Ein junger Mann, der mir nahesteht, hat mich vor dem ersten Wahlgang für die Regierungsratswahlen gefragt, wen er wählen soll – die Bürgerlichen oder die Linken?
Er ist Lehrer und hat sich bewusst für einen Job in der Stadt entschieden. Er hatte keine Lust, sich auf der Landschaft mit politischen Irrlichtern rumplagen zu müssen.
«Wäre ich in deiner Situation», habe ich ihm, der bislang immer bürgerlich gewählt hat, gesagt, «würde ich die Linken wählen.»
Womit ich das Lamento bestätige, das die Bürgerlichen wie eine Monstranz vor sich hertragen: Basel-Stadt ist nur gut für Linke, Kantonsangestellte und Veganer. Weshalb sie nunmehr seit den Sommerferien die Wende fordern.
Und genau deshalb die Wahlen verloren haben, weil niemand eine Wende will.
In Basel und den beiden Landgemeinden leben überwiegend Menschen – parteipolitisch ungebunden – mit dem grünen, sozialen und trotzdem liberalen Lebensentwurf des modernen Urbanen: hoher Lebenskomfort in allen Belangen gepaart mit einer durch und durch umweltbewussten Lebensweise.
Nix «Stress in the City» sondern «Städte machen uns reicher, klüger, grüner, gesünder und glücklicher» (Harvard-Professor Edward Glaeser in «Triumph of the City»).
Das neue Urbane ist eine weltweite Bewegung.
Wenn man nach Erklärungen für die Resultate des ersten Wahlgangs sucht, dann muss man feststellen, dass sich die Bürgerlichen mit ihrer Autoverkehrsdiskussion auf dem Holzweg befinden.
Nehmen wir als Beispiel Arlesheim, das anders tickt als der Rest des Landkantons und deshalb jeweils so abstimmt wie die Städter.
Tempo dreissig auf allen Strassen? Keine Diskussion. Tempo 20 im Ortskern? Keine Diskussion. Bestes Trinkwasser aus der heimischen Quelle in der Badi für ein Minimum an Chemie? Aber sicher. Minergiestandard für Neubauten? Klar doch. Alles so selbstverständlich wie der Biowochenmarkt, die Quartierkomposthaufen und die vielen Elektrovelos.
Die stärkste Partei im Dorf ist die FDP, mit einem Wähleranteil von 35 Prozent.
Anders als in Arlesheim haben die Bürgerlichen in Basel-Stadt offensichtlich noch nicht begriffen, wie sich die Welt verändert hat.
Urbane wählen nicht aus ideologischen Gründen Links-Grün in die Regierung, sondern Männer und Frauen, die zur urbanen Elite gehören.
Es kann doch niemand ernsthaft behaupten, Herzog, Wessels, Brutschin und die biedere Frau Ackermann seien revolutionäre Linke. Das sind durchs Band konservative Biedermeier. Mit einer mehrheitsfähigen politischen Agenda: die von der Stadt als ökologisch-kulturelle Wohlfühlzone.
Was auch das gute Abschneiden der Liberalen erklärt.
Die Partei hat sich schon immer als urbane Impulsgeberin verstanden. Zur Erinnerung: Der Stadtentwickler, der in den letzten Jahren mehr Akzente gesetzt hat als jede SP-Regierungsperson, wurde seinerzeit vom Liberalen Peter Facklam geholt – explizit als Querdenker.
Die Uni, das Theater, Museen und Konzertsäle können nur dort existieren, wo genug Menschen gewillt sind, sich die hohen Fixkosten zu teilen.
Kurz: Mit zwei Liberalen mehr in der Regierung wäre die politische Ausrichtung keine andere, sondern die Regierungsarbeit einfach etwas intelligenter.
So gesehen ist es keineswegs ausgeschlossen, dass statt des strittigen Herrn Dürr die urbane Frau Mück in die Regierung einzieht.
Und dort die Genossen von der SP aus ihrer Kuschelecke aufschreckt.
