Nun gut, die Leute sind weg in den Herbstferien, weshalb sich weder jemand für diese Kolumne noch für Politik interessiert. Aber in eineinhalb Wochen, wenn alle wieder zurück sind, wird man in Basel damit beginnen müssen, nicht nur punktuell, («Herzstück») sondern grundsätzlich über die politischen Bücher zu gehen.
Denn für den Stadtkanton sieht die Zukunft nach der schallenden Ohrfeige der Landschäftler vom 28. September völlig anders aus als all die Jahre zuvor. Hatte man im Stadtkanton bis dahin bei jedem grösseren Geschäft eine mögliche Wiedervereinigung im Hinterkopf, kann man nun, befreit von dieser Illusion, die eigene Zukunft neu denken. Wobei nicht politische Visionen gefragt sind, sondern als Erstes eine faktenbezogene Analyse des neuen Istzustandes.
Dabei muss man davon ausgehen, dass Baselland auf Jahre hinaus kein verlässlicher Partner mehr ist. Das liegt weniger an der Konzeptlosigkeit, oder sagen wir es deutlicher: am Unvermögen der Baselbieter Politelite, als an der Tatsache, dass der Landkanton pleite ist. (Manche fügen dieser deprimierenden Erkenntnis das Adverb «fast» hinzu, was ja fast aufs Gleiche rauskommt.)
Nehmen wir zum Beispiel den grössten Brocken der Partnerschaft, die Uni Basel. 100 Millionen mehr, als dem Kanton in diesen finanziell frostigen Zeiten für Investitionen zur Verfügung stehen, überweist er nach Basel. Das werden die Landabgeordneten nicht länger hinnehmen (können). Auch wenn die Verträge zwischen den beiden Kantonen wasserdicht zu sein scheinen, allein die Diskussion im Baselbiet wird in der Uni Verunsicherung auslösen. Die Subventionserhöhung fürs Theater Basel von 1,4 Millionen Franken kann man sowieso vergessen.
Drei Siebzigjährige an einer Pressekonferenz machen im Baselbiet keinen Kulturfrühling.
Wer also über genügend Realitätssinn verfügt, wird mit Beitragskürzungen und harzigen Diskussionen auch bei anderen der über 100 Partnerschaftsverträgen rechnen. Kurz, wenn nach den Herbstferien der Politbetrieb wieder in Gang kommt, werden die Basler aus dem Baselbiet erneut erstaunliche Töne vernehmen.
Jedoch: Freut euch!
Denn Basel-Stadt kann sich, wenn nicht neu erfinden, so doch neu ausrichten, kann die Zukunft für einen modernen Stadtstaat völlig losgelöst von Baselbieter Befindlichkeiten angehen. Welch einmalige Gelegenheit. Mit der Uni, in der Wirtschaft, bei den Verbänden und Organisationen verfügt er über ein beträchtliches Potenzial an klugen Köpfen, um ein solches Projekt zu starten.
Das federführende Präsidialdepartement kann dank der völlig neuen Ausgangslage Studien zu den Themen Kultur, Wirtschaft, Bildung, Verkehr, Umwelt, Bevölkerungsentwicklung, Gesundheit usw. in Auftrag geben mit dem Ziel, am 28. September 2015, dem Jahrestag der Abstimmung, eine mit Fakten belegte Auslegeordnung auf dem Tisch zu haben, aus der sich konkrete Umsetzungsszenarien entwickeln lassen. Basel-Stadt hat dank dem Baselbieter Nein die einmalige Chance, sich zu einem in der Schweiz einzigartigen Stadtstaat zu entwickeln.
Was für ein Glücksfall. Für Basel-Stadt und -land.
Nur keine falsche Bescheidenheit: Zwar dominiert das Bild der Schweiz noch immer die Bauernfolklore. Doch die Zukunft des Landes wird in den Städten gestaltet. Gelingt dieser Prozess, kann Basel als Stadtstaat eine massgebende Vorreiter- und Vorbildrolle übernehmen.
Worauf wartet ihr: Auf gehts.
Zuerst erschienen in der Basler Zeitung vom 8. Oktober 2014.
Werner Zumbrunn meint
Im Vorfeld der NFA-Abstimmung hat Regierungsrat Ballmer dem Stimmvolk versprochen, die NFA (neuer eidg. Finanzausgleich) würde die beiden Basel bei der Uni Basel massiv entlasten. Tatsächlich bezahlen die restlichen Kantone auf der Basis der IUV (Interkantonale Universitätsvereinbarung) ca. 100 Mio. Franken zu wenig an die Uni Basel.
Mit dem NFA-Bundesgesetz über den Finanz- und Lastenausgleich (FilaG) hätten es die beiden Basler Regierungen seit 2008 in der Hand, die übrigen Kantone angemessen an den von ihnen verursachten Kosten zu beteiligen – aber sie unternehmen nichts.
Würde sich der Kanton Basel-Landschaft statt des Universitätsvertrages von 2007 wieder mit den Beitragszahlungen gemäss der IUV begnügen, dann könnte er jedes Jahr ca. 110 Mio. Fr. sparen (statt jährlich 150 Mio. müsste er nur noch ca. 40 Mio. Fr. bezahlen). Deshalb gehe ich ebenfalls davon aus, dass der Univertrag über kurz oder lang unter Beschuss kommen wird – vor allem wegen der Untätigkeit beiden Regierungen und wegen gebrochener Versprechen. Neben der Baselbieter Politelite ist also auch die von Basel unfähig – mit solchen Leuten wäre eine Fusion mit Sicherheit gescheitert.
gotte meint
basel-stadt: die zukunft neu denken; basel-landschaft: die gegenwart ist bedenklich genug (#gaukelgate#peggigate: entscheid der BUD über zonenkonformität des bed&breakfast sei nicht von öffentlichem interesse – – – klar, denn von öffentlichem interesse ist ja nur #gerigate).
Meury Christoph meint
Das klingt jetzt natürlich sehr verheissungsvoll: «Die Stadt (oder ihre Zukunft) neu denken». Vielleicht doch eher eine Beschwörungsformel. Analog dem Brusttrommeln im Baselbiet?
Wer soll in die Stadt, oder die Zukunft der Stadt, neu denken? Hat nicht auch die letzte Abstimmung im Kanton Basel-Stadt gezeigt, dass die politischen Kräfte eher fantasie- und orientierungslos agieren. Die Stadtrandentwicklung wurde von den so genannten progressiven Kräften BastA!, Grüne & Co. bekämpft und eine mögliche Wohnraumentwicklung alternativlos an der Urne versenkt. «Innere Verdichtung» war das Zauberwort und klingt bei mir eher wie «innere Emigration», oder Abkehr von jeglicher zukünftiger städtischer Entwicklung und politischer Zukunftsperspektive. Entwicklungen verhindern ist hier das eigentliche politische Programm.
Und haben die anderen Parteien dem etwas entgegenzustellen? Gibt es für die Zukunft so etwas wie ein Leadership? Die Stadt müsste sich entwickeln, müsste vermehrt auf Zuwanderung setzen, aber wo sollen die neuen Stadtbewohnerinnen und Stadtbewohner wohnen? Auch die Finanzen des Stadtkantons rutschen in den nächsten Jahren in die roten Zahlen? Wie wird diese Entwicklung aufgehalten? Der öffentliche Verkehr ist knapp vor dem kollabieren, trotzdem wird höchstens über die schleppende Aufrüstung der Anzeigetafel geredet. Soll man von der Verwaltung, wie im Text suggeriert wird, Anstösse für neue Entwicklung erwarten? Sollen die Politikerinnen und Politiker neue Perspektiven skizzieren? Da bin ich äusserst skeptisch. Haben die Debatten um die Stadtrandentwicklung doch gezeigt, dass die unterstützenden Parteien äusserst kraft- und saftlos agieren. Sie können das Volk nicht mehr entsprechend überzeugen.
Der Status Quo scheint ein Pièce de Résistance.
Städter meint
Um diesen Beitrag mit dem letzten zu verquirlen (‚Baselland braucht jetzt Zuwanderung‘); Auch Basel-Stadt braucht Zuwanderung, um die kommenden Defizite auszugleichen. Gemeinsame Wohngebiete zu entwickeln an der Kantonsgrenze kann man vergessen. Und: Es wird nicht weiterhin so funktionieren wie bislang, dass der eine Kanton die Wirtschaftskraft hat, und der andere deren Angestellten beherbergt (und dafür Einkommenssteuern kassiert..). Da muss man zielorientierter vorgehen, in der Stadt. Wird aber auch nicht einfacher, nach der Zonenplan-Ablehnung. Klar ist aber: Jeder Kanton wird für sich alleine mit dem Skalpell analysieren, ob ihm eine Investition etwas bringt oder nicht. Und es dann womöglich sein lassen.