Weil die Ecopop- und die Gold-Initiativen derart grandios Schiffbruch erlitten haben, können wir uns wieder den wirklich wichtigen Dingen des Lebens zuwenden: z. B. dem Untergang der Zeitung.
Letzte Woche hat sich Ungeheuerliches zugetragen, das den Medien wohl gerade deshalb nur eine Randnotiz wert war: Die NZZ hat mitgeteilt, dass sie ihre Zeitung künftig nicht mehr auf einer eigenen Rotationsmaschine drucken wird, sondern bei Tamedia.
Nun hat auch die Besitzer- und Führungscrew der BaZ vor zwei Jahren exakt den gleichen Entscheid gefällt. Doch wurde dieser mit Kosteneinsparungen gerechtfertigt, muss die Begründung der NZZ aufhorchen lassen: Sie glaubt nicht mehr an die Zukunft des Papiers als Nachrichtenträger: «Mit diesem Schritt antizipiert die NZZ-Mediengruppe die fortschreitende Ablösung gedruckter Zeitungen durch digitale Angebote.» Denn anders als die Basler Zeitung hat die NZZ eine Digitalstrategie. (Disclaimer: Ich war von 2008 bis 2010 für den Aufbau von baz.ch verantwortlich.)
Vor dem Hintergrund der über 200-jährigen Geschichte der europäischen Zeitungen, die samt und sonders von Druckereien gegründet worden waren, um die teuren Maschinen auszulasten, vor der Tatsache also, dass das publizistische Denken der Herausgeber noch bis weit in die Nullerjahre hinein vom Primat der Druckmaschine beherrscht war, muss dieser Entscheid der NZZ als geradezu historisch bezeichnet werden.
Zwar beteuert die NZZ, dass die Zeitung «noch lange gedruckt» erscheinen wird. Doch auch das Ende von «lange» ist absehbar. Denn die NZZ hat seit 2008 nicht nur 38 000 Abonnenten verloren, ein Verlust, der nicht wie bei der BaZ als Protestkündigungen definiert wird. Sie hat das gleiche Problem wie alle andern Printmedien auch: eine überalterte Leserschaft und kaum noch Neuabonnenten unter der nachwachsenden Jugend. Wer mit Gratiszeitungen und Internetnews medienmässig sozialisiert wurde, für den ist das Abonnieren einer Tageszeitung wohl so etwas wie der Kauf eines Telefons mit einer Wählscheibe.
Ich habe seit vier Jahren keine gedruckte Zeitung mehr im Briefkasten, sondern bin E-Paper-Abonnent (dieser Zeitung und der NZZ am Sonntag). Hin und wieder kaufe ich ein Wochenmagazin oder eine Sonntagszeitung im Zeitungskiosk von Apple. (Dieses Kaufverhalten gilt übrigens auch für Bücher.) Meine News hole ich via Twitter und Flipboard aus aller Welt, 24/7. Ich stelle fest, dass die, die ihr täglich raschelndes Papier tapfer verteidigen, inzwischen schon wieder vier Jahre älter geworden sind und noch immer nicht wissen, wie man ein E-Paper runterlädt.
Auf der anderen Seite sind die Verleger, die bei jeder sich passenden Gelegenheit meine Gratiskultur brandmarken. Was natürlich absoluter Nonsens ist. In Tat und Wahrheit haben die Haushalte noch nie so viel für ihren Zugang zu Informationen bezahlt wie heute. Das unlimitierte mobile Surfen kostet immerhin um die 600 Franken im Jahr. Pro Person versteht sich. Für den gemeinschaftlich genutzten Internetzugang zu Hause legt man nochmals 400 Franken hin. Hinzu kommen die Kosten für den Computer und das Tablet.
Von Gratiskultur kann also keine Rede sein.
Richtig ist vielmehr, dass nun andere, z. B. Telecoms und Kabelgesellschaften, mit der Verbreitung von Inhalten Geld verdienen. Weil die Verlage wissen, wie man Zeitungen verkauft, aber nicht, wie Journalismus.
