Es geschehen in dem sich zu Ende neigenden Jahr noch Zeichen und Wunder. Ein. Mann. Begehrt. Gegen. Eine. Frau. Auf. Öffentlich!
Und das in der SP, der Partei, bei der vor allem das Vorhandensein von mehr als einem X-Chromosom die entscheidende Voraussetzung ist, für öffentliche Ämter überhaupt nominiert zu werden.
Schon seit Jahren.
Und wenn man sich nicht einigen kann, schickt man Frau und Mann in die Regierungsratswahlen und verliert diese Gender-neutral. Das ist dann ganz okay.
Und jetzt der Herr Atici.
Ich meine, so von Mann zu Mann: Das ist schon eine starke Nummer, die Sie da abziehen. So aus heiterem Himmel die heilige sozialistische Geschlechterfrage neu zu stellen.
Und der Mann hat nicht mal ein schlechtes Gewissen deswegen.
Toll!
Ein XYler auf dem Kriegspfad für die Rückkehr der männlichen Ordnung. Er getraut sich, was bei der SP – und auch in manch anderen Organisationen – kaum noch ein Mann wagt: Auf den Putz hauen und die Machtfrage stellen: Madame, treten sie für mich zurück.
Unglaublich. Gut.
Das Erstaunliche an dem kaum noch für möglich gehaltenen Vorgang: Die SP-Frauen, augenscheinlich betört vom Macho, der sich rollentypisch gern auch mal als James Bond ablichten lässt, bewaffnet mit einer Spielzeugpistole, stimmen als Background-Sängerinnen in den Refrain ein: Sesselkleber! Sesselkleber! (Man beachte das Maskulinum.)
Allerdings habe ich da noch diesen Zweifel: Hiesse Mustafa Atici nicht Mustafa Atici, sondern sagen wir zum Beispiel Andy Rüdisühli – ob da die SP-Frauen dem Andy auch einen solch ungehemmten Einsatz des Ellenbogens durchgehen liessen? Via Medien eine Frau aus dem Nationalratsamt mobben!?
Durch. Einen. Mann!?
Weil der in einem solchen Fall übliche Empörung-Hashtag ausblieb, können wir davon ausgehen, dass es bei den