Ich höre in den letzten Tagen immer mal wieder, dass ich etwas gar hart zur Sache gehe, wenn ich über Politiker schreibe.
Es gelte da schliesslich auch noch der Respekt vor dem Amt. Und man dürfe nicht auf den Mann respektive auf die Frau spielen.
Es ist so eine Sache in unserem kleinräumigen Land, wo alle dicht gedrängt nebeneinandersitzen und praktisch jeder jeden in seinem Interessenkreis kennt.
Da ist man schnell zur Hand mit dem Argument: Aber das war jetzt aber nicht mehr sachlich. Das mit dem „persönlich geworden“ ist ein beliebtes Argument, jegliche Diskussion über die Leistungen eines Politikers, einer Politikerin, im Keim zu ersticken.
Ich sehe das lockerer und vergleiche solche Beurteilungen mit den Gepflogenheiten in der Privatwirtschaft.
Da wird jeder Mitarbeiter und dessen Leistung immer wieder beurteilt und der Stärken und Schwächen der Führungsmannschaft des Konkurrenzunternehmens ebenso.
Falsche Einschätzungen und Beurteilungen kosten Geld, oftmals sehr viel Geld. Auch das Hinauszögern der Entscheidung, jemanden zu entlassen, kostet Geld.
Ich habe in dieser Hinsicht einiges an Lehrgeld bezahlt, in den letzten zwei Dutzend Jahren.
Genau so sehe ich das mit den Politikern. Wobei ich das Geschehen in den beiden Basler Halbkantonen seit Mitte der 70er Jahre schreibend und kommentierend begleite.
Ich rede mit Leuten, es werden mir Informationen zugetragen aus den einzelnen Direktionen und Parteien. Klar auch Klatsch über wer gerade mit wem, allzu Menschliches halt, dazu harte Fakten zu Entscheidungen, Hinweise über die Abneigung von Regierungsmitgliedern, Konflikte auszutragen; dazu Hintergrundzahlen, Infos zu Gruppierungen, die sich gerade bilden, um den Kanton aufzumischen und so weiter und so fort.
Wenn ich also einzelne Exponenten hart angehe, dann entspringt dies einer anschwellenden Wut über die Stümperhaftigkeit, die Arroganz, die Borniertheit und das Unvermögen, dass ein paar wichtige Leute in diesem Kanton an den Tag legen.
Und deren Respektlosigkeit vor ihrem Amt.
Beispielsweise so: Wenn sie aus ihren Kompromissen, Abhängigkeiten und Deals nicht mehr herausfinden, legen sie dem Volk völlig unverständliche Vorlagen zur Abstimmung vor. Schieben die Verantwortung, die sie tragen müssen, weil wir sie gewählt haben, einfach ab.
Es ist ja relativ einfach, eine tolle Finanzpolitik hinzulegen, Steuern zu senken und Schulden abzubauen, wenn die Steuerquellen munter sprudeln.
Wenn der Karren jedoch im strukturellen Sumpf steckt, weil man sich und anderen seit Jahren ein X für ein U vormacht, dann zeigt es sich, ob der Mann oder die Frau an verantwortlicher Stelle tatsächlich etwas taugt.
So gilt denn auch in der Politik, was in der Wirtschaft die Regel ist: Ein Unternehmen in einer Krise braucht einen CEO mit ganz anderen Fähigkeiten als ein Unternehmen, bei dem alles rund läuft.
Jeder und jede, der sich für Politik interessiert, der sich als Citoyen / Citoyenne in der Verantwortung sieht, muss erkennen, dass die derzeitige Baselbieter Regierung schlicht und ergreifend unterdurchschnittlich besetzt ist.
Weil es sich um Schönwetterkapitäne einer vergangenen Epoche handelt.
Diese Regierungsräte werden die Lage nie und nimmer in den Griff bekommen. Es fehlt ihnen das Wichtigste, um das Ruder herumzudrehen: die Zeit.
Ausser Herrn Reber werden sich alle spätestens in drei Jahren in die Pensionierung verabschieden.
