Demokratie bedeutet, zum Kompromiss verdammt zu sein.
Deshalb ist Deutschland nach den Wahlen ein blühendes Beispiel für eine zeitgemässe Demokratie.
Zeitgemäss bedeutet, dass keine Partei mehr eine absolute Mehrheit erreicht.
Als Beispiel einer nicht mehr zeitgemässen Demokratie kann man das United Kingdom mit seinem „the-Winner-takes-it-all“-Wahlrecht nennen.
Weshalb es nicht von ungefähr kommt, dass man in Grossbritannien den Begriff „elective dictatorship“ für das dortige politische System der absoluten Dominanz einer einzigen Partei eingeführt hat.
Die Deutschen haben eine gute Wahl getroffen.
Ihnen wurde eine Auswahlsendung von ganz links bis ganz rechts präsentiert.
Die demokratische Leistung: Eine erdrückende Mehrheit hat den extrem Rechten und den ebensolchen Linken eine deutliche Abfuhr erteilt.
Danach haben sich die Wählerinnen und Wähler für die Themen entschieden, die dringlich anstehen: die soziale Frage, der Klimaschutz und die Freiheit des Einzelnen.
Weil keines dieser drei Themen und ihre Untervarianten von einer einzelnen Partei glaubhaft abgedeckt wird, hat sich die kollektive Intelligenz, auch bekannt als Schwarmintelligenz, aka die Summe aller Wählerinnen und Wähler, mit einer klaren Mehrheit für eine Dreiparteienregierung entschieden.
Eine reife Leistung.
Der demokratische Effekt: Keine der Parteien kann – anders als im schlechten Beispiel Grossbritannien – ihr Programm ohne Rücksicht auf Verluste durchdrücken.
Ergo werden alle Federn lassen müssen, was heisst, die SPD, die Grünen und die FDP – die wahrscheinlichste Koalition – werden in die Mitte rücken und dem Kompromiss, der Mutter der Demokratie, zum Durchbruch verhelfen.
Und wenn dann noch die Lust hinzukommt, die Dinge nach den vergangenen vier lähmenden Merkel-Jahren tatsächlich verändern zu wollen, dann stehen unserem Nachbarland spannende politische Zeiten ins Haus.
Und Europa. Und uns in der Schweiz.
Derweil werden sich CDU/CSU in der Opposition neu erfinden müssen. Wenn sie das nicht schaffen, na dann halt.
monalisa meint
Als seit vielen Jahren in der Schweiz lebende und (stimmberechtigte) Deutsche hatte ich mich seinerzeit, als in D die erste Grosse Koalition gebildet wurde, gewundert, warum die dt. Medien diese Regierungsform so schlecht schrieben. Das ist doch fast wie in der Schweiz, dachte ich, man muss sich immer irgendwie einigen. Inzwischen habe auch ich den Unterschied kapiert: In der Schweiz gibt es eben das, was es in D nicht gibt, die Bevölkerung hat das letzte Wort und kann jederzeit „So nicht“ sagen, wenn das „Ich geb‘ dir dieses, dafür gibst du mir jenes“-Geschacher mal ausartet. Seitdem weiss ich das frühere Oppositionssystem besser zu schätzen. (In GB kenne ich mich zu wenig aus.) Und befürchte, H. Jörgen hat Recht mit seiner Aussage: „Deutschland mauschelt eine 3er Regierung hin, welche die ‚kollektive Verantwortungslosigkeit‘ hervorbringt.“ Aber die Hoffnung stirbt natürlich trotzdem zuletzt.
Harald Jörgens meint
4 lähmende Merkel-Jahre?
16 waren es.
Und – nein: Deutschland mauschelt eine 3er Regierung hin, welche die „kollektive Verantwortungslosigkeit“ hervorbringt.
Und das liegt ja wiederum voll im Trend: Niemand ist schuld, wenn der Planet verreckt und wenn es einen Schuldigen braucht, ist es nimmer der Regierungsrat, der Stadtrat, der Staatsrat sondern der Image-Berater, der Experte, der Style-Berater. So einfach ist das heute.
Nein – da lob ich mir das System MM: Er gibt „die Ansage“ – und hat stets recht…..