
Unsere direkte Demokratie ist gefährdet. Vielen wird dieser Satz reichlich übertrieben vorkommen. Doch wer sich beruflich mit der politischen Kommunikation beschäftigt, sieht die Gefahr, die von Bots und KI ausgehen.
Es ist an der Zeit, dass die Finanzierung von Abstimmungskampagnen transparent gemacht werden muss.
Vor ziemlich genau einem Jahr habe ich einen kritischen Kommentar zum Big-Data-Geschäft von Cambridge Analytica geschrieben, einem britischen Unternehmen, das jetzt auch in der Schweiz für Schlagzeilen sorgt und das wegen seiner Rolle bei der Trump-Wahl und des Brexit-Entscheids kritische Fragen aufwirft.
Big Data bedeutet im Wesentlichen, dass alles, was wir online und offline machen, digitale Spuren hinterlässt.
Jeder Einkauf, den wir mit unseren Karten tätigen, jede Suche, die wir in Google eingeben, jeder Stadtgang, den wir mit unserem Handy in der Tasche machen, jedes «Gefällt mir» – alles wird gespeichert.
Vor allem «Gefällt mir» auf Facebook hat es in sich.
Lange Zeit war nicht klar, was man mit all den Daten machen kann. Doch 2014 kam der Durchbruch.
Zwei Cambridge-Doktoranden gaben mit ihren Forschungsarbeiten einem bis dahin nur wenig beachteten Zweig der Psychologie, der Psychometrie, einen neuen Schub. Psychometrie, manchmal auch als Psychografie bezeichnet, konzentriert sich auf die Messung psychologischer Merkmale, um daraus Persönlichkeitstypologien abzuleiten.
Je mehr Daten man über eine Person hat, desto präziser kann man voraussagen, wie diese künftig handeln wird.
Auf die Politik bezogen geht es also nicht mehr darum, die Stimmbürger mit zugespitzten Informationen zur Sache zu überzeugen, sondern ihnen personalisierte Nachrichten zu liefern, von denen man weiss, wie sie die Person in ihrem Wahl- und Abstimmungsverhalten emotional beeinflusst.
Meine damalige Schlussfolgerung: «Das sind keine der üblichen Abstimmungskampagnen mehr, sondern militärisch anmutende psychologische Operationen mit dem Ziel, bei jedem einzelnen Wähler den passenden emotionalen Schalter umzulegen.»
Wer meint, das seien Spinnereien, die in unserem direktdemokratischen System keine Rolle spielen, der sollte das erstaunlich freimütige Interview der Handelszeitung mit dem Chef der Berner Kommunikationsagentur Enigma lesen. «Wir setzen in der Tat ähnliche Instrumente in der Datenanalyse, der Beeinflussung von Wählern und der Steuerung von politischen Kampagnen ein wie Cambridge Analytica.» Und: «Wir sind in der Lage, Inhalte gezielt an ein empfängliches Publikum zu verbreiten. Aus dem Klickverhalten können wir feststellen, ob jemand dem «Nein»-Lager angehört und können die Wähler – je nach Auftrag – in ihrer Meinung bestärken oder mit Argumenten dagegenwirken.»
Es gibt keinen Weg, diese Entwicklung zu stoppen.
Aber man muss das Problem an der Wurzel angehen, bei der Finanzierung. Abstimmungskomitees müssen von Gesetzes wegen zur Transparenz gezwungen werden: Wer gibt wie viel für welche Informationskanäle aus, woher stammt das Kampagnengeld?
Und: es muss Ausländern verboten sein, Kampagnen zu finanzieren.
In ganzseitigen Zeitungsinseraten (!) hat sich inzwischen Facebook-Chef Zuckerberg von den Cambridge-Analytica-Methoden distanziert: «I’ve been working to understand exactly what happened and how to make sure this doesn’t happen again.»
Zuerst erschienen in der Basler Zeitung vom 28. März 2018
Rudolf Mohler meint
Da liefert M.M. bemerkens- und bedenkenswerte Informationen und einen wertvollen Link zu dem HZ-Interview mit einem der Inhaber der Berner Firma Enigma.
„Es gibt keinen Weg, diese Entwicklung zu stoppen.“ Ja, so muß man es wohl sehen.
Doch die Schlußfolgerung, mit der Offenlegung der Kampagnenfinanzierung könne man das Übel an der Wurzel packen, ist doch zu einfach.
Erstens geht es in diesem Zusammenhang nicht um die Mittelherkunft sondern um die Mittelverwendung.
Zweitens, wer alles mit staatlicher Regelung glaubt überwachen und kontrollieren zu können, lädt erfahrungsgemäß genau zum Wettbewerb in Umgehungskünsten ein.
Drittens ist diese Art der Einflußnahme in einer Kampagne ja nur das im Moment sichtbare Stück des Eisberges. Die kontinuierliche Beeinflussung ist mindestens so problematisch, wohl eher noch problematischer. Das greift über das Feld der politischen Einflußnahme weit hinaus und reicht in die Zonen von Wirtschaft und gesellschaftlichen Gruppierungen und Organisationen. Hier gibt es noch sehr viel zu tun.
Völlig einverstanden bin ich mit der Forderung, daß man die Finanzierungen aus dem Ausland unterbinden muß. Gerade die Berichte, wonach im Zusammenhang mit der Vollgeldinitiative ausländische Kreise die Schweiz als Testfeld nutzen wollen, sind äußerst bedenkliche Anzeichen. Nur frage ich mich auch hier: Wieviel ist da noch zu tun, um es zu verhindern?
Eine Schlußfolgerung, die keinen Applaus auslösen wird, ist für mich, daß man die elektronische Stimmabgabe bei Wahlen und Abstimmungen sofort nicht mehr weiterverfolgen sollte. Verschiedene IT-Sicherheitsfachleute warnen seit längerer Zeit vor kaum zu verhindernden Mißbräuchen. Diese Warnungen teile ich aus jahrzehntelanger Beschäftigung mit Informatik voll und ganz. Es ist nicht auszudenken, wohin das führen kann, wenn technischer Informatikmißbrauch in Abstimmungssystemen mit den gezielten Datennutzungen wie im Interview der Handelszeitung aufgezeigt, von interessierten Kreisen kombiniert zur „Resultatgestaltung“ eingesetzt werden.
G. Koller meint
Na klar, da besteht natürlich gar kein Zusammenhang!
Enigma macht alles, die würden sogar des Teufels Grossmutter erfolgreich als Bachelorette promoten … 😉