Zu den nirgendwo festgeschriebenen Regeln unseres direktdemokratischen Systems gehört, dass die Abstimmungsverlierer am Montag danach einfach den Mund halten. Von mir aus: Ich bin ein schlechter Verlierer.
Weil ich als Kampagnenleiter des Ja-Komitees die Niederlage am Margarethenstich mit zu verantworten habe.
Und der Meinung bin, dass man das Abstimmungsergebnis des Landkantons in Basel-Stadt durchaus kreativ und flexibel interpretieren kann. Und eigennützig. Kurz: Basel soll den Margarethenstich trotz des Baselbieter Neins zusammen mit Bundesbern realisieren.
Und zwar aus drei Gründen: Erstens ist der Margarethenstich ein wichtiges Puzzleteil der übergeordneten Verkehrs- und Siedlungsplanung der beiden Basel. Der Bund hat für solche Agglomerationsprogramme 20,8 Milliarden Franken bereitgestellt. Projekte, welche die hohen Anforderungen des Bundes erfüllen, bekommen aus diesem Topf einen grossen Teil der Kosten erstattet. Der Margarethenstich hat die Kriterien mehr als erfüllt.
Zum anderen muss die Realisierung des Margarethenstich-Projekts aus – egoistischer – Basler Sicht als ernsthafte Option für die weitere städtische Planung rund um die Heuwaage und darüber hinaus bestehen bleiben. Denn das Baselbieter Nein hat in Basel-Stadt teure Folgen.
Und schliesslich drittens: Die Baselbieter haben nicht über das Bauprojekt abgestimmt, sondern über einen Teilbetrag eines Ausführungskredits. Zwei Drittel der Kosten werden von anderen bezahlt. Um noch etwas mehr Öl ins Feuer zu giessen: Einmal mehr haben die Baselbieter einem wichtigen partnerschaftlichen Projekt in letzter Minute eine Absage erteilt.
Referendum wegen einer Ampel
Um die Abstimmung auf den Punkt zu bringen: Gegen den Margarethenstich wurde das Referendum wegen einer Ampel ergriffen. Ein paar Autofahrer in Binningen und Bottmingen wollten beim Margarethenstich keine neue Lichtsignalanlage.
Ihre Behauptung: Dann stehen wir im Stau.
Weil man damit keine kantonale Abstimmung gewinnt, wurde mit der Formel «Zu teuer für 5 Minuten Zeitgewinn» für das Nein gegen den Stau gekämpft. Als erfahrener Kommunikationsberater sage ich: Genial.
Als Citoyen halte ich jedoch fest: Die Leute wurden wegen einer Ampel hinters Licht geführt.
Ich meine, 7,3 Millionen Franken für eine Investition, die über vierzig Jahre abgeschrieben werden kann, ist derart nichts, dass die vermeintliche Einsparung im Baselbieter Budget keinerlei Spuren hinterlässt. Tatsächliche jährliche Kosten: 17’500 Franken.
Sie ist auch vor dem Hintergrund anderer Investitionen in die Traminfrastruktur im Landkanton eine bescheidene Summe.
Der Ausbau auf Doppelspur im hinteren Leimental, um einen 7,5-Minuten-Takt einzuführen, hat 28 Millionen Franken gekostet. Niemand hat sich empört. Für die Sanierung der 10er-Strecke vom Dreispitz bis zum Bahnhof Dornach-Arlesheim werden derzeit 21 Millionen Franken verbaut. Keine Diskussion.
Und um noch einen draufzusetzen: Für die 7891 Einwohner des Waldenburgertals wird eine völlig neue Tramlinie gebaut. Kosten inklusive Rollmaterial: 300 Millionen Franken. Keine Volksabstimmung.
Wir können festhalten: In Binningen und Bottmingen war ein Phantom-Stau das zentrale Thema.
Je weiter weg die Stimmenden leben, desto mehr wurde der Margarethenstich zu einer reinen Finanzvorlage, bei der man zeigen konnte, dass man sparen will. Ohne dass es einem selbst weh tut.
Dass es tatsächlich nur um die geplante Verkehrssignalanlage ging und nicht um die Kosten, unterstreicht ein Interview von letztem Freitag in der Basellandschaftlichen Zeitung. Der Initiant der Abstimmung, ein 75-jähriger Rentner aus Binningen, forderte allen Ernstes, die 7,3 Millionen Franken des Margarethenstichs solle die Baselbieter Regierung den Städtern für die Verlegung der Tramschlaufe bei der Heuwaage überweisen. Als Beitrag ans geplante Ozeanium.
Den Blickwinkel ändern
Höchste Zeit also, den Blickwinkel zu ändern und von der Heuwaage stadtauswärts zu schauen. Den Baslern kann es nicht egal sein, wenn Binninger und Bottminger Autofahrer freie Fahrt für freie Bürger auf baselstädtischem Boden fordern. Denn was die Baselbieter und viele Binninger nicht wissen: Lediglich der Pfosten für die Ampel stände auf Baselbieter Boden.
Der Margarethenstich selbst liegt vollständig auf dem Hoheitsgebiet des Kantons Basel-Stadt.
Weder der Landkanton noch Binninger Autofahrer haben das Sagen (wenn Basel-Stadt will, kann dort eine breite Velospur auf den Asphalt gepinselt und der Stich zur Einbahnstrasse erklärt werden). Deshalb liegt die Planungshoheit für das Margarethenstich-Projekt beim Baudepartement Basel-Stadt. Weshalb man jetzt in Basel zu rechnen beginnen muss.
Um das Verkehrschaos bei der Heuwaage zu beseitigen und eine städtebaulich sinnvolle Nutzung zu ermöglichen, müssen zwingend die Tramschlaufe verlegt und zahlreiche Infrastrukturanpassungen vorgenommen werden. Was mindestens 13 Millionen Franken kosten wird.
Basel-Stadt könnte also hingehen, die Tramschlaufe an der Heuwaage aufheben und stattdessen den Margarethenstich wie vorgesehen realisieren. Die Baselbieter Trams müssten dann zum Beispiel während der Fasnacht einfach bis zum Bahnhof fahren und dort wenden.
Das federführende Baudepartement hat ein ausführungsreifes Projekt auf dem Tisch, das ohne die kleinste Änderung bis 2020 realisiert werden kann. Ausser dass man vielleicht den Ampelpfosten einen halben Meter auf Basler Boden verlegen müsste. Noch immer gilt die Kostenbeteiligung des Bundes. Und diejenige der BLT.
Am Margarethenstich werden demnächst die Bagger auffahren.
Die Haltestelle Dorenbach wird für 2,3 Millionen Franken behindertengerecht umgebaut und die Haltestelle Margarethen für 4,2 Millionen Franken. Bauzeit: ungefähr eineinhalb Jahre. Das Nein der Baselbieter hat lediglich zur Folge, dass aus dem fixfertigen Projekt 365 Meter Verbindungsgeleise rausgeschnitten werden.
Die politisch entscheidenden Punkte kurz zusammengefasst:
- Es liegt ein ausführungsreifes Projekt vor, das über Jahre mit viel Aufwand ausgearbeitet und optimiert wurde.Das Plangenehmigungsverfahren läuft. Die Einsprachen sind mehr oder weniger bereinigt.
- Basel vermeidet mit dem Margarethenstich hohe Kosten für die Verlegung der Tramschlaufe samt der entsprechenden Infrastrukturanpassungen an der Heuwaage.
- Basel-Stadt kommt dem verfassungsmässigen Auftrag einen wichtigen Schritt näher, wonach «der Autoverkehr ausserhalb der Autobahnen bis 2020 um 10 Prozent abnehmen soll».
- Basel stärkt den Wirtschaftsstandort, in dem die Erreichbarkeit von zentralen Arbeitsplatzgebieten verbessert wird, zum Beispiel Baloise und Roche mit demnächst 9000 Arbeitsplätzen.
- Die Attraktivität einer Stadt als Wirtschaftsstandort wird nicht zuletzt durch ein effizientes Nahverkehrssystem bestimmt.
Alles Hirngespinste eines schlechten Verlierers? Ich habe in den letzten Tagen zu diesem Thema einige Gespräche geführt. In der Stadt und auf der Landschaft. Ich bin auf ein erstaunliches Echo gestossen: Die Idee wird unisono als partnerschaftliche Politbombe taxiert, aber von der Sache her durchwegs als machbar beurteilt.
Manfred Messmer ist BaZ -Kolumnist und Kommunikationsberater und hat im Auftrag des Komitees «Ja zum Margarethenstich» die Befürworterkampagne betreut. Er ist Mitglied einer Arbeitsgruppe der BLT, die sich mit der Machbarkeit eines autonom gesteuerten Trams im Waldenburgertal befasst.
angrymonk meint
Vielleicht sollte man von Seiten der Stadt ein solches Projekt einfach mal durchziehen? Die Ländler machen ja schliesslich auch, was ihnen beliebt – jederzeit und überall. Ich bin mir einfach nicht sicher, ob dieses ewige Nachgeben bzw. Verständnis zeigen von Seiten der Städter verhandlungstechnisch geschickt ist… Eine reine Appeasement-Politik gegenüber einem Schurkenstaat (bzw. hier -kanton) scheint mir wenig erfolgsversprechend. Und das schreibe ich als Baselländler!
Meury Christoph meint
Die Argumentation ist bestechend. Die Realität aber leider von politischen Animositäten geprägt, daher wird das Margarethen-Projekt vertagt werden müssen.
Die Kampagne hat gezeigt: Zuviele Argumente sind des Hasen Tod. Die Mischung der Neinsager aus Autofahrer & Baselbieter ist toxisch. Dagegen kämpft die Vernunft vergeblich an.
In Birsfelden ist’s noch schlimmer: Da potenziert sich die Gegnerschaft für eine vernünftige Verkehrspolitik aus: Baselbieter, Autofahrer & Kleingewerbler.