Urs Eberhardt meint
Auf die Gefahr hin, persönlich zu werden: h.s. ist vermutlich kein Baselbieter. (Heikle Behauptung, angesichts der sprachlich raffinierten bzw. zügellosen Idiome ganz hinten am Tschoppenhof.) Aber rechnen kann h.s.. Das habe ich schon vielfach festgestellt. Wenn man aber politische Probleme mit gutem Rechnen lösen könnte, wäre Leonhard Euler als Karl Marx, als Bismarck oder zumindest als Churchill in die Geschichte eingegangen. Und aufs Alter hin vielleicht sogar als Regierungsrat in seine Heimatstadt zurückgekehrt.
Auch Herrn Przewrocki möchte ich nicht auf Anhieb mangelnde Ortskenntnis unterstellen. Da ich aber in den Siebzigern sowohl direkt auf die Basler Gundeldingerstrasse wie auf die Zürcher Weststrasse gewohnt habe, wo es damals weder Katalysatoren, noch Öko-Sprit gab und ich trotzdem nicht starb, bei 113dB zeitweise, möchte ich wissen, wieviele Jahrzehnte er sich im aktuellen Basel für die angekündigte Selbstvergasung gibt. (Oder dann natürlich wie er sonst auf sein originelles Bild kam.)
h.s. meint
@Urs Eberhardt, @M.M., @Gotte.
Klarstellung:
1. Ich behaupte, dass die Bürgerlichen in Basel deshalb den Wahl verlieren oder verloren haben, weil Sie an die Wünschen der Wähler (genauer die Wählenden) vorbei politisieren.
2. Ich behaupte, dass die Wählenden kein Abbild mehr sind von die Einwohner.
3. Ich behaupte, dass die Wählenden mehrheitlich von Übertragsleistungen leben und Lebensqualität priorität hat, nicht Arbeitsplatz oder Wirtschaft.
4. Der Sieg der LDP ist (Genau wie die der Linke) folgerichtig. Die LDP steht für hohe Lebensqualität in gesicherte Verhaltnisse. Für Kultur ohne Belästigung, für Leben in saubere Verhältnisse und für liberales savoir vivre.
Weder beurteile ich die politische Richtung noch den Inhalt der Politik. Ich erkläre Wahlverhalten. Politische Probleme sind mit althergebrachte Rechnen nicht zu bewältigen. Wenn wir aber den Wähler und seine Wünsche kennen, kann eine Mehrheitskoalition zustande gebracht werden, welche die Probleme lösen kann.
Bismarck ist ein gutes Beispiel. Er erkannte, dass um die Gesellschaft stabil zu halten er die gröbste Probleme der Arbeiter beheben müsste. Daher die Einführung von Witwe, Waisen und Rentekasse sowie eine Krankenkasse (AOK). Er tat dies um den König (später Kaiser) und die Junker zu retten, nicht weil er die Arbeiter etwas geben möchte. Sein eigene Position war damit auch gesichert. Innerhalb der Bevölkerung hat er seitdem hohes Ansehen. Sogar die kleine Leute standen hinter Ihm und gaben Ihm eine Mehrheitskoalition.
Die FDP hat in der Schweiz diese Strategie Jahrzehntenlang gefahren und konnte damit eine wirtschaftsfreundliche Politik durchsetzen. Seit sie auf Tutti geht, kann sie diese Politik nicht mehr realisieren.. Die Grandseigneur Haltung der LDP kommt da besser an. Die SP in Basel beherrscht dieses Spiel auch Perfekt. Die USTR III umsetzen und gleichzeitig die Bevölkerung entgegen kommen sorgt dafür, dass diese die USTR III akzeptiert. Baselland geht andere Wegen und wird deshalb Probleme kriegen.