Zuerst erschienen in der Basler Zeitung vom 3. Dezember 2014.
h.s. meint
Warum werden immer wieder die Gratiszeitungen ausser acht gelassen. für die meiste „Leser“ sind 20 minuten und Blick am Abend bereits zu viel Text. Beide haben aber ein grosse Reichweite und sind voll im Markt. Das wird heute im Tram und Zug gelesen. Früher las man BaZ, Blick oder NZZ. Es ist eine Ablösung. Wer heute noch mehr Lesen möchte, hätte gerne mehr Hintergrundinfo und mit E-Paper geht das. Man macht ein Hyperlink. Wenn ich in ein Artikel lese, dass Firma X, Firma Y übernimmt, so wäre ein Link zu info über die Firmen sehr Nutzlich. Ein E-Paper der Zukunft besteht aus 2 Teile. Die Aktuelle Artikeln und ein Datenbank zum Themen.
lha meint
medienwissenschaftliche weisheiten: neue medien sind nicht der wurmfortsatz ihrer vorgänger. und noch viel wichtiger: in der geschichte hat noch kein medium ein anderes ersatzlos abgelöst. historisch ist die aussage, dass digitale medien, die „holzmedien“ verdrängen werden also humbug. aber es ist eine aussage über die zukunft und damit ist sie per se noch nicht falsch, muss aber noch validiert werden. aus der vergangenheit schliessend wird das aber nicht eintreffen. vielmehr wird das neue medium das alte verändern, aber nicht töten. aber was kann uns die vergangenheit schon garantieren…
M.M. meint
„in der geschichte hat noch kein medium ein anderes ersatzlos abgelöst.“ Ich weiss, dass dieser Satz rumgeboten wird, einer schwätzt dem anderen nach. Es geht nicht um das Trägermedium, sonder um den Inhalt.
Also, klar doch, der Milchmann wurde von Tetrapack ersetzt und wer will drinkt trotzdem noch immer Milch. So, etwas zum Nachdenken.
lha meint
das ist als ob der zeitungsverträger vom kiosk abgelöst wurde. der vergleich ist nicht ganz schlüssig. der hinweis von h.s. ist wichtig. die gratiszeitungen sind der beweis, dass papier nicht tot ist. nach wie vor funktioniert auch das wochenzeitungsmodell gut (die mediokren schweizer sonntagszeitungen mal ausgenommen). dies als vorbemerkung. worauf ich hinauswill: die anforderungen an das trägermedium für einordnenden sogenannten qualitätsjournalismus haben sich mit dem internet verändert. hypertext ist the message. inhalte multimedial anreichern, quellen und kontexte verlinken. das ist hypertext, dessen botschaft die intertextualität schliesslich ist. das ist eine leistung die das papier nicht erbringen kann. für weiterführenden tagesakteuellen journalismus sind diese funktionen aber unerlässlich geworden. auch aus einem zweiten grund: nachrichten haben einen dispersiven charakter bekommen, seit zwischen hard- und software praktisch de facto vollständige konvergenz hergestellt ist. die nutzung ist im medium angelegt: assoziativ und sprunghaft. das papier ist hingegen auf lineares lesen ausgelegt, ist ein reflexiveres medium. also ist es die erzählform, die sich dem medium anpassen muss.
Michael Przewrocki meint
Hab soeben Daten verloren, dank nicht-existierenden backups und nicht-existierendem Ueberblick. Einem Musiker wurde sein Laptop gestohlen samt nicht gesicherten neuen Kompositionen. Denke als Fotograf ständig über digital UND analog nach. Die Balance zwischen Zeitersparnis und Qualitätssicherung ist nicht einfach. Ein Leben vor dem Bildschirm für das Zusammensetzen von Panoramen oder photoshop hat keine reale Zukunft. Ich verfolge das Elend von dem viele meiner Kollegen betroffen sind. Erfolgreich aber krank, tot in jungem Alter, totkrank in fortgeschrittenem Alter. Die Zukunft ist digital aber nicht exklusiv. Ich sehe doch wie wieder erfolgreich in analoge Filmtechniken investiert wird. Filme, Filmentwicklung, Sofortbild. Ein Basler Mäzen hat mitgeholfen dass die Schweizer 16mm-Kamerafirma Bolex erhalten bleibt.
M.M. meint
Ihre Nachfolger so um die 20 machen sich keine solchen Gedanken mehr. Aber: wir leben technisch im Zeitalter der Nischen. Es gibt ja auch Leute, die lieber Vinyl hören statt Spotyfi.
fred david meint
Beispiel Der Spiegel: 875 000 Gesamtauflage (2014), davon 47 000 e-paper-Abos, also 5+%. Der Auflageschwund kann digital bei weitem nicht ausgeglichen werden.
M.M. meint
Es ist auch nicht zu erwarten, dass sich Holzmedien so mir nichts dir nichts in digitale Medien verwandeln. Es wurde von einem Kommentator hier angemerkt, dass die E-Paper von BaZ und NZZ völlig ohne Links und Animationen auskommen. PDF ist nun mal keine Alternative zu Papier.
