Gestern Abend auf dem zweiten Kanal hängengeblieben. „Die Verlegerin“ (The Post). Dünne Story. Bekannte Schauspieler. Herausragender Regisseur.
Das war jedoch nur die Begleitmusik.
Ich bin hängengeblieben, weil der Film ein Schaufenster in die glorreichen 70er-Jahre ist.
Leute, damals war alles um einiges besser als heute.
Im Journalismus.
Bin 1974 eingestiegen. Per Zufall. Sass beim Bier in der Rio Bar und einer am Tisch beim Fenster fragte: „Kennt ihr jemanden, der ab und zu etwas aus dem Oberen Baselbiet für uns schreiben kann?“
Wir wohnten damals in Langenbruck, also sagte ich: „Ich“. Obwohl ich nicht wusste, was er unter „für uns“ verstand.
Ich hatte damals nicht mal eine Zeitung abonniert. Hat auch keiner gefragt.
Aber immerhin hatte ich früher in der Schule ziemlich gute Aufsätze geschrieben.
Ich hatte eben den Job als Organisator in einem Handelsunternehmen beendet, d.h., die hatten mir gekündigt, weil der Job nach zwei Jahren erledigt war.
Hatte dort die Grundlagen erarbeitet, die Betriebsabläufe festgehalten, Testprogramme geschrieben und die Formulare entworfen für die Umstellung der Warenlogistik auf EDV, die man in der Schweiz damals noch EDP nannte.
Nach den beiden Indienreisen hatte ich mich mit unterschiedlichsten Jobs durchgeschlagen. War Bürolist bei einer Krankenkasse, Hilfsbuchhalter und Lieferwagenchauffeur in einem kleinen Industriebetrieb, Hilfspfleger im Kantonsspital, Dachdecker beim Nachbarn.
Das war im Frühjahr ’74 und ich wusste eigentlich nicht so recht, was ich künftig tun wollte. Ich war mir jedoch ziemlich sicher, dass ich nicht mehr in einem Bürojob arbeiten werde.
Einen an sich vielversprechenden Job in einer internationalen Unternehmensberatung hatte ich ausgeschlagen.
Wir fuhren stattdessen mit dem Döschwo den Sommer über für drei Monate nach Griechenland.
Die meiste Zeit verbrachte ich mit Lesen. Und mit ausgedehnten Spaziergängen mit dem Hund.
Fasziniert hat mich damals Henry Miller. Der konnte scheinbar mühelos locker drauflos schreiben.
Das war das eine.
Das andere war, dass er zuletzt als Büroangestellter arbeitete, so wie ich. Und dann den Bettel hinschmiss, um als Schriftsteller zu leben.
Schriftsteller, dachte ich, ist doch eine tolle Sache. Da brauchst du nicht mehr als eine Schreibmaschine und Papier.
Mit 25 kannst du noch alles werden, da hast du noch ein ganzes Leben vor dir.
Urs Michel vom Basler Volksblatt sagte zu mir: „Okay, gib mir deine Telefonnummer, ich rufe dich an, wenn wir was haben.“
Das war an einem Dienstag.
Am Donnerstag kam der Anruf: „Kannst du am Samstag zur Jahresversammlung des kantonalen Feuerwehrverbands nach Niederdorf. Brauche am Sonntagnachmittag sechzig Zeilen.“
„60 Zeilen?“
„Ja, 35 Anschläge pro Zeile!“
Am Samstag in der Turnhalle, freundliche Begrüssung der Medienvertreter, Block und Bleistift. Und als der Präsident vom Feuerwehrverband Baselland vorne am Pult zu reden anfing und ich meine Notizen machte, da war die Frage, wie weiter?, weggefegt.
An diesem Morgen wurde mir klar: „Das ist es!“
Michel hat am Sonntag meinen Bericht komplett umgeschrieben.
Nach einem halben Jahr und weiteren Beiträgen für die Zeitung, haben sie mich als Volontär eingestellt.
Für 1000 Franken im Monat. Zeugnisse oder ein CV wollte niemand sehen.
Ein Jahr später wurde ich Redaktor (im Impressum festgehalten) und ein weiteres Jahr später stellvertretender Chefredaktor.
Die goldenen Zeiten des Journalismus – ja, ich habe auch die erlebt.
Der Film am Sonntagabend auf dem zweiten Kanal war eine Reise in die Vergangenheit, in die Zeit, als es noch den Bleisatz gab, der von den Maschinensetzern geprägt wurde. Und Metteure, mit denen du die Seiten umbrochen hast.
Stolze Berufsleute, auf die du dich verlassen konntest.
Da war es durchaus noch üblich, im Sommer, nach einem anstrengenden Sonntagsdienst, eine Kiste Bier zu spenden.
Wenige Jahre später, als die Maschinensetzer durch flinke Tippösen ersetzt wurden und die Metteure statt mit Bleikolonnen zu hantieren, mit dem Skalpell die Fotosatzstreifen zurecht schnitten, gab es nur noch eine Münze für den Kaffeeautomaten.
So änderten sich die Zeiten.
Aber 1974, da war dieser Fernschreiber, der laut klappernd die Nachrichten der Schweizerischen Depeschen-Agentur lieferte. Überhaupt dieser Lärm in den Büros, wenn drei Journalisten gleichzeitig ihre Schreibmaschinen malträtierten, mit einem oder zwei Fingern.
Ich war der einzige, der das Zehnfingersystem beherrschte. Dank einer soliden Ausbildung als Kaufmann.
