Im Moment lese ich das verblüffendste Buch seit langem.
Wenn nicht seit überhaupt.
Da war da zunächst diese Sendung auf 3sat. Drei Wissenschaftler diskutieren eine geschlagene Stunde über – Pilze.
Und dazwischen kurze Reportagen.
Man sitzt da und denkt bei jedem zweiten Satz: F***k, das habe ich auch nicht gewusst.
Zum Beispiel, dass es ohne Pilze schlicht kein Leben auf diesem Planeten gibt. Oder dass Pilze die ökologische Sauerei, die wir hinterlassen, wegputzen.
In einem Einspieler kommt Anna Lowenhaupt Tsing zu Wort, Professorin für Anthropologie, die das Buch „Der Pilz am Ende der Welt“ geschrieben hat, das Scobel in die Kamera hält.
Ich hab’s gleich runtergeladen.
Das Buch handelt vom Matsutake-Pilz, der nach einem Gemisch aus Chilli und feucht-muffligen Wollsocken riechen soll, der in Japan wohl deshalb als Delikatesse gilt und für den entsprechend hohe Preise bezahlt werden.
Matsutake wird nicht nur als Geschenk für besondere Anlässe benutzt, sondern auch zur Bestechung.
Und dann noch die Ökologie und der Pilz: Das neue Leben in Hiroshima begann mit dem Matsutake, der in den Atomtrümmern vortrefflich gedieh.
Doch die Anthropologin hat nicht bloss ein Buch über einen übel riechenden, sauteuren Pilz geschrieben, sondern auch ein Buch über die unwiderruflichen Veränderungen des globalen Ökosystems.
Und über das damit verbundene kapitalistische Wirtschaftssystem.
Es ist keine linke Kampfschrift, sondern ein Ausbreiten des Tatsächlichen.
Das Faszinierende, das Überraschende an diesem Pilzbuch ist, dass hier etwas von uns allen wenig Beachtetes, was ist in unserer Weltordnung schon ein Pilz, nicht im Waldboden bleibt, sondern mit unserer Zivilisation verknüpft wird.
Nicht nur viele Pflanzen leben mit dem Matsutake in einer „netzwerkartigen Notgemeinschaft“, sondern offenkundig auch wir.
Man erfährt, wie in den Wäldern Oregons, wo eine Unterart des Matsutake wächst, ein mulitikultureller Mix aus südostasiatischen Bergvölkern – Flüchtlinge des Vietnamkriegs – nach dem Pilz suchen.
Und werden an diesem und anderen Beispielen an die “Ränder des kapitalistischen Warensystems” geführt, dorthin, wo prekäre Arbeitsverhältnisse die Regel sind.
Ich habe erst knapp die Hälfte des Buches gelesen. Keine Ahnung, was noch folgen wird.
U. Haller meint
Auch spannend sind die Mykorrhizapilze, mit denen ich es zu tun habe.
Linder Karl meint
hey, und im übrigen: Es ist grad Morchel Zeit, Augen aufhalten 😉
Heinz Schwamm meint
Willkommener Hinweis, für einmal ein etwas anderer MM…