Erfolgreich sind beispielsweise die HaffPo oder Politico oder Vox oder Gawker oder Quartz oder Guardian oder Vocer usw.
Rainmaker meint
Eigentlich erstaunlich ist doch, dass die E-Paper sowohl der BaZ, als auch der NZZ, auch nach Jahren sehr wenig interaktives und dynamisches an Inhalten haben. Und eine „smarte“ Integration von Werbung fehlt vollkommen. Lese ich eine Reportage über ein neues Auto – ja es gibt noch Leute, die sich dafür interessieren – dann hätte ich ja nichts gegen einen Direktlink zum Hersteller… Gleiches gilt für Reisen, Computer oder gar Kultur…..
gotte meint
das hat seinen guten alten grund einfach darin, dass die traditionelle medienethik – zu recht – die trennung von redaktionellem inhalt und kommerziellem umfeld oder beigemüse fordert. ich selbst ertappe mich immer wieder dabei, dass ich diese medienethik auch als leserin zutiefst verankert habe: ich nehme beiträge mit werbelinks oder publireportagen schlicht nicht zur kenntnis. auch färbt ein targeted werbeumfeld auf die texte selbst ab – das ist dann wie das coop oder migros-magazin, wo das redaktionelle spargelrezept nur die unterlage für die eigentliche werbebotschaft für die knorr holondaisesauce herzuhalten scheint: und mir dann das rezept schon deshalb nicht schmeckt, weil ich die sauce grässlich finde.
Rainmaker meint
Ich würde das nicht so eng sehen; denke dabei ja auch primär an weiterführende, auf den individuellen Leser ausgerichtete Information (oder nennen wir es Werbung). Dass die NZZ mir sicher ein Jahr lang täglich via Banner E-Balance verkauften wollte, hat mich da einiges mehr gestört…. Und man muss ja auch etwas gegen den Wegfall der ganzseitigen 4farbigen Anzeigen tun….
Henry Berger meint
Grundsätzlich muss ich Ihrem Artikel beipflichten. M.E. hat die ganze elektronische Medien-Welt jedoch einen massiven Nachteil: Die ARCHIVIERUNG und Erhaltung der Inhalte für die Nachwelt ist ein völliges Stiefkind und stellt übrigens auch Archive und Bibliotheken vor grosse Probleme. Da dies zudem ein Bereich ist, in welchem wohl kaum Geld zu verdienen ist, wird sich da auch so bald nicht’s ändern. Dies gilt übrigens auch für den privaten Bereich, wieviele E-Mail, SMS, Fotos sind schon im elektronischen Nirvana, unwiederbringlich verschwunden?
M.M. meint
Guter Punkt. Das Problem ist jedoch nicht nur die Archivierung sondern auch die Programmsprache.
Deshalb habe ich vorgesorgt und einen Archivvertrag mit dem Kanton Basel-Landschaft unterzeichnet. Das Staatsarchiv wandelt zB. diese WordPress-Texte in eine internationale Programmsprache um (eine eigene zu entwickeln und updaten könnte sich kein Archiv mehr leisten), die ständig angepasst und noch in hundert Jahren gelesen werden kann, egal auf welcher Hardware. Bitter wirds jedoch, wenn unsere Zivilisation untergeht. Bits und Bytes kann man nicht ausbuddeln.
Alle Rechte gehen übrigens dereinst ans Staatsarchiv über.
Gehe davon aus, dass die auch E-Paper archivieren.
fred david meint
Stimmt schon.Nur: Wieviele Leser haben E-Paper von NZZ oder BZ abonniert? Das sind verschwindend geringe Zahlen und es ist nicht abzusehen, dass diese Zahlen wesentlich steigen werden. Es ist unerheblich, ob Journalismus digital oder auf Holzfaser gedruckt erscheint. Die Kernfrage ist: Wer wird einigermassen unabhängigen Journalismus künftig bezahlen? Und wer hat überhaupt noch Interesse, bei diesen Aussichten diesen Journalismus noch zu produzieren? Kein Unternehmen kann sich auf Dauer leisten, Verlustbringer durchzuschleppen. Die Perspektive ist nicht rosig.
M.M. meint
Die NZZ gibt an, inzwischen 18’000 E-Abos verkauft zu haben.
gotte meint
@mm: wie Ihre wunderbare bild-text-komposition bereits nahelegt, kommen wir dank dem verzicht auf das druckpapier nun in die phase „waldleben nach dem tod“…