Ich will diese Woche für einmal dem Namen dieser Kolumne gerecht werden und etwas über Arlesheim schreiben. Weil das exklusive Dorf vor der Stadt beispielhaft ist, wie wenig sich unsere Gesellschaft bewegt hat.
Dabei war ich wirklich mal der Meinung, die nächste Generation werde ein paar Dinge grundlegend ändern, weil sich die Lebensumstände verändert haben. Und das Bewusstsein für Selbstverständlichkeiten.
Doch ich habe mich getäuscht.
Die Generation der Vierzigjährigen ist in ihrer bestimmenden Mehrzahl ganz offensichtlich stockkonservativ. Was vor einer Woche an der Gemeindeversammlung manifest wurde, als es um die «Familienergänzende Kinderbetreuung» von Vorschulkindern ging.
Ich will die Leserschaft von ausserhalb nicht mit den Details langweilen und gleich zum Grundsätzlichen übergehen. Da ist zum Beispiel diese Bürokratenbezeichnung «familienergänzende Kinderbetreuung».
Hier wird den Eltern zunächst einmal klipp und klar gesagt, dass die Betreuung der Kinder Sache der Familie sei und das Angebot der Gemeinde lediglich eine Ergänzung. Selbstverständlich ist das so, wird die schon leicht erregte Leserschaft vor sich her brummeln.
Doch das Attribut «familienergänzend» ist insofern Neusprech, als es aufgrund der gesellschaftlichen Realität korrekt «mütterergänzende Kinderbetreuung» heissen müsste.
Denn bei der vom Arlesheimer Gemeinderat – eine Frau und sechs Männer – gewünschten «Förderung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf» geht es einzig darum, dass Frauen berufstätig sein können.
Denn klar doch: Dass Männer berufstätig sind, ist doch auch im Jahr 2017 indiskutabel die Norm. Frauen werden von Gesetzes wegen für diese Selbstverständlichkeit finanziell ziemlich hart bestraft.
Zum Beispiel im Alter, weil sie oft keine eigene 2. Säule haben.
Familien, die ihr Kind in die Familienergänzende schicken, müssen in Arlese ihre finanziellen Verhältnisse – inklusive Arbeitsvertrag der Frau – einer Stiftung offenlegen, die im Auftrag der Gemeinde die Tagesbetreuung erledigt. Die Stiftungsmitglieder entscheiden dann über die mit Steuermitteln bezahlten «einkommensabhängigen Beiträge». Mit anderen Worten, die berufstätige Frau mit Kleinkindern wird als Sozialfall behandelt.
Was bei Familienernährern, die zumindest gefühlt ziemlich engagierte Väter sind, zur Standardbemerkung führt, «ihr Zusatzverdienst» decke kaum die Kita-Kosten. Sie könnte gerade so gut zu Hause bleiben. Aber der Beruf bringe ihr halt etwas Abwechslung.
Mit Verlaub, das ist nicht mal mehr stockkonservativ, das ist der Stand der Diskussion der 80er-Jahre des letzten Jahrhunderts.
In der Schweiz besuchen mehr Frauen als Männer Fachhochschulen und auch an den Universitäten sind Frauen in der Überzahl. Angesichts dieser Faktenlage (und der Kosten dieser hochwertigen Ausbildungen) ist es wohl ein Witz, dass 2017 noch immer von «Zusatzeinkommen» geredet wird, wenn Frauen berufstätig sind.
Es ist genug geredet worden. Arlesheim ist eine SVP-freie Zone. Also kann hier zeitgemäss und im Interesse der Citoyennes gehandelt werden. Die Präambel des Reglements, das die Gemeindeversammlung zurückgewiesen hat und überarbeitet werden muss: Jedes Arlesheimer Kind hat bis zum Ende der Primarschulzeit ein Recht auf eine Tagesbetreuung.
Das, meine lieben Bürgerlichen, ist nicht Sozialismus, sondern nachhaltige Wirtschaftspolitik!
Philippe Anex meint
Da gibt es gar nichts hinzuzufügen.