gotte meint
Als kleine erinnerung: bis 1971, also in der guten alten fdp-zeit, waren nicht nur die Ausländer, die unter 20 jährigen, die wahnsinnigen und die verurteilten kriminellen vom stimmrecht ausgeschlossen, sondern auch 50% CH – bürger, nämlich alle frauen. Ihre implizite these, dass die wählenden einmal ein abbild der einwohner gewesen sein sollen, stimmt m.E. für keine zeit.
h.s. meint
In Basel darf 37% der erwachsene Bevölkerung gar nicht wählen. Sie sind Ausländer. Es sind diese Einwohner die arbeiten und die Steuern bezahlen. Wenn von die andere 63% die wählen darf fast 40% Rentner ist, gibt es für wirtschaftliche orientierte Meinungen keine Nachfrage mehr. Die nicht-staatsangestelten oder nicht rentner wird gar nicht mehr zu Wahlurne zugelassen. Da sind wir wieder bei die amerikanische und französiche Revolution. No taxation without representation.
Es sind nicht die Stadtbürger die wählen. Es sind die Rentner die gemütlich weiter leben wollen. sogar in Amsterdam protestieren die alt 68’er schon über Lärm, Drogen und Sex. Selber stolz meldend wie sie gelebt haben. Das ist Realsatire in unsere Zeit. M.M. passt in diese Generation.
Arleser meint
Die ausländische Wohnbevölkerung kann sich einbürgern und dann problemlos wählen.
Vielleicht erfüllen (noch) nicht alle 37% die Vorgaben für die Einbürgerung, aber ein Teil davon sicher. Die anderen warten ab, lassen sich einbürgern und können dann stimmen und wählen. Oder sie lassen sich nicht einbürgern, weil sie kein Interesse haben und/oder ihnen die Mitbestimmung nicht wichtig ist.
h.s. meint
Es geht um die Frage ob die urbane Gesellschaft so wählt. Mein Antwort: Nein! Es sind diejenigen die von übertragsleistungen abhängig sind. Beamte und Rentner. Auch Arlesheim ist ein Ort der Rentner und Verwalter. Das da gleiche Stimmung herrscht ist klar. Dies als Urban zu beschreiben ist falsch. Das urbane Eltement steht immer mehr unter Druck. Wenn im Lohnhof Wohnungen gebaut werden und anschliessend Anlässe auf der Barfi blockiert werden, ist es nicht Urban. Wir reden hier über die Bequemen, die sich immer besser einbetten. Geld dafür sollen andere Liefern.
Ich behaupte nicht, dass dies falsch ist. Ich behaupte nur, dass die Parole der „Bürgerlichen“ betreffende z.B. Verkehr eben die Interessen diese 37% sind die eben nicht wählen dürfen. Früher dürften viele auch nicht wählen. Sie waren halt kein Basler Bürger und Zunftmitglied. Einburgerung wäre damals schon möglich. Die Baselbieter haben aber in 1833 ein andere Weg gewählt. Am Ende entscheidet nicht das Gesetz sondern $macht oder Wirtschaft.
M.M. meint
Ich glaube, Sie wissen nicht, was der Begriff „Urban“ bedeutet.
gotte meint
genau so doof, wie es ist, zu behaupten, dass die 37% ausländer alle kriminellen und sozialhilfebezüger in diesem land stellen, ist es, zu behaupten, dass die wahren wirtschaftsinteressen inzwischen nur noch bei den 37% ausländern angesiedelt sein sollen. und am doofsten ist es, zu behaupten, dass nur die „bürgerlichen“ die wirtschaftsinteressen sollen wahrnehmen können: basel-land und basel-stadt sind ja, weiss gott, die besten beispiele für das jeweilige gegenteil…
h.s. meint
@gotte Ich behaupte nicht, dass die „Bürgerlichen“ die Wirtschaftsinteressen am Besten wahrnehmen. Ich bin nur der Ansicht, dass die Interessen der „ausländischen“ Bevölkerung, die für die Bevölkerungszunahme verantwortlich ist, sich genau in die Probleme äussern wo die „Bürgerlichen“ meinen das relevant sind um die Wahlen zu gewinnen.. Die Ausländer tragen momentan zu grossen Teile die Basler Wirtschaft. Ich verweise sich gerne am Statistik und Steueramt die darüber aufschlussreiche Daten haben.
