Vielleicht könnte man die vielen irrationalen Entscheidungen in Wirtschaft und Politik – also von uns allen – damit erklären, dass wir in Sachen Evolution noch nicht in der Lage sind, auch im Alltag rational, das heisst, logisch zu denken und zu handeln. Wir tun nur so.
Im Grunde genommen sind wir noch immer Jäger und Sammler, sind es doch erst 12 000 Jahre her, seit der Homo sapiens («weiser, gescheiter, kluger, vernünftiger Mensch», Wikipedia) die landwirtschaftliche Revolution startete und seither mit krummem Rücken dem nachgeht, was wir von da an Arbeit nennen.
Erst vor 2500 Jahren hat Aristoteles die formale Logik eingeführt, die uns zu Schlussfolgerungen befähigt, was 2000 Jahre später zur wissenschaftlichen Revolution führte. Beides, so lässt sich unschwer feststellen, blieb leider bis heute einer elitären Minderheit vorbehalten.
Was hat das nun mit wirtschaftlichen und politischen Entscheidungen zu tun? Nun, unsere Evolutionsgeschichte dauert seit zwei Millionen Jahren, doch erst während 0,12 Prozent dieser Zeit üben wir uns in logischem Denken. Entscheide aufgrund wissenschaftlicher Erkenntnisse fällen wir seit 0,02 Prozent dieser Zeitrechnung. Gerade mal 15 Jahre bewegen sich die Massen im Internet, seit acht Jahren dank Smartphone auch unterwegs.
Doch das gängige Handlungsmuster des Homo sapiens ist seit zwei Millionen Jahren unverändert: 1. Erkenne die zielführenden Eigenschaften des Erfolgreichen. 2. Ahme dessen Verhaltensweise nach. Und 3. Wiederhole sie. Obwohl wir es gerne anders sehen, ist logisches Denken und Handeln unter Einbezug wissenschaftlicher Fakten viel zu jung, als dass wir unsere ererbten Denk- und Handlungsmuster mit neuen, wissenschaftsbasierten Aktionscodes überschreiben können.
Verlassen wir die hypothetische Ebene und wenden uns dem profanen Alltag zu, um das Beschriebene an einem anschaulichen Beispiel festzumachen: der AHV. Da wird das Bild vom «Rentenklau» gezeichnet, ein schönes Bild, weil es vom Jäger und Sammler in uns verstanden wird. Wir lassen uns die eben gesammelten Wildbeeren und frisch erlegten Hasen nicht ohne Widerstand wegnehmen.
Es stimmt: Die AHV wird künftig über Lohnprozente allein nur noch schwer zu finanzieren sein. Weil «Arbeit» der gängigen Definition ein Auslaufmodell ist. Wenn ich im Supermarkt meinen Einkauf selbst scanne und anschliessend am Terminal bezahle, erledige ich die Arbeit der Frau an der Kasse. Weil das nicht als Arbeit gilt, bleibt dem Staat zwar die Mehrwertsteuer, aber die Steuereinnahmen und AHV-Beiträge vom Lohn der Verkäuferin fallen weg.
Mit anderen Worten: Das Bild von den beiden Berufstätigen, die im Jahr 2040 einen Rentner ernähren müssen, ist zwar plakativ, aber hängt ziemlich schief. Weil es, als Resultat der digitalen Revolution, diese beiden Berufstätigen in 25 Jahren so nicht mehr geben wird. Das jahrtausendealte Fundament der Staatseinnahmen und Sozialabgaben, die Besteuerung von Arbeit, wird wegbrechen. Weshalb sich die Politik mit der Frage beschäftigen muss, was anstelle der Arbeitssteuer tritt.
Weil es die digitale Revolution ist, die unsere Arbeitswelt radikal verändert, scheint eine Transaktionssteuer auf Bits and Bytes naheliegend, eine Digitalsteuer, mit der sowohl der Kauf von Blumenkohl und Unterwäsche besteuert wird, als auch der von Aktien und Devisen. Ohne Bits and Bytes haben die Dinge keinen Wert.
Zuerst erschienen in der Basler Zeitung vom 8. April 2015
contefosco meint
Soviel zur formalen Logik von Aristoteles 😉
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