Noch ein Bonusbild aus der Petersgrabenreihe.
Kürzlich waren wir in Kopenhagen. Geschäftlich.
Dank der europäischen Ausgabe von SpiceJet sind wir für weniger Geld hingeflogen, als das Zugsticket nach Zürich gekostet hätte.
Gut, 1. Klasse.
Schnuckelige Wohlfühlstadt, dieses Kopenhagen.
Weil der 2. Weltkrieg sich dort nicht so ausgetobt hat wie anderswo, entdeckt man beim Stadtspaziergang noch sehr viel alte Bausubstanz, die inzwischen, wie es sich gehört, sorgfältig restauriert ist.
Der Touri in mir fühlte sich wohl.
Obwohl – auf die Dauer ist es mir in Kopenhagen zu flach.
Länger dort, müsste ich mir einen Hügel schaufeln, dachte ich, wollte ich was von der Ferne sehen. Oder täglich auf einen Turm steigen.
Gestern Smalltalk mit meinem Geschäftspartner aus Dänemark in Basel.
Er flog erstmals mit der europäischen Ausgabe von SpiceJet und hat sich schwer gewundert. Für andere Destinationen muss er die heimische SAS nehmen, bei der kostet der Flug von Kopenhagen nach Brüssel 550 Euro.
Der nach Basel habe lediglich 110 Euro gekostet. Was ja für diesen Low-cost Carrier auch nicht gerade billig ist.
Nun gut.
Wir haben über dies und das geredet. Zum Beispiel über das politische System in der Schweiz. Welches dadurch geprägt ist, dass es noch immer viele Citoyens gibt, die für wenig Sitzungsgeld öffentliche Aufgaben übernehmen.
Zum Beispiel war sie vor Jahren Präsidentin der acht Arlesheimer Kindergärten, was soviel wie Geschäftsführerin bedeutet hat. Für ungefähr 6’000 Franken, sagt sie eben.
Im Jahr.
Ah, sagte mein Gesprächspartner. Seine Frau sei auch Chefin von drei Kindergärten. Allerdings staatlich angestellt mit 41 MitarbeiterInnen.
Kindergärten, Schulen und Universitäten seien gratis in Dänemark. Und überhaupt seien praktisch alle staatlichen Leistungen gratis.
Und ab 18 bekomme jeder Jungdäne – auch Frauen – bis zum Ende der Ausbildung ein Grundeinkommen von 1’000 Euro im Monat. Das entlaste das Haushaltsbudget der Eltern doch ganz beträchtlich.
Er hat drei Kinder.
Wir haben vier und unser Jüngster ist seit März von unserer Payroll.
Womit wir unweigerlich beim Steuersatz landeten. Denn gratis ist bekanntlich grundsätzlich mal gar nix.
Entweder du bezahlst den Unterhalt für deine studierenden Kinder direkt per Banküberweisung oder du zahlst den Unterhalt deiner studierenden Kinder über die Steuerrechnung.
„Wie hoch ist denn der Steuersatz in Dänemark“, fragte ich und schob als mögliche Antwort „45 oder gar 50 Prozent?“ nach.
„65 Prozent“, sagte mein Gesprächspartner, „wenn du 100’000 Euro verdienst, bleiben die noch 35’000 Euro.“
„Wie verdammt nochmal kann man mit diesen restlichen 35’000 Euro leben? Und überhaupt: Weshalb soll ich dann überhaupt anständig verdienen, wenn ich mit weniger Einsatz unterm Strich gleich viel habe?“
Er schaute etwas ernster drein und meinte: „Dafür ist bei uns alles gratis.“
Und wer wie sein Sohn, der staatliche Kindergärtner, nie in seinem Berufsleben Aussicht auf ein höheres Einkommen habe, bekomme staatliche Beihilfen für die Miete oder den Kauf eines Hauses.
Und so weiter und so fort.
Die Mehrwertsteuer auf Krawatten und Smørrebrød beträgt 25 Prozent.
Aber der Hammer ist die Steuer auf Neuautos. Sie beträgt sage und schreibe 200 Prozent.
Dieser Steuersatz sei kurz nach dem 2. Weltkrieg quasi als Reichtumssteuer eingeführt worden. Und es sei halt wie überall: eine Steuer wird niemals mehr abgeschafft.
Dänen wie er, der Mann ist Executive Vice President einer ziemlich grossen, weltweit tätigen Firma, kaufen statt neuer Audis oder BMWs dreijährige Occasionen aus Deutschland.
Weil die nicht mehr so hoch besteuert werden.
Viele Dänen fahren Velo, auch weil’s schön flach ist.
Sissachr meint
Ja – für gewisse Schweizer natürlich der innerste Kreis der Hölle: 65% Steuern! Da würde sich manch einer lieber den rechten Arm amputieren lassen, als so leben zu müssen. Im Kleinen sieht man das ja schon bei den stinkreichen unterbaselbieter Gemeinden, die lieber Bibliotheken und Jugendtreffs schliessen, Vereinsbeiträge streichen und am Nachttaxi sparen, als den wirklich tiefen Gemeindesteuerfuss auf sagen wir moderate 50% zu erhöhen – es käme wohl zu spontanen Massenharakiris am Goldhübel änen.