Wenn von 63% der erwachsene Bevölkerung 40% Rentner ist, dann bleiben nur noch 23%. Diese sind eine Minderheit. Damit sind die Themen die Wahlbestimmend sind nicht die der noch arbeitstätige Bevölkerung, sondern die der von sozialübertrag abhängige Bevolkerung.
@M.M. Was Urban ist begreife ich sehr Gut. Es ist sicher nicht ein Museum wo nur Platz ist für Tattoo und Bebbi si Jazz. Urban sollte Lebendig sein, Jede Ecke eine Überraschung wo Leben ist. Sterilität und hohe Kosten für das Leben ist nicht Urban. Sie möchten zurück zum Bauerndorf aber mit die angenehme Effekten der Stadt. Besuchen sie mal das Handelsregister in Arlesheim mit einem Auto. Sehr Kundenunfreundlich. Nach Arlesheim mit ein Tram und Geniessen von Ruhe und Angebot‘ 1a
M.M. meint
Nein, Sie begreifen es wirklich nicht.
Und das mit dem Handelsregister – im Dorf gibt es genügend Parkplätze, z.B. das Migros-Parking. Fünf Minuten Spaziergang, schön und gut für die Gesundheit.
Nein, Urbanier sind nicht die Alten, sondern die junge, gut ausgebildete Elite. Ich kenne einige und die haben auch kein Auto mehr. Weil deren Ideal nicht das Häuschen im Grünen ist, sondern die Stadtwohnung im verkehrsberuhigten Quartier mit dem Türken und Tamilen zum Einkaufen um die Ecke.
gotte meint
aber nur, wenn die stadtwohnung eine komfortlüftung hat (abgase! pollen!)
M.M. meint
Falsch – Altbauwohnung, aber renoviert 🙂
Michael Przewrocki meint
Diesen lieberalen Urbaniern in den verkehrsberuhigten und komfortbelüfteten Wohnungen ist es egal ob wir hier am äusseren Ring an den Abgasen ersticken, auch egal ob wir den Raucherrauch einatmen sollen ausserhalb der Restaurant….Unwillig im Ausland Anregungen zu holen, z.B. Stuttgart und anderen weitsichtig regierten Städten.
h.s. meint
„die Stadtwohnung im verkehrsberuhigten Quartier mit dem Türken und Tamilen zum Einkaufen um die Ecke.“
Genau die Traum vom Dorf in die Stadt. Kurze Wegen, viel Angebot aber kein Raum mehr für Fremden von Ausserhalb. Handel, Gewerbe und Industrie sollen ohne Transport auskommen. Nachtleben, Kultur soll lärmberuhigt stattfinden in klinisch aufgeräumte Umgebung. Alles was hindert soll ausserhalb das vergrösserte Dorf. Urban? nein, weiter der Traum vom Häusschen im Grünen. Kein Auto? Gerne, alles ist ja zu Fuss erreichbar.
Diese Traum ist Wunderbar, die Bröttchen dafür werden irgendwo anders gebacken.
gotte meint
„hoher Lebenskomfort in allen Belangen gepaart mit einer durch und durch umweltbewussten Lebensweise“ – das ist leider das trügerische grünliberale selbstbild… der von ihnen so treffend beschriebene urbane typ reist auch sehr gerne und oft, gerne auch und vor allem (zeit!) mit dem flugi. spätestens dann ist es vorbei mit der umweltbewussten lebensweise – auch, weil dann häufig während der abwesenheit auch die wirtschaftskammer-subventionierte komfortlüftung im minergie-einfamilienhäuschen weiter bläst….
M.M. meint
Wir haben unsere Komfortlüftung selbst bezahlt, aber die Heizung wird runtergefahren – Einsparung 25% :-)))