unsere Kunden in der EU einen wasserdichten Datenschutzvertrag ausarbeiten kann», schilderte mir einer der Gründer die aktuelle Situation. Die Baselbieter schlittern am Freitag in ein Haftungsrisiko rein, das sie nicht tragen können.
Und was tun die Wirtschaftskammer, die Handelskammer, der Gewerbeverband oder der Arbeitgeberverband, um diesem und anderen Unternehmen beizustehen? Nichts. Die Verbände haben noch nicht mal erkannt, dass sie selbst mit ihren eigenen Websites nicht mal den Minimalstandard eines zeitgemässen Datenschutzes erfüllen.
(Die Wirtschaftskammer verstösst mit ihren Adresssammlungen ganz klar gegen die DSGVO, siehe Miele.)
Um es nochmals zu unterstreichen: Ohne dass der schweizerische Gesetzgeber etwas zu sagen hatte, ersetzt ab diesem Freitag der EU-Datenschutz das 1992 eingeführt und zuletzt 2010 angepasste schweizerische Datenschutzgesetz.
Die Politik muss nichts mehr nachvollziehen.
Michael Przewrocki meint
Brauchts eigentlich Bewilligung für Schwimmbad im eigenen Garten?
M.M. meint
Ist das öffentliche Becken in Arlesheim
Michael Przewrocki meint
Der Kaufhauserbe durfte ja das unterirdische Schwimmbad neben Dom nicht bauen, jetzt ist er in der Innerschweiz. War mal dort durch Richtung Ermitage wandern. Dazu gäbts eine Geschichte. Aber nicht öffentlich.
Felix Werner meint
Lieber Manfred
Für einmal muss ich Dir – was ich äusserst ungern und selten tue – widersprechen. Der Gewerbeverband Basel-Stadt hat allen Mitgliedern zugängliche Informationsveranstaltungen zum Thema DSGVO durchgeführt, sie via Verbandsmedien über die anstehenden Veränderungen informiert und wo nachgefragt, auch persönlich beraten. Und unser Datenmanagement sowie unsere Website werden die ab 25. Mai geltenden Anforderungen ebenfalls erfüllen.
Henry Berger meint
Die Schweiz ist de facto ein EU-Mitglied.
Die Schweiz lebt seit dem Abschluss der bilateralen Verträge m.E. mit einer Lebenslüge.
Schauen Sie mal z.B. ein schwedisches Gesetz an, welche sich mit Regelungen der EU befasst: In der Regel hat man dort einfach noch den Zusatz „und Schweiz“ angebracht. So heisst es dann z.B. …dies gilt für alle Bewohner der EU und der Schweiz.
Man kann ja über die SVP und AUNS geteilter Meinung sein, aber immerhin hat es dort Menschen, die diese de-facto-Mitgliedschaft „gecheckt“ haben und nun (aus ihrer Sicht) konsequenterweise die Kündigung der bilateralen Verträge fordern.
Am anderen Ende des Meinungsspektrums „Verhältnis Schweiz/EU“ gibt es dann wiederum Menschen die es auch „gecheckt“ haben und dann konsequenterweise (den aus ihrer Sicht richtigen) EU-Beitritt fordern um endlich mitreden zu können.
Ich habe keine Ahnung wie die EU sich weiterentwickelt, es könnte aber durchaus sein, dass die Schweiz einmal mehr mit der abwartenden Haltung Glück hatte.