Die letzten beiden Wochen habe ich zusammen mit einem Anwalt und dem Treuhänder einen Unternehmer durch den Konkursprozess seiner Firma begleitet. Mehrere Dutzend Mitarbeitende haben ihren Job verloren. Es waren nicht mangelnde Innovation, fehlender unternehmerischer Sachverstand oder krasse Fehlentscheide in der Vergangenheit, die zu diesem Aus geführt haben.
Nein, die hatten eigentlich alles richtig gemacht. Die Produktion erreichte nach einer Übernahme wieder die kritische Grösse, um auch nach der ersten Frankenaufwertung mithalten zu können. Die Qualität der Produkte überzeugte den Fachhandel und bis im Januar auch die Kunden. Doch dann hat die Nationalbank die Frankenuntergrenze freigegeben und damit war das Unternehmen am Ende.
Praktisch über Nacht blieben die Bestellungen des ebenfalls unter Druck stehenden Schweizer Fachhandels aus. Mit der günstig gewordenen Importware und den Preisen in Deutschland konnte das Familienunternehmen nicht mehr mithalten. Ein typisches Beispiel einer Firma, die erst auf dem Radarschirm der Medien auftaucht, wenns vorbei ist.
Ich hatte in den letzten beiden Wochen reichlich Gelegenheit, mit verschiedenen Insolvenzexperten über die aktuelle Wirtschaftssituation zu reden. Die übereinstimmende Meinung: Es wird ein sehr kalter Herbst werden. Praktisch alle Unternehmen, die für ihre Produkte nur in geringem Umfang Rohstoffe und Zubehör aus dem billig gewordenen Ausland beziehen (Importpreis-Jahresindex aktuell –6,1 Prozent), stehen dicht an der Absturzkante.
Wer sich im Inland eindecken muss, kann keine Aufwertungsgewinne weitergeben.
Den Rest gibt diesen KMU der Budgetposten «Löhne und Gehälter». In Branchen mit Gesamtarbeitsverträgen werden die Gewerkschaften zu Totengräbern der Unternehmen, weil die satt gewordenen Funktionäre aus lauter Gewohnheit auch dann noch über die gesamte Branche hinweg neue Forderungen stellen, wenn es im einzelnen Betrieb schon längst nichts mehr zum Verteilen gibt.
Wer in der Schweiz Arbeitsplätze in KMU-Betrieben erhalten will, muss ein Tabu brechen und darüber diskutieren, ob nicht die Löhne sinken müssen. Zur Erinnerung: In Basel lag die Jahresteuerung im Juli bei minus 1,3 Prozent. Was bedeutet, dass die Leute auch beim Einkauf in der Schweiz mehr für weniger Geld bekommen. Wie in den Jahren zuvor, will beispielsweise Baselland auch jetzt dem Preisindex folgen und die Löhne um ein Prozent kürzen.
Viele wollen den Zusammenhang nicht sehen: Die tiefen Preise in Deutschland entsprechen weitgehend dem dortigen Lohnniveau, das deutlich tiefer ist als in der Schweiz. Nun bin ich nicht der Meinung, man müsse den Baslern das Einkaufen jenseits der Grenze verbieten. Schliesslich geht auch hier Eigenverantwortung vor staatlicher Regulierung.
Nur, wer mit seinem höheren Schweizer Einkommen in Deutschland den Krösus spielt und meint, das habe auf Dauer keine Folgen für seinen Arbeitsplatz, ist ein ausgemachter Dummkopf.
Nicht wenige werden diesen Zusammenhang im Herbst auf die ganz harte Tour begreifen lernen.
Was ihnen bevorsteht, ist nicht allein Arbeitslosigkeit, sondern eine staatlich festgelegte Kürzung des Einkommens. Meistens auf Dauer. Denn viele, die nach ein paar Wochen wieder einen Arbeitsplatz finden, werden ihr früheres Einkommen nicht mehr erreichen. Weshalb ich mich korrigiere: Die Löhne müssen nicht sinken, sie werden sinken.
Zuerst erschienen in der Basler Zeitung vom 12. August 2015
Markus Schöpfer meint
Ja, man kann dieser Meinung sein.
