Eigentlich interessiert das ja sowieso nur Medienleute, diese Nachricht heute Nacht, dass Amazon-Gründer und deshalb Multimilliardär Jeff Bezos die traditionsreiche Washington Post gekauft hat.
Für Journalisten ist dies eine gute Nachricht.
Weil nun einer eine Zeitung übernimmt, der nicht mehr in Druckmaschinen denkt. Herr Bezos setzt auf die Arbeit des Journalisten aber nicht mehr aufs Trägermedium Papier.
Über eines bin ich mir sicher: In zwanzig Jahren wird es keine gedruckten Zeitungen mehr geben. Wenn doch, vielleicht als Luxus-Artikel, den sich bestimmte Hotels erlauben, als extravaganten Service für ihre Gäste. Gedruckte Tageszeitungen werden in zwanzig Jahren nicht mehr normal sein.*
Herr Bezos ist nicht einer von denen, die den feuchten Zeigefinger in die Luft halten, er stellt das aus Erfahrung fest. Denn Amazon kann mit harten Fakten aufwarten: „Inzwischen verkaufen wir auch in Deutschland erstmals mehr digitale als gedruckte Bücher.“
Ich glaube auch an die Zukunft des Journalismus.
Schon allein deshalb, weil ich aus langer Berufserfahrung weiss, dass die überwiegende Mehrheit keinen anständigen Text auf den Bildschirm bringt, (unabhängig vom Bildungsgrad).
Zum anderen braucht es Fachleute, welche Informationen beschaffen, aufbereiten und weiterverbreiten. Und eben – lesenswerte Texte schreiben.
Allerdings muss man sich von der Vorstellung verabschieden, die Papierzeitung könne durch multimediale PDF-Hybriden ersetzt werden.
Was mich zur Feststellung bringt, dass ich überhaupt nicht verstehe, weshalb die Verlagsheinis noch immer über Zukunftsmodelle grübeln.
Die Sache ist ganz einfach: Nehmt mich als Massstab. Baut um meine Bedürfnisse
herum einen Newskanal. Denn das werden die Bedürfnisse der Mehrheit von morgen sein.
Was ich will, ist eine Mischung aus Huffington Post und Flipboard.
- Ich will einen 24/7 Newsflow, gespiessen nicht nur von dem, was die Kernredaktion liefert, sondern mit interessanten News aus vielen Quellen.
- Ich will diese News aufbereitet wie bei Flipboard geliefert bekommen, das heisst als übersichtlich aufgemachtes Tablet-Magazin.
- Kernstück und Unterscheidungsmerkmal zu anderen sind zum einen Nachrichtenauswahl aus allen Quellen der Redaktion und zum anderen die lokalen Nachrichten bis runter auf Gemeindeebene (Lokalanzeigernachrichten des Gemeinderates).
- Weil ich mich mit meinem Profil registriere, bestimme ich, welche Nachrichten mit welcher Priorität auf meinem Tablet erscheinen.
- Stichwort Cloud: Als weitere Dienstleistung bietet ihr einen Dienst wie Pocket an, damit ich interessante Beiträge abspeichern kann. Dass ich einzelne Artikel per Twitter, Facebook, Google+ etc. weiterverbreiten kann, ist wohl eine Selbstverständlichkeit.
- Stichwort Cloud: Auf einem solchen Service liessen viele andere Dienstleistungleistungen aufbauen. Zum Beispiel einen vertrauenswürdigen (verschlüsselten) E-Mail-Dienst à la Google Mail.
Also Leute, wenn ihr das liefert, dann bin ich auch bereit, ein Jahresabo von sagen wir zwei-, dreihundert Franken im Jahr zu bezahlen, (der RSS-Feed-Dienstleister Feedly will künftig 45 Franken pro Jahr allein für seine Serverdienstleistung verlangen).
Die beste Voraussetzung für einen derartigen Schritt in die Zukunft hätte übrigens die Basler Zeitung. Die haben sich als Erste von der Druckmaschine abgenabelt. Jetzt müssten die Leute am Ruder das auch noch im Kopf nachvollziehen.
Ich gehe allerdings davon aus, dass die zu denkträge sind.
*Quelle: Berliner Zeitung (lesenswertes Interview mit Jeff Bezos)
Für Interessierte: Graham started talking to Jeff Bezos less than a month before cinching a $250 million deal to sell the flagship newspaper to the tech entrepreneur.
Sahara-James meint
Bei Philippi sehen wir uns wieder. Ich wett‘ ne gute Buddel, dass ich recht behalte. Oder: „Das Radio hat absolut keine Zukunft“, Lord Kelvin, Mathematiker und Erfinder, 1897.
Baresi meint
Zeitungen werden nicht ganz verschwinden, steht ja oben im Zitat. Aber die Relevanz wird sich ändern. Radio hat heute eine völlig andere Bedeutung als noch zur Zeit vom 2. Weltkrieg. Wann haben Sie zum letzten Mal nur dank dem Radio etwas erfahren, dass von Bedeutung war?
Martin Steiger meint
Ich fürchte, einen solchen Dienst wird es nie (wieder?) geben können. Es mag Anbieter haben, die beste Absichten haben, aber auch sie werden dazu gezwungen, nicht vertrauenswürdig zu sein
Baresi meint
… Was ich will, ist eine Mischung aus Huffington Post und Flipboard. …
Mit anderen Worten, die TaWo online wäre gar nicht so schlecht unterwegs, wenn sie es noch klarer und vielfältiger umsetzen würde?
M.M. meint
Absolut. Aber die sind noch immer Gefangene der Printwoche. Ich würde die einstellen und mit einem neuen Namen plus neuem Onlineauftritt neu starten. Online kennt keine Kantonsgrenzen.
Siro meint
20 jahre wird es nicht dauern, das geht rasanter. 1993, also 20 jahre zurück: es gab es für den konsument technische errungenschaft einen 486er-pc mit floppy-disk und ohne soundkarte, telephonkabinen mit taxcard und telephonbüchern(sic!), karteikärtchen in der bibliothek, sparhefte (ich glaube noch kein einziges internetbanking!), sbb-kursbücher etc. etc. eine andere welt …
p.s.: man verabredete sich am vormittag in der schule, sich am nachmittag um 14:00 am barfi, TT, zu treffen.
Sahara-Jones meint
Keine Zeitungen mehr in 20 Jahren? Da lachen ja die Hühner. Wenn ich sehe, was die Gratiszeitungen für Auflagen haben, ist es nur eine Frage der Zeit, bis dort wieder und wieder ein neuer Player versucht, etwas Neues nebst 20Min und BaA zu bringen. Vielleicht kommt dann sogar wieder etwas journalistische Qualität – aufgrund von Konkurrenz – auf. Ganz abgesehen von den Sonntagszeitungen. Es ist ein Lesevergnügen der speziellen Art, auf der Couch unrasiert und im Trainer, zu fläzen und sich durch die Papierhaufen zu schnäuggen. Das kann mir ein Bildschrim nieundnimmer bieten – auch in 20 Jahren nicht.
M.M. meint
Träumen Sie weiter. Und kaufen Sie sich gelegentlich ein Tablet. 20Min plus das neue Onlineportal aus Zürich werden die Vorreiter sein.
Ich bekomme schon seit zwei Jahren keine Zeitungen mehr auf Papier geliefert. Und lese – ausser hin und wieder ein altes Fachbuch – nur noch E-Books.
Es wird keine Zeitungsleser mehr geben (und die paar Übriggebliebenen zählen nichts mehr).