Eigenverantwortung – da lachen ja die Hühner. Spätestens, wenn man mal eigenverantwortlich mit 1.6% am Steuer erwischt wird, wird man nicht einfach saftig gebüsst, sondern gleich auch noch zwangssozialisiert, entrechtet und der Staat kontrolliert, ob man wirklich nur auch zwei Bier pro Woche trinkt, indem sie monatlich Haaranalysen einfordern können. Noch nie war 1984 so nahe.
Sissachr meint
… ähm, Promille, Promille, nicht 1.6%. Da wäre dann schon staatliche Härte gerechtfertigt…..
Gregor Stotz meint
@“Sie sind glücklich, die Dänen. Weil sie nichts anderes kennen“ Du meinst wie der Tiger, der im Zolli geboren wurde. Er kennt nichts anderes…. 😉
M.M. meint
Genau so 🙂
Aber ich denke, dass die eine Königin haben, spielt eine enorme Rolle fürs Wohlbefinden.
Sie wohnen bei Muttern, die Dänen.
Grummel meint
Da staunt der neoliberale Power-Rentner und Berufszyniker natürlich: Wie bekommen die das nur hin?
Vielleicht mit einer Grundhaltung, die bei uns in den Achtzigern als erstes abgeschafft wurde: Gemeinsinn.
Nein, nicht abgeschafft, ersetzt: «Gemein_sein(punkt)com».
Nö nö, keine Chance M&M: Diese Domäne ist bereits reserviert.
fred david meint
„Eigenverantwortung“ ist gerade in der Schweiz eine beliebte Ausrede für die dem Bürger aufgehalsten Kosten, die dieser in Wahrheit kaum beeinflussen kann.
Ein Beispiel von vielen : überzogene Krankenkassentarife (als Vater von 4 Kindern kennen Sie das). Oder abenteuerliche Seniorenheimkosten (als Sohn einer 99jährigen Mutter weiss ich das), Bildungskosten etc. etc.
Aber wenn man die grossartige „Eigenverantwortung“ genau anschaut, stellt man fest: hinten herum wird vom Staat ja doch kräftig subventioniert. Man tut bloss so, als wäre das alles „Eigenverantwortung“. Von der Landwirtschaft wollen wir gar nicht reden.
„Vorteil“: Das schweizerische System ist für den Bürger ungleich komplizierter. Und es funktioniert so lange prima, so lange die hohe Löhne weiter steigen. Ist das einmal nicht mehr der Fall, wird es schnell eng werden. Ich meine, wir spüren davor die ersten Ausläufer.
Die Dänen sind einfach nicht so eindimensional geldlfixiert wie viele Schweizer. Das dänische System funktioniert keineswegs schlechter als das schweizerische, die Wirtschaft boomt – und die Dänen sind keinen Deut weniger glücklich – im Gegenteil. Aber sie geniessen ihr Glück entspannter http://www.sueddeutsche.de/leben/meinungsumfrage-glueckliche-daenen-maessig-gelaunte-deutsche-1.1971846
M.M. meint
Dänemark ist ein sozialistisches Königreich. Deshalb sind die so glücklich. 😉
fred david meint
Naja, das „sozialistische Königreich“ nimmt in Sachen Privatvermögen einen der vordersten Plätze ein. So kann „Sozialismus“ durchaus Spass machen. Von 2001-11 wurde D. von einer Mitte-Rechts-Regierung regiert, seitdem von einer sozialdemokratischen Minderheitenregierung. So wild ist das also nicht mit dem Sozialismus, und die periodischen Machtwechsel tun offenbar gut. In der Schweiz regiert hingegen seit 1848 ununterbrochen eine bürgerlich-rechte absolute Mehrheit – was der inneren Hygiene des Landes nicht nur gut tut, wie man zunehmend merkt….
fred david meint
….übrigens wenn wir grad beim „nordischen Sozialismus “ sind: Der norwegische Staatsfonds, in den vor allem Erträge aus Oel und Gas fliessen, hat einen aktuellen Stand von ca. 800 Milliarden Euro. Die Regierung kommt da aber nicht ran. Ein ziemlich hohes Mass an Eigenverantwortung, nicht? Beides beruhigt, die Bilanz und der verwehrte Zugriff für die Politik. Jährlch wird nur wenig an die Staatkasse ausgeschüttet, aber es genügt, um einen sehr gut ausgebauten Sozialstaat zu finanzieren. Von „sozialistischen Königreichen“ kann die Schweiz durchaus noch dies und das lernen….
Städter meint
Und trotz allem funktioniert die skandinavische Logik – neben der schweizerischen – in Europa erstaunlich gut. Ich denke, zentral ist die Frage: Findet die Mehrheit einer Gesellschaft ein System lebenswert oder nicht. Dinge wie Steuerbelastung etc. sind stets verhandelbar, entscheiden aber nicht absolut über Glück oder Unglück.
M.M. meint
Sie sind glücklich, die Dänen. Weil sie nichts anderes kennen. Alle bezahlen rein in die gemeinsame Kasse und alle bekommen was aus der gemeinsamen Kasse.
Jeder möglichst viel für sich.
Das Wort „Eigenverantwortung“ wird in Dänemark ganz klein geschrieben. In allen Bereichen. Kunststück.