In der BAZ auf der selben Seite war ein Kommemtar zu Balmer und die Verweigerung, den Tatsachen in die Augen zu schauen. Wie ich immer sagte ist der Mist unter Balmer passiert! Wenn man nun die Löhne kürzt, müssen die Steuern fast zwangsläufig erhöht werden, um nicht weiter rückläufige Steuereinnahmen zu produzieren!
Sie sind pensioniert und haben gut lachen! Wir müssen die Kröte schlucken, nicht Sie!
M.M. meint
Ich bin seit dreissig Jahren selbstständig. Deshalb hatte ich – rückblickend – eigentlich immer gut lachen. (Arbeite noch immer und zahle AHV.)
boerne meint
Herr Schöpfer, Sie haben vollkommen recht was Herr Ballmer anbelangt. Wir waren ja auch alle „irritiert „über die Honoraräffare in der er als ehemaliger Regierungsrat und Finanzdirektor verwickelt war. Dass er die Honorare zurückzahlen musste ist ja eine Sache, aber was wurde eigentlich aus der strafrechtlichen Untersuchung des Staatsanwaltes aus Zürich? Gibt es da Resultate?
Marc Schinzel meint
Dabei wäre es doch ganz einfach: SP-Nationalrätin Susanne Leutenegger Oberholzer und der Chefökonom des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes, Lampart, forderten schon zur Zeit der Euro-Untergrenze von Fr. 1.20 , dass die Nationalbank doch bitte schön einen Euro-Frankenkurs von 1.40 durchsetzen solle. Dieses Ziel verfolgen sie noch heute. Das nötige Geld würden die SNB-Maschinen Tag und Nacht ganz von selbst drucken, da bräuchte man nicht einmal viel Personal dafür. Vergesst die Höhenfeuer. Das ist der wahre helvetische Patriotismus. Unser Land kontrolliert die internationalen Währungsparitäten im Alleingang (auch gegenüber dem US-Dollar). Die Schweizer Wirtschaft alimentiert sich selber. Wir sind autark. Es lebe die neue Anbauschlacht.
Grummel meint
Will ja nicht klugscheissen, aber wenn ich mich nicht täusche, schreibt es sich: «… während des Rests des …».
Kann aber auch falsch sein (vielleicht meldet sich ja auch noch Wiedemann zum Thema), denn «Schriftsätze sind Auslegungssache», meint Herr Frehner.
M.M. meint
Ich habe in meinem Leben schon derart viele Deutschfehler gemacht, da kommt es auf einen weiteren auch nicht mehr drauf an. 🙂
Habe trotzdem mit Schreiben einen sehr guten Schnitt gemacht. Unter dem Strich.
Strunkyboy meint
Jedenfalls haben Sie, werter MM, weder in der Schule noch im ‚Rest des Lebens‘ die Kommaregeln gelernt.
M.M. meint
Hurra, ein Klugscheisser!
Genau das zeichnet den guten Schweizer aus: keine Ideen, aber hallo: die Kommaregeln!
Tilman meint
Interessante Schlussfolgerung. Die Löhne in D sind zu niedrig und CH soll beim race to the bottom mitmachen? So cool Du im Allgemeinen hier schreibst, aber Du musst Dir ja auch keine Sorgen mehr um Nichts machen. Du bist raus aus der Tretmühle. Da schreibt sich sowas leicht.
M.M. meint
Der Punkt ist doch der, dass gesagt wird, dass die Schweizerische Nationalbank mit ihrer Euro-Untergrenze die KMU subventioniert hat.
Weiter gedacht kann man auch sagen: die Schweizerische Nationalbank hat mit der Untergrenze auch die Löhne der Arbeitnehmer gestützt.
Mit dem Wegfall dieser Subvention sehen wir jetzt, dass die Löhne für das produzierende Gewerbe zu hoch sind.
Ergo gibt es zwei Möglichkeiten: die Leute werden arbeitslos oder die Löhne gehen runter.
