Da lebt also ein Mann schon seit Wochen mitten in der Stadt auf dem Barfi.
Und keinen scheint es zu kümmern.
Schon gar nicht die Medien. Die schreiben lieber über SVPGLPFDPCVPBastagrün als übers wirkliche Leben.
Manchmal sitzt er einfach dort vor einem Haufen, den wir als Müll bezeichnen würden und er als seinen ganzen Besitz.
Er sitzt da und wenn es nicht so abgedroschen wäre, könnte man sagen, er wartet auf Godot.
Aber wahrscheinlicher ist, dass er einfach die Zeit damit verbringt, zu warten, bis ihm jemand ein wenig Münz in den Blechteller wirft.
Manchmal ist er weg und nur sein Gerümpel erinnert daran, dass sich da jemand auf der Tramstation häuslich eingerichtet hat.
Die Menschen schauen und wundern sich.
Weil jedoch der Barfi – ausser für ihn – kein Ort zum langen Verweilen ist, scheint für die meisten für echtes empört sein keine Zeit zu bleiben.
Was mich wundert, dass noch kein Journalist, kann auch eine Frau sein, auf die Idee gekommen ist, ein einfühlsames Portrait über diesen „rough sleeper“ zu schreiben.
Wer ist der Mann?
Wo kommt er her?
Welches Schicksal hat ihn in die Obdachlosigkeit getrieben?
Wie lebt es sich auf dem Barfi?
Wie sieht sein Alltag aus?
Was sagen die Behörden?
Was sagen die Leute auf dem Barfi.
Da geht es nicht um Voyeurismus, sondern ums Verstehen wollen. Und auch um eine völlig andere Perspektive von jemanden zu erleben, für den der Barfi nicht bloss eine Zwischenstation, sondern ein Ort zum sich niederlassen ist.
Wäre doch spannend, so was zu lesen.
Und wer das Thema an die Hand nähme, müsste den Ehrgeiz haben, damit einen Journalistenpreis gewinnen zu wollen. Einfach um die Latte mal höher als üblich zu hängen.
Kurz: Klasse geschrieben müsste das sein, ein Longread ohne die altbekannten Clichés zu bedienen. Illustriert von Top-Fotos. In Schwarzweiss.
Aber wahrscheinlich ist da gar keiner in den Basler Redaktionen, der das kann.
Seit Michael Bahnerth in Richtung Zürich auf und davon ist, fehlt in Basel einer, der ein solch anspruchsvolles Thema stemmen kann.
Schade.
Walter Basler meint
Vor Jahren habe ich für das Strassenmagazin Surprise mehrmals über „Menschen am Rande der Gesellschaft“ geschrieben. Unterschwellig spürte ich bei mir (und der Redaktion) jeweils die Hoffnung, die Leute würden ein Gefühl von anarchistischer Freiheit vermitteln. Schliesslich foutieren sie sich so unverfroren um jegliche bürgerliche Konventionen, dass es etwas Befreiendes haben könnte. Das sollte sich dann in meinen Porträts zeigen, war die Erwartung.
Die Begegnungen mit den Aussenseitern waren dann meist eher ernüchternd. Aus einem Grossteil von ihnen kriegte man nichts Vernünftiges heraus, weil sie zu besoffen oder stoned waren. Viele denken wirklich nur bis zur nächsen Münze, bzw. zum nächsten Bier. Mit anderen war ein Gespräch möglich, aber sie waren ziemlich abgelöscht und nicht wirklich willens oder fähig, sich Gedanken über ihre Lage zu machen. Erschreckend oft war das gekoppelt mit psychischen Problemen, die sie nicht in den Griff kriegten. Ihre Lebensgeschichten, warum sie durch das soziale Netz gefallen waren, zeugten vielmals von einer sturen Verweigerungshaltung („von diesem Scheissstaat nehm ich kein Geld“, „mein Hund ist mir wichtiger als meine Zähne“). Die Frage, was sie sich im Leben wünschten, wurde meist beantwortet mit: Heiraten, geregelter Job, Haus mit Garten.
Journalistisch da etwas Interessantes draus zu machen, fand ich dann schwierig. Das soll jetzt natürlich kein Grund sein, um solche Menschen nicht in die Medien zu bringen. Und der Mann vom Barfi lebt so konsequent auf der Strasse wie in der Schweiz vermutlich wenige. Aber all zu viel würde ich mir von einer Begegnung nicht erhoffen.
M.M. meint
Danke, interessante Wortmeldung.
Meury Christoph meint
Ihr müsstet euch mal zuhören und das Geschrieben nochmals kritisch reflektieren. Redet doch mit dem Menschen am Barfi, wenn’s euch interessiert. Der Mensch euch interessiert. Jetzt einfach auf die geile Story und die tollen Fötelis zu warten, ist ziemlich cheap. Es geht nicht um die grosse Freakshow. Es geht um einen Menschen und sein spezifisches Schicksal. Ja, vielleicht will er angesprochen werden…
M.M. meint
Baresi meint
… Da lebt also ein Mann schon seit Wochen mitten in der Stadt auf dem Barfi. …
Eher seit Jahren als seit Monaten, falls es der gleiche Mann ist, der vorher bei der Verkehrssignalstange mit dem Fahrverbot Ecke Kohlenberg/Steinenvorstadt gelebt hat.
Thomas Zweidler meint
Ja, jetzt merkt man, das Basel keine richtige Zeitung mehr hat. Mit Somm und seiner Boygroup wäre schon lange (aufgeregt) darüber berichtet worden.
Aber jene, welche jetzt in der BaZ sitzen, haben stets die Sonnenstoren unten am Aeschenplatz, schlummern vor sich hin und warten auf den Lohn von Tamedia aus Zürich.
Gar nicht mehr von Motivation. Klar, es fehlt auch der listige Motivator, der von seinem Mini-Pültchen im Chefbüro mit dem Ironie-Plakat „Wählt sozialistisch“ im Hintergrund der heitere Treiber war.
Schade.
(Das hat die „Rettet-Basel“-Anti-BaZ-Gruppe gut hingekriegt.).
Paule meint
Sie könnten das auch, was der Einstieg durchaus verspricht.
NIGGI ULLRICH meint
Zuspruch: gute Idee. Ein echter Kick!
Einspruch: Ich stelle mir vor, wie sich die „klasse geschriebene Geschichte“ über den Mann am Barfi von M.B. lesen würde…und bin daher über seinen Weggang von Basel nach Zürich nicht so unglücklich wie M.M. Nicht jeder „Longread“ ist eine Offenbarung, nur weil er gut illustriert ist. Handwerk ja, human content dito.
Vischer Christoph meint
Das, lieber MM, ist ein echt gutes Thema! Warum eigentlich knieen nicht sie sich in diese Geschichte rein? Sie haben einen allfälligen Rahmen bereits abgesteckt. Sie haben eine gute Schreibe. Zudem vermissen sicher viele BaZ-Leser Ihre Mittwoch-Kolumne. Also wärs eine tolle Sache, wenn sie sich mit den Barfi-Mann zurückmelden. Und zwar mit s/w-Fotos, die ja immer wieder in ihrem NL zur Geltung kommen.
Und zu Bahnert: zum Glück kann man seine vorzügliche Schreibe immer auch noch in Basel regelmässig lesen und nun haben sie ihn halt in Zürich entdeckt.
E scheen Wuchenänd, Christoph Vischer