Und „ratsch“ das fertige Manuskript aus der Schreibmaschine gerissen und weg damit zur Korrektur.
Es eilt!
Ich erinnere mich an den Geruch der frischgedruckten Zeitung, an die Hitze im Maschinensaal. An die lebhaften Diskussionen auf der Redaktion.
Und ans Feierabendbier mit den Redaktionskollegen. Jeden Abend.
Ich erinnere mit an den Stress, wenn du in Italien in den Ferien warst, und verzweifelt herumliefst, um an einem Kiosk die neuesten Zeitungen aus der Schweiz und den SPIEGEL aus Deutschland zu bekommen.
Wenn du Journalist bist, dann bist du das auch in den Ferien.
Dann ist alles, was dir jemand sagt, was du siehst und was du liest, eine Geschichte, der man unbedingt nachgehen muss.
All the President’s Men war DER Journalistenfilm unserer Generation.
1976 war ich siebenundzwanzig und fühlte mich so lässig wie Robert Redford und Dustin Hoffmann. Was mir fehlte, war einzig eine grosse Story wie Watergate.
Aber es gab auch bei uns ein paar kontroverse Themen.
Markus meint
Wenn man sieht, durch wieviele Modernisierungen und Umstrukturierungen die BAZ ging, die letzten Jahre, da mutet ein Bleisatz an, wie Lederordonanz Schuhe, die wir in der RS Anfang 80 Jahre tragen mussten! Die waren bereits damals schon von unzähligen Rekruten vor uns getragen worden. Waren das die goldigen Zeiten? In der melancholischen Erinnerung tendiert der Mensch doch dazu, alles zu verherrlichen. Zum Glück gibt es jedoch Erinnerungen, die helfen, die Gegenwart zu schätzen, und zufriedener zu sein. Auch Corona ist nicht so schlecht. Vor 100 Jahren starben junge Menschen an Erkrankungen, die man heute mit Antibiotika leicht heilen kann. Dürfen wir daher nicht auch akzeptieren, dass ein kleiner Prozentsatz älterer Menschen daran stirbt?
M.M. meint
Meine beste Zeit war schon immer jetzt.
Markus meint
Finde ich auch: Today is the first day of the rest of my life!
Arlesheimreloadedfan meint
Herr Markus !
Im Vergleich mit den genagelten Militärschuhe,waren UND SIND die Leder Militärschuhe,das goldene Zeitalter des Schuhs!
Mit einem richtigen Lederschuh,mit der von Ingenieur Herzog entwickelten KTA-Gummisohle,wäre Frau Blocher kaum ausgerutscht.
An den Füssen der meisten Menschen,sehe ich bloss Abfall.
Für Sie mag das Fortschritt sein.
Markus meint
Das hab ich noch nie gehört! HD Läppli hat die sicher gerne auf der Bühne getragen, aber rennen Sie Mal 10 km in diesen unbiegsamen, ungeschmeidigen, Lederkisten. Das schafft keiner, ohne Blasen. Und Frau Blocher erst recht nicht!
Arlesheimreloadedfan meint
Alfred Rasser gab mir mal 5000 Fr.für eine Zeitung,aber wie er mit seinen Schuhen zurecht kam hab ich ihn nicht gefragt!
Ich rannte mal 50 Kilometer mit dem Sturmgewehr auf dem Rücken und ich hatte keine einzige Blase.
Richtige Schuhe brauchen richtige Pflege,1968 lernte man das im Militär noch.
Den Militarismuss muss man politisch bekämpfen,nicht in dem man seine eigenen Füsse zur Sau macht.
Michael Przewrocki meint
Hab beide-Urs und Manfred mal im Büro Petersgasse getroffen. War einer der lieber eigene Fotofeatures produzierte als für die Schule aka Zukunft zu lernen. Für Offizielles war Peter Schnetz zuständig. Aber ein Foto von den beiden hab ich nicht gemacht. Sonst damals immer Exakta dabei. Offenbar war die zuhause oder das Bürogeschehen zuwenig ergiebig. Mein erstes Zeitungsfoto entstand von der Baustelle Gym Oberwil 1971-zwei Jahre nach dem 1. Fotoapparat. Peter Armbruster Basler Nachrichten stand exakt an derselben Stelle.
Arlesheimreloadedfan meint
Aber Hüt.
Seit Monaten suche ich Auflagezahlen (Wie viele Zahlende sie für die gedruckten Ausgaben noch ausweisen können. Staatsgeheimnis ?
M.M. meint
Wikipedia:
https://de.wikipedia.org/wiki/Basler_Zeitung
https://de.wikipedia.org/wiki/Bz_-_Zeitung_für_die_Region_Basel
https://de.wikipedia.org/wiki/Neue_Zürcher_Zeitung
Arlesheimreloadedfan meint
Herzlichen Dank auch,vermutlich Schafte ich es nicht,weil ich gefühlt bald keinen Menschen mehr kenne,der noch eine gedruckte Zeitung im Briefkasten holt und die Zahlen erstaunlich hoch sind.
1973 schickte ich der Nationalzeitung 7 Zeilen,worauf der Briefträger mir 80 Fr. an die Haustür brachte.
Also reiste ich nach Basel und stieg direkt zu Manuel Isler hoch,er und die Praktikantin Franziska Kümmerli waren unglaublich nett,ABER !
Bin ganz glücklich dass ich nie Journalist wurde.