Siro meint
Ich habe die ganzen FEB-Diskussionen jahrelang im Landrat erlebt. Vor allem SP und Grüne haben mich bitter enttäuscht: Die waren definitiv konservativer und familienunfreundlicher als einige SVPler. Wir haben der Kommission und dem Landrat damals gute und Ideen präsentiert, die alle abgeschmettert wurden. Jetzt wird eben im bisherigen Denken weitergewurstelt.
N.B.: Wir haben damals „familienergänzend“ durch „familienunterstützend“ ersetzt (Antrag Ceccarelli), was die 2. Lesung nicht überlebt hat.
Jaques meint
Ihre Aussage: „Arlesheim ist eine SVP-freie Zone. Also kann hier zeitgemäss und im Interesse der Citoyennes gehandelt werden.“ steht in einem Widerspruch zu einem demokratischen Denken, das den Parteien – auch wenn man sie nicht mag – einräumt, sich für Ihre Wähler (Citoyennes) einzusetzen.
Bringold Margareta meint
Sie haben leider so recht.
Dabei bräuchte es gar kein FEB-Gesetz. Die Lösung könnte ganz anders und deutlich einfacher aussehen.
Wenn Bund, Kanton und Gemeinden die Kinderbetreuungskosten steuerlich voll oder zumindest überwiegend (80 %) zum Abzug zulassen würden, würde sich alle drei Ebenen ohne zusätzliche teure Bürokratielösungen an den Kinderbetreuungskosten beteiligen.
Wenn die Kinderzulagen deutlich erhöht würden, würden auch die Arbeitgeber in die Pflicht genommen, denn diese haben ja auch ein Interesse daran, dass die gut ausgebildeten Fachleute im Arbeitsprozess bleiben und sie könnten mit den höheren FAK-Beiträgen ihren Beitrag leisten. Damit würden zudem alle Eltern profitieren, auch diejenigen, die ihre Kinder selber betreuen. Das würde dann auch der SVP gefallen.
Wenn die Vorschriften zur Führung einer KITA auf ein gesundes Mass heruntergeschraubt würden und den Eltern mehr Eigenverantwortung zugestanden würde, bräuchte es nicht ein x100-seitiges Handbuch zur Führung einer KITA und die KITA-Kosten könnten ohne Qualitätseinbussen um mindestens 10 % reduziert werden.
Für die Alleinerziehenden und Working poor kann das Sozialhilfegesetz so angepasst werden, dass sie bei tiefem Einkommen Anspruch auf Betreuungsgutschriften hätten, die im Gegensatz zur Sozialhilfe nicht zurückbezahlt werden müssen.
Es bräuchte also nicht ein neues Gesetz, dass bürokratisch ist und die Verwaltung zusätzlich beschäftigt, sondern Politiker, die vernetzt denken und auf Bundes-, Kantons- und Gemeindeebene vernünftige Lösungen finden.
Längerfristig würden mit einer solchen Lösung alle profitieren. Wir können es uns schlicht nicht leisten, dass gut ausgebildete junge Eltern aus dem Arbeitsprozess ausscheiden und dann einige Jahre später mühsam wieder ins Arbeitsleben integriert werden müssen. Bei einer Scheidungsrate von 50 % müsste man jeder jungen Familie raten, dass beide im Arbeitsprozess bleiben, denn die Gefahr ist gross, dass bei einer Scheidung der Gang aufs Sozialamt droht.
Aber solange unsere Politiker, rechts wie links, mit ihren ideologischen Scheuklappen politisieren, werden neue Lösungsansätze gar nicht diskutiert. Der Kanton BL lehnte letzte Woche die vom Bund vorgeschlagenen deutlich höheren Kinderbetreuungsabzüge ab, meiner Meinung nach ein sehr dummer Entscheid. Dafür hat der Kanton BL offenbar kein Geld, aber mit den Tochterfirmen der Wirtschaftskammer überteuerte Leisungsvereinbarungen abzuschliessen, dafür reicht das Geld dann allemal.
Freimut meint
Nach den Lehrern und Kompostconsultants sind nun Vertreter der Wirtschaft am lokalen Drücker. Ergebnis: keine Veränderung. Warum? Auch in der Wirtschaft, an deren „Selbstregelbefähigung“ Sie so beharrlich glauben, werkeln inzwischen harmoniesüchtige Bürolisten und Worthülseler. Und -innen. Nichts zu machen.