Es gehört zu den Eigenheiten von Weihnachten, dass auch ein Kardinal, konkret der Schweizer Kurt Koch, (in der Schweiz am Sonntag) Fabeln zu Fakten erklärt. Das nennt man dann „Glauben“.
Man könnte versucht sein – selbstverständlich mit einem Augenzwinkern – Herrn Koch zu unterstellen, dass er mit postfaktischen Behauptungen die weihnachtliche Stimmung zu retten versucht:
Wie kann man Weihnachten feiern in der heutigen Welt, in der Gewalt und Terror herrschen, uns Menschen Angst eingeimpft wird und so viele Menschen auf der Flucht sind? Dass viele Menschen sich heute diese Frage stellen, ist verständlich. Doch so hätte man auch bereits bei der ersten Weihnacht vor zweitausend Jahren fragen können. Der sogenannte «Friede» des Kaisers Augustus ist auch mit Gewalt verbunden gewesen. Auf die Geburt des Kindes in Bethlehem folgte der von Herodes angeordnete Kindermord auf der Stelle.
Dazu „Das Tagebuch der Menschheit: Was die Bibel über unsere Evolution verrät“ von Carel van Schaik, Kai Michel:
Die Römer setzten Herodes (73–4 v. Chr.) als König von ihren Gnaden ein. Der Kindermord zu Bethlehem, den ihm das Matthäusevangelium zuschreibt, ist zwar eine Erfindung, sie hat aber womöglich einen historischen Kern: Von seinen zehn Söhnen ließ Herodes sieben töten.
Der römisch-katholische Kardinal:
Und die Heilige Familie musste mit ihrem Kind nach Ägypten fliehen, sodass im Mittelpunkt der Weihnachtgeschichte eine Flüchtlingsfamilie steht.
Auch wenn es halt so schön zu aktuellen Nachrichtenlage passt: kein Massenmord, keine Flucht.
Zur Ergänzung vielleicht noch das:
Lukas erzählt die rührselige Geschichte von der Geburt Jesu im Stall von Bethlehem, Hirten und jubilierende Engelscharen inklusive. Auch bei Matthäus wird Jesus in Bethlehem geboren, wenn auch unter anderen Bedingungen: Da wohnen Maria und Josef ständig dort. Markus und Johannes jedoch wissen nichts davon. Die Forschung ist sich heute weitgehend einig: Die Bethlehem-Geschichte diente allein der Legende, dass Jesus, wie es sich eben für den Messias gehört, in der Stadt Davids geboren worden war.
Der Evolutionsbiologe Carel van Schaik und der Historiker Kai Michel „lesen die Heilige Schrift nicht als Wort Gottes, sondern als Tagebuch der Menschheit, das verblüffende Einblicke in die kulturelle Evolution des Homo sapiens bietet“ (Klappentext).
Und genau deshalb ist die Bibel zurecht „das Buch der Bücher“ und dessen Interpretation durch die beiden in Zürich tätigen Autoren das spannendst Buch, das ich dieses Jahr gelesen habe (respektive am Lesen bin).
Trashbarg meint
apropos Bücher, weshalb publizieren Sie die Liste der Bücher, welche Sie lesen, nicht mehr auf arlesheimreloaded? Fand das noch spannend und inspirierend (teilweise) 😉
M.M. meint
Habe das Layout entschlackt. Passte nicht mehr ins Konzept. Vielleicht in anderer Form mal.
Sara Hengst meint
Ein willkommener Kontrapunkt zum unsäglichen Gelaber, den Religionsvertreter alljährlich zu Weihnachten ablassen dürfen, auch in den sogenannt seriösen Medien, meist unwidersprochen.