Das tönt hart, weil die Schweizer sich nach 70 Jahren Aufschwung und Sorglosigkeit (gemessen am übrigen Europa) einfach nicht vorstellen können, dass es wieder mal nach unten gehen kann.
PS: Schade, dass das Bloggen so aus der Mode gekommen ist, weshalb es auch keine Bloggertreffen mehr gibt 🙂
Tilman meint
Naja, wenn der Franken noch stärker wird, dann können selbst im Dienstleistungsmarkt ausländische Mitbewerber sehr erfolgreich in der Schweiz agieren. Und dann werden die Auswirkungen auf die Volkswirtschaft sehr spürbar werden.
Bloggertreffen gibt es tatsächlich nicht mehr so oft, aber einen Kaffee gibt’s für dich immer in München. 🙂
M.M. meint
Ah, im München war ich kürzlich, bevorzuge dort aber eher ein Mass.
Chienbäse-Bärti meint
Eine interessante Einschätzung, wenn auch etwas einseitig. Wenn die Löhne schon sinken (müssen/sollten), müssten auch die Lebenshaltungskosten beträchlich reduziert werden. Beispüielsweise die Wohnkosten um mindestens die Hälfte, die Gesundheits(vorsorge)kosten um drei Viertel.
Wenn nicht, müssen halt die Arleser und Pfäffiger den Finanzausgleich noch besser alimentieren, damit Birsfelden, Pratteln (und andere Gemeinden) ihre hohen Sozialausgaben stemmen können.
M.M. meint
Es fällt offenbar den Schweizern sehr schwer, sich vorzustellen, dass man den gewohnten Lebensstil nicht wird aufrecht erhalten können.
Es gibt Branchen, z.B. Medien, da sinken die Löhne schon seit Jahren kontinuierlich. Nur schreibt darüber niemand.
Was wir auch erleben werden: Es werden wegen der hohen Löhne Stellen einfach überflüssig gemacht. Zum Beispiel die Kassiererinnen in den Einkaufszentren. Wer arbeitet heute noch im Backoffice-Bereich der Banken?
Isaac Reber meint
kleine Korrektur: Pratteln gehört heute zu den Topzahlern beim Finanzausgleich.
Meury Christoph meint
Ein anderer Ansatz: «In Bildung zu investieren eröffnet auf lange Sicht die besten Aussichten Ungleichheiten einzudämmen, die durchschnittliche Produktivität pro Werktätigen und das globale Wachstum zu steigern». Durch höhere Qualifikationen und technologischen Fortschritt kann man die Produktivität steigern. (Thomas Piketty, «Das Kapital»). Aus dieser Sicht ist es falsch, wenn im Kanton Baselland von bürgerlicher Seite her ein Bildungsabbau im grossen Stil lanciert wird. In die Bildung zu investieren hilft langfristig auch der Wirtschaft.
M.M. meint
Ach immer dieses Bildungsgejammere. Weniger Strassen, mehr Bildung ist etwa so fantasielos wie Ausländer raus und Asylanten zurück in die Heimat.
Im Grunde genommen ist die Schule überhaupt nicht mehr relevant. Da geht es um ein paar Grundkenntnisse und den Rest lernt man während dem Rest des Lebens.
Muss darüber mal eine Kolumne schreiben, wenn ich das so lese. 🙂
U. Haller meint
„….ein paar Grundkenntnisse und den Rest lernt man während dem Rest des Lebens…“ hiesse doch, auch die Universitäten dichtzumachen. Oder habe ich da etwas falsch verstanden?
M.M. meint
Gut gekontert. Aber ich werde mich dem Thema demnächst mal ausführlicher widmen.
Mein Punkt ist der, dass in der Primarschule zuviel Aufhebens wegen des Systems gemacht wird.
Ich behaupte: Die Schule ist nicht derart wichtig. Die entscheidenden Weichen stellen die Eltern. (Ich habe das immer für uns reklamiert, wäre ja noch schöner gewesen.)
Lernen lernen ist das was man lernen muss. Der Rest kann man sich selbst beibringen oder eben auch auf der Uni.
Franz Büchler meint
Bei 32° wundert mich nicht mehr.
lha meint
Absolut einverstanden Manfred. Die Eltern machen den Unterschied. Daraus abzuleiten, dass das unnötiges Aufhebens gemacht wird, ist aber ein Fehlschluss. Denn darin liegt genau das Problem: Kinder bildungsreicher Eltern haben die wesentlich besseren Voraussetzungen im Bildungsmark zu reüssieren. Im Langstreckenlauf zum Schulabschluss starten sie mit einigen Kilometern Vorsprung. Tageschulen mit Betreuungsangeboten wie Hausaufgabenhilfe mindern diese Diskrepanz und schaffen für Kinder bildungsferner Haushalte bessere Bedingungen für den Schulerfolg. Lässt man den Ball allein bei den Eltern, werden fortlaufend Bildungsverlierer produziert. Das kann sich unsere Gesellschaft, deren Wertschöpfung vom Humankapital abhängt, schlicht nicht leisten. Da würde Arbeitslosigkeit auf Vorrat produziert. Klar: Nicht jeder braucht Matur. Aber: Der Fachkräftemangel beginnt bereits im Lehrstellenmarkt. Und dafür muss die Schule ihre Abgänger fit machen. Diese Aufgabe kann man nicht den Eltern delegieren.
Meury Christoph meint
Ich habe weder gejammert, noch weniger Strassen und mehr Bildung verlangt. Ich habe moniert, dass es zwischen Bildung, Ausbildung und höherer beruflichen Qualifikation, technologischer Entwicklung und wirtschaftlichem Wachstum einen kausalen Zusammenhang gibt. ER muss das ganze Bildungssystem auf den Kopf stellen, wenn ER seine These einlösen will. Ohne Master- und Bachelorabschlüsse & Doktortitel sind unsere Kids doch bei jeder Bewerbung NOBODYS. Ohne Kulturmanagement-Abschluss und adäquates Portfolio darfst du doch heute nicht einmal eine Lesung oder ein Konzert organisieren. Ohne diese, ach so wichtigen Auszeichnungen, kannst du zu keinem Bewerbungsgespräch antraben. Klar kann man’s auch anders haben. Wir sollten aber bedenken, dass wir diesbezüglich die privilegierte Generation sind, welche kraft einiger Behauptungen & Luftübungen alles machen konnte.
Grummel meint
Sie kritisieren den «Bildungs-Dünkel» und die «Bildungs-Bürokratie» zu Recht.
Aber wenn ich mich richtig erinnere, waren es Ihre Kreise, die unter der Prämisse «Bildungs- und Chancengleichheit» dieses Bürokratiemonster erschaffen haben.
Heute darf der motivierte Jugendliche nicht einmal mehr gegen Geld den Rasen mähen, ohne dass er vorher eine dreijährige Berufslehre absolviert hat.
Die Geister die ich rief … .
ArlesHeini meint
In der Tat, nun ernten wir, was z.B. in BL RR Jenni (logo, SP) vor Jahrzehnten mit seinem Gefolge proklamierte: jeder muss studieren in unserem Kanton. Wobei ich nicht verstehe, weshalb Herr Meury, dessen Titelmühlenkritik berechtigt ist, trotzdem noch mehr in (staatliche) Bildung investieren will. Denn die Bildungsapparatschiks, geformt im Bätscheler- und Mastereinheitsbrei, nivellieren mit ihren Visionen, Konzepten und Studienplänen alles nur noch weiter runter. Den Bach runter sozusagen.
Meury Christoph meint
@Grummel: Sie müssen sich endlich dran gewöhnen «meine Kreise» gibt es nicht….
Ich habe diesen Blödsinn nie in die Welt gesetzt.
Auch meine eigene Biografie würde krass dagegen sprechen.
Da müssen Sie andere Schuldige finden.
Grummel meint
Glaube ich Ihnen.
Nur warum reden Sie «denen» dauernd das Wort? Sie erklären uns doch immer, dass die Vertreter der «Bildungsbürokratie» noch etwas anderes im Sinn haben, als ihre eigenen Arbeitsplätze zu sichern.
Sie nennen die «Sozialdemokraten». Ich schon lange nicht mehr.