Gestern erstmals seit vier Wochen wieder in der Stadt. Ernsthafte Fragen: Soll man dort hin fahren?
Darf man das überhaupt?
Das Parkhaus Elisabethen ist praktisch leer.
Über die Steinenvorstadt hat sich eine Karfreitagsstimmung gelegt: Strahlender Sonnenschein, fast schon sommerliche Temperaturen.
Karfreitag – wäre heute Sonntag, dann hätten bei dem Wetter wenigstens die Strassencafés geöffnet.
Beim Braunen Mutz stehen zwei Polizisten.
Wir schauen auf die andere Seite und gehen etwas schneller, tun so, als ob wir zu einem bestimmten Ziel unterwegs wären.
Unten in der Freien Strasse treffen wir einen alten Bekannten.
In den letzten Tagen hatten wir Kontakt per Email.
So in der Art: Lebst du noch?
Wir sind Gefährdete. Er offenbar noch etwas mehr als ich, hat er mir geschrieben.
„Ihr beide habt aber richtig Glück gehabt“, meint er freudig.
Ja, verdammt nochmal, hatten wir.
Wir reden über dies und das.
Was immer interessant ist, weil seine wie beiläufig eingestreuten Anekdoten einen immer wieder von neuem überraschen.
Er ist einer, der tatsächlich im Grossen und im Ganzen mitgeredet hat.
Global.
Und es verstand, dabei tief unter dem Radarschirm der Medien zu fliegen.
Wir halten gebührend Abstand, was man in anderen Zeiten wohl als respektvolle Distanz bezeichnen würde.
Vor dem PKZ setze ich mich auf den einzigen Tourismusstuhl in der Freien Strasse.
Wir müssen ja nicht beide zum Einkaufen in den Coop-Laden.
Die leergefegte Strasse dient Rollbrettfahrern als Rennstrecke.
Ich schalte mich auf dem Handy in die 14 Uhr-Pressekonferenz in Bern ein.
Koch antwortet gerade auf eine Frage einer Journalistin und sagt, wir seien „im Maximum in der Hälfte der Krise.“
Sein Dreitagebart ist zwei Tage unbehelligt weitergewachsen.
Seine Stirn ist verheilt, man sieht nur noch einen kleinen Kratzer.
Der Mann ist unglaublich.
Zum Beispiel wenn er auf die Frage eines Journalisten antwortet: „Das ist eine gute Frage, aber ich weiss es nicht.“
Man erschrickt.
Ist das der Moment, wo man entsetzt befürchtet: Der Mann ist doch nicht so kompetent, fehlen ihm grundlegende Informationen?
Ich fülle die Pause mit der PR-Phrase: „Aber ich werde es in Erfahrung bringen und ihnen einen Antwort zukommen lassen.“
Doch Koch fährt weiter, setzt Wort für Wort.
Wie ein Bergwanderer seine Schritte.
Trittsicher.
Er zerlegt die Frage in ihre Einzelheiten und wir betrachten mit ihm die Auslegeordnung.
Und wie er so die Details erklärt, verstehen wir, warum man das, was der Journalist wissen möchte, Koch gar nicht wissen kann.
Weil es niemand wissen kann.
Weil es für eine konkrete Antwort zuviele Unbekannte gibt, die man messen müsste und interpretieren müsste und zu einem Bild zusammenfügen müsste.
Wofür sowohl die Zeit als auch das Personal fehlt.
Und wie er das so ausführt, schliesslich den Punkt setzt und schweigt, da weiss jeder am Bildschirm und im Saal, weshalb der Kochsche Satz „ich weiss das nicht“, die ehrlichste aller möglichen Antworten ist.
Uns gehen in der Isolation die kollektiven Erlebnisse abhanden.
Kochs tägliche Erklärung zur Lage der Nation ist eines der wenigen Lagerfeuer, um die wir uns derzeit scharen können.
Wenn wir in zehn Jahren die Corona-Krise definitiv überstanden haben, dann werden wir vieles vergessen haben, aber uns alle miteinander noch immer an Koch erinnern.
An diesen Mann, der exakt so viele Worte und keines mehr als nötig verwendet hat, für seine plausiblen Erklärungen.
Eirin meint
Ja, uns allen wird Daniel Koch in Erinnerung bleiben.
Genauso wie unseren Eltern General Guisan in Erinnerung blieb.
Heute wie damals ist/war es enorm wichtig wie der Bundesrat in einer Landesweiten Krise zu den Bürgern spricht.
Mit Glaubwürdigkeit.
In die Stadt gehen,sollen,können,dürfen.. keine Panik!
Ich wohne mitten in der Stadt Basel, hier ist es nicht anders als sonst irgendwo in der Schweiz..
Kaspar Eigenmann meint
Du bringst es auf den Punkt, was Glaubwürdigkeit (übrigens eines der höchsten Güter, vorallem in schwierigen Zeiten) ausmacht oder bringt. Danke!