Das Schlimme an der Situation – brauchbarer Ersatz lässt sich derzeit kaum ausmachen (ich bin der Meinung, dass wenn Herr Ballmer hoffentlich im Sommer zurücktritt, SP-Mann Nussbaumer als Ersatz in die Regierung gewählt werden sollte).
Und dass in einer solchen schwierigen Situation die FDP, eine Partei, der ich nicht angehöre, der ich aber zumindest politisch nahe stehe, nächste Woche eine Präsidentin wählen wird, die nicht das Zeugs zur Präsidentin hat, was sie als bisherige Vizepräsidentin und Wahlkampfleiterin zur Genüge unter Beweis stellte, und was nun jeder, mit dem ich rede, sofort bestätigt, und sie deshalb von der Gewerbekammer bestens instrumentalisiert werden kann, um Partikularinteressen einer serbelnden Wirtschaftsorganisation durchzusetzen – siehe die Medienmitteilung und deren Vorgeschichte zur Fusionsdebatte -, eine Wirtschaftsorganisation zumal, die notabene einen grossen Teil der Schuld an der Finanzmisere des Landkantons trifft, ist schlicht und ergreifend ein Skandal.
(Okay, dieser Satz ist etwas lang geraten.)
Was bleibt, ist die Hoffnung auf eine neue Generation von politisch aktiven Citoyen. Es gibt da einige, die gerade dabei sind, sich zu entwicklen. Die dürften in drei, vier Jahren so weit sein. Gerade recht, wenn die alte Garde im Landrat und in der Regierung abtritt.
PS: Heute Nachmittag treffe ich Herrn Reber zu einem Bier. Eigentlich würde ich gerne mit ihm ein Interview machen, nicht diesen üblichen gegengelesengeglätteten Mist, den man vorgesetzt bekommt, sondern eines, in dem es vonseiten des Interviewers unanständig und voller Polemik zur Sache geht.
Hat jemand Fragen, die ich stellen soll?
Timon meint
Ich hatte das Vergnügen, mit Herrn Reber in Binningen nach der Diskussiosrunde des Jugendrats, welche im Rahmen des RR-Wahlkampfs gehalten wurde, zu sprechen. Er erschien mir als sehr unkompliziert und bodenständig, aber trotzdem visionär.
Dabei unterhielten wir uns über das Bruderholzspital, dessen Neubau damals eine bereits beschlossene Sache erschien. Herr Reber erzählte mir, dass er am liebsten aus dem bisherigen Gebäude schönen, hochwertigen Wohnungraum machen würde, da das Spital an diesem Standort einfach überflüssig ist.
Ich fand es interessant, diese Meinung von einem (damals bald) Regierungsrat zu hören, hatte ich doch ein paar Wochen mir die selben Gedanken gemacht. Doch für die damalige Regierung war der Neubau des Bruderholz „alternativlos“.
Nun hat ja Herr Zwick letzte Woche bekannt geben (müssen), dass es kein Neubau auf dem Bruderholz geben wird. Stattdessen sollte endlich freie Spitalwahl eingeführt werden.
Ich sehe das als erster Schritt in die Richtung, Herrn Rebers Idee zu realisieren. Wann kann man in diese Wohnungen mit bester Aussicht einziehen?
merlinx meint
Navigation à la boulangerie, kein Ölzeug, Dösen auf der Brücke … das erfüllt uns zu Recht mit Sorge …
Frage: Könnte sich Herr Regierungsrat Reber vorstellen, den Zeithorizont von deprimierenden 100 Jahren (= mer wei mou luege), den Frau Europa- und Nationalrätin Schneider-Schneiter in ihrem sonst lesenswerten Interview (Sonntags-BaZ, 29.4.2012) zu den Themen Wiedervereinigung, Gemeindefusionen und Gebietsreformen in der Nordwestschweiz nennt, auf menschliche 10 Jahre zu veranschlagen – ja, wenn ich das noch erleben dürfte …
Berger Henry meint
…da kann ganz schnell Dynamik in die Sache kommen, so dass wir es noch alle erleben dürfen!