Schön, gibt es im Landkanton ja noch andere wichtige politische Fragen, die wichtiger sind, als das leidige Finanzproblem, der Schänzlitunnel und die Theatersubvention.
Da gibt es noch dieses wirklich wichtige Problem, dass FDP-Landrat S. aus A., von einem SVP-Mann unterstützt, ans Licht der Öffentlichkeit gezerrt hat. Und nun ein paar kleinere Wellen wirft: Der Suprise-Strassenverkauf im Kanton Baselland. Der ist mehr oder weniger bekanntlich verboten. Die bz stellt folgende tränenrührige Fragen:
Warum soll es Menschen, die ohnehin nichts haben, verboten sein, ihre Lebenssituation auf diese bescheidene Art und Weise ein wenig zu verbessern? Zumal der private Verein Surprise dem Kanton mit seinem Angebot noch Kosten abnehmen würde. Ausgerechnet das Kiga, das so stolz darauf ist, Steuergelder zu sparen, wo immer es kann.
Kann man so sehen. Wer politisch mitdenkt, kann das aber auch ganz anders interpretieren.
Denn was harmlos daherkommt, hat es in sich.
FDP-Landrat S. aus A. und sein SVP-Mitunterzeichner des politischen Vorstosses in dieser Sache wollen nichts anderes, als mit einer „Lex Surprise“ den Mindestlohn aushebeln.
Genau wegen dieses Problems hat sich das Kiga geweigert, dem Verein Surprise eine Sondergenehmigung einzuräumen. Die Surprise-Angestellten sind nämlich AHV-pflichtige Angestellte dieses Vereins, wenn man will, könnte man auch sagen, es handle sich um eine Art Scheinselbstständige.
Weil es sich also um eine AHV-pflichtige Erwerbstätigkeit handelt, die weit unter dem gesetzlichen Mindestlohn bezahlt wird, kann das Kiga keine Arbeitsbewilligung erteilen, auch wenn tränendrüsige Argumente ins Feld geführt werden.
Zum Beispiel wird die lausige Bezahlung auch damit begründet, dass die Sozialhilfeempfänger damit eine Tagesstruktur hätten.
Ach wie schön.
Nun könnte ich mir unter dem Titel „Tagesstruktur“ jede Menge Niedriglohn-Jobs vorstellen. Statt dieses dröge Blatt zu verkaufen, könnte man beispielsweise bei den Grossverteilern Hilfskräfte einsetzen, welche mir meinen Einkauf zum Auto schleppen oder mir beim Tanken die Autoscheiben putzen oder statt Suprise die BaZ verkaufen. Tätigkeiten halt, die es nicht mehr gibt, weil man sie nicht mehr bezahlen kann.
Das Modell, dass Sozialhilfebezüger als billige Angestellte in der Wirtschaft eine Tagesstruktur bekommen, ist explizit nicht erwünscht. Weil niemand will und es verantworten kann, dass die Allgemeinheit über Sozialhilfe-Lohndumping obskure Angestelltenverhältnisse für clevere Geschäftemacher finanziert.
Surprise hin oder her.
Der Titel ist selbstverständlich bewusst so gesetzt – er ist die politische Antwort auf Klamauk.
Nemesis meint
Es ist sinnvoll und wichtig, wenn Sozialhilfebezüger arbeiten können und eine Tagesstruktur bekommen, die Frage ist, ob man das stundenlange Herumstehen in Einkaufszentren und an sonstigen passantenintensiven Orten als sinnvolle „Arbeit“, die eine Tagesstruktur vermittelt, einstufen kann.
M.M. meint
Rumstehen im Baselbiet. In Gelterkinden, Hölschte, Prattele, Duggige?
Balz Stückelberger meint
Landrat S. aus A. ist der Meinung, dass das Verhältnis zwischen der Organisation Surprise und den Verkäufern nicht als Arbeitsverhältnis zu beurteilen ist. Eventualiter teilt er die Auffassung der Arbeitsämter in den anderen Kantonen, wonach die ordentlichen arbeitsmarktlichen Beurteilungsraster in diesem Sonderfall nicht zur Anwendung gebracht werden können. Und zudem ist das Thema im Kontext der Diskussion über die Sozialfirmen und die Aufgabenteilung zwischen Staat und Privaten sehr wohl von politischer Relevanz. Und zudem, Herr M. aus A., liegt zu dieser Problematik ein Beschluss des Landrats vor, der seit zwei Jahren nicht umgesetzt wird. Und da hört sogar bei Landrat S. aus A. der Spass auf…
M.M. meint
Eiderdaus. Politische Relevanz im Kontext der Diskussion über Sozialfirmen, wenn das nicht ziemlicher Verhältnisblödsinn ist….
Aber wenn ein Landratsbeschluss vorliegt, dann wird das jetzt sicher subito umgesetzt, auch wenn das Kiga gemäss bz völlig anderer Meinung ist.
Rotzbengel meint
Von welchem ‚Mindestlohn‘ reden Sie hier, Herr Messmer? Meines Wissens gibt es in der Schweiz keinen gesetzlichen Mindestlohn, ausser in der Landwirtschaft.
Meury Christoph meint
Am Beispiel der Surprise-Verkäuferinnen mag die Argumentation des Lohndumpings stimmen. Daraus jedoch eine Grundsatzfrage zu machen ist irreführend. Bei sämtlichen subventionierten Betrieben müsste in der Folge ähnlich argumentiert werden. Würde im Theater die Subvention wegfallen, könnten (wie bereits offen argumentiert wurde) die Kosten nur durch höhere Eintrittspreise (mehrere hundert Franken pro Eintritt) kompensiert werden. Weil dies aber kontraproduktiv wäre und damit die Zuschauerinnen definitiv vom Besuch abhalten würde, könnte nur noch bei den Personalkosten gespart werden. Was heisst: Weniger Personal, billigeres Personal, weniger Produktionen. In einer solchen Situation müssten wir plötzlich auch von Dumpinglöhnen sprechen.
Nehmen wir die Landwirtschaft: Jede Kartoffel wird subventioniert. 60% des Bauernlohnes wird (direkt oder indirekt) subventioniert. Ohne diese Subvention müsste Bauer X auch zu einem Dumpinglohn arbeiten, oder wir müssten für die besagte Kartoffel einen Hunderter hinlegen.
Ergo müsste, wenn der politische Wille dies wünscht, die Firma «Surprise» subventioniert werden, dann könnte man verlangen, dass marktübliche Löhne bezahlt werden. Die Kritik muss daher umfassender greifen und auf eine Gleichbehandlung zielen. Wir sollten mit gleichen Ellen messen.
M.M. meint
Die Diskussion von „marktüblichen Löhnen“ wurde im Zusammenhang mit Arbeitsbeschaffungsmassnahmen von Sozialhilfebezügern schon vor Jahren diskutiert. Und verworfen. Unter anderem auch von Gewerbeseite von wegen Billigkonkurrenz.
Die SVP und andere bürgerlicher Kreise sind bezüglich Theater Ihrer Meinung.
Meury Christoph meint
Ja, ich weiss. SVP und Vertreter aus bürgerlichen Kreisen propagieren dies. Ich nicht. Keinesfalls! Als ehemaliger Theaterleiter weiss ich, dass ein Theater, explizit ein produzierendes Theater, ohne öffentliche Gelder nicht betrieben werden kann.
Zudem: Es ist sinnvoll & wichtig, wenn Sozialhilfebezüger arbeiten können. Entsprechende Arbeitsprogramme und Möglichkeiten sollen auch von staatlicher Seite aktiv und engagiert zur Verfügung gestellt, oder unterstützt werden.
Mit den Aktivitäten der Surprise-Verkäuferinnern wird niemand konkurrenziert. Das Kiga BL muss Hand bieten für adäquate Lösungen.