Seit nunmehr zwei Jahren haben wir Wohnen und Arbeiten unter einem Dach vereinigt. Meine Partnerin, mit der ich seit über dreissig Jahren verheiratet bin und mit der ich seit gut 15 Jahren in der gemeinsamen Firma zusammenarbeite, hat ihr Büro ein Stockwerk höher.
Gemessen an der Zeit, die ich lesend und schreibend mit meinen Themen verbringe, könnte ich sagen: Ich wohne in meinem Büro.
Deshalb werde ich öfters darauf angesprochen, wie es denn sei, wenn zwischen Arbeitsplatz und Wohnort sich keine räumliche Distanz befindet.
Doch sind die Zeiten nicht schon längst vorbei, wo man in dem Moment, wo man aus seinem Büro rausmarschierte, auch seine Arbeit hinter sich liess? Unser aller Arbeitstag von „Nine to five“ ist tot. Wer heute mitten im Arbeitsleben steckt, dessen Arbeitsalltag ist 24/7.
Die meisten von uns haben über ihr Smartphone, ihren Laptop rund um die Uhr Zugang zu ihrer Mailbox, zu den geschäftlichen Dokumenten, zum Outlook-Kalender der Kollegen. Wo man sich auch immer befindet, man ist erreichbar und die anderen erwarten, dass du immer und überall erreichbar bist. (Als ich das CEO-Mandat bei der BaZ hatte, führten wir die intensivsten Diskussionen übers Wochenende via E-Mail.)
Eigentlich arbeiten wir immer.
Diese neue Arbeitswelt hat Einfluss auf unser Konsumverhalten. Die analogen Ladenöffnungszeiten sind gar nicht mehr so wichtig, da liefern sich Gewerkschaften und Ladenbesitzer ein Gefecht des letzten Jahrhunderts. Ich kaufe heute die neue Kamera um acht Uhr abends im Onlineshop und buche den Flieger nach Berlin eine halbe Stunde später.
Es gibt nichts mehr, das ich nicht 24/7 ordern kann.
Es war so gegen Ende der neunziger Jahre, als ich meinen damaligen Mitarbeitern sagte: In zehn Jahren werden wir hier keine Büros mehr haben. Jeder wird von zuhause oder sonst wo arbeiten und wir treffen uns einmal die Woche in unserem Sitzungszimmer, um uns abzusprechen. In unserem Job, meinte ich, brauchst du lediglich Hirn und Computer mit Internetzugang.
Das klang damals ziemlich hochfliegend.
Doch für mich ist es Realität geworden. Wo sich mein Büro befindet, interessiert eigentlich keinen. Meine Adresse ist nicht mehr eine Strasse mit Hausnummer, sondern mein E-Mail-Postfach, mein Skype-Name. Derzeit beschäftige ich sechs Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in verschiedensten Unternehmen für unterschiedliche Projekte. Wir sehen uns sporadisch, skypen öfters und mailen uns verschiedene Dokumente fast täglich.
Bei einem Projekt haben wir die Dokumente in einer Cloud abgelegt, auf die jeder von uns von überall per Internet zugreifen kann.
Was ich brauche, ist ein gut erreichbarer Bahnanschluss (bei mir sind es vier Gehminuten), einen Computer, Internet, das iPad für unterwegs. Statt wie früher jeden Tag gut zwei Stunden mit dem Auto zwischen Arbeitsplatz und Wohnung hin und her zu pendeln, genügen heute ein paar wenige Schritte. Wenn ich, wie in letzter Zeit recht oft, mit dem Zug nach Zürich fahre, ist die gute Stunde, die ich unterwegs bin, fast zu kurz für all das Zeugs, das ich unterwegs auf meinem iPad online noch lesen möchte.
Mein Arbeitstag hat noch immer zehn Stunden.
PS: Ja, das geht sehr gut, mit seiner Frau zusammenzuarbeiten.
Melchior Landolt meint
Für die Metzger, die Bäcker, die Dachdecker und viele andere ist das etwas schwierig…..
Auch für mich. Zurzeit bin ich in Ouagadougou, Burkina Faso, siehe http://www.terra-verde.de
Viele Grüße an Ihre Partnerin und Ehefrau. Wir haben zusammen die Schulbank gedrückt.
Stücki meint
„Eigentlich arbeiten wir immer“. Das stimmt. Überhaupt stimme ich der Einschätzung in diesem Beitrag voll zu. Der sog. „Arbeitsplatz der Zukunft“ sieht kein festes Büro mehr vor. Privatleben und Berufsleben werden durch neue Kommunikationstechnologien und -Gewohnheiten immer mehr vermischt. Aaaaaaaaber: Es gibt einen Haken an der ganzen Geschichte. Das schweizerische Arbeitsrecht sieht immer noch vor, dass die „Lage und die Dauer der Arbeitszeit sowie die Pausen“ täglich zu dokumentieren sind. Sprich: Es gibt eine Pflicht zur Stempeluhr. Und zwar für alle Angestellten, ausser dem allerobersten Management. Einmal am Abend auf den Blackberry schauen müsste also dokumentiert werden. Das steht natürlich in krassem Widerspruch zu den modernen Arbeitsformen, wie sie in M.M’s Artikel beschrieben sind. Deshalb setzt sich der Bankensektor resp. der Arbeitgeberverband der Banken derzeit für eine Lockerung dieser strengen Dokumentationsvorschriften ein. Das Arbeitsgesetz soll sich der gelebten Realität in der Wirtschaft anpassen und nicht umgekehrt.
Stefan Peter meint
Musse = otium
negotium (es ist nicht Musse) = Geschäft, Business
Immer stand-by zu sein ohne freie (von einem Zweck befreite) Zeit (denn freie Zeit ist nur die, über die man nicht verfügt – welche nicht verplant ist, auch nicht von einem Hobby z.B.) gilt für mich als das Gegenteil von dem, was ich von den Philosophen verstanden habe.
Immerhin: tatsächlich ist nichts bald subversiver als ein nine to five job – darum… lasst mir meinen in Ruhe.
Michael Pschewrozki meint
Wenn ich Leuten erzähle dass ich Fotograf sei ist die erste Frage totsicher wo ich das Studio habe…. Die Welt ist das Studio!In welchem Stall und wo ich alles bearbeite soll niemanden interessieren. Ausser ich stell ein 360°-Panorama online und mach auf Mitleid. Vielleicht findet sich dann eher eine bessere Wohnung. Ich kenne ein Werbemann der nur mit öffentlichen Verkehrmitteln kutschiert. Und dass ausserhalb der Stadt Basel. Selbständige haben mehr Spielraum.
Martin meint
Völlig einverstanden.
Lediglich eine Frage dazu: Wo empfangen Sie Ihre Klienten?
Und was die Arbeitszeit betrifft: Im eigenen Interesse sollte man versuchen, nicht Tag und Nacht zu arbeiten. Arbeits- und Lebensqualität leiden erheblich darunter.
M.M. meint
Die Frage stellt sich eigentlich nicht, weil Besprechungen eigentlich immer beim Kunden stattfinden. Aber falls doch: am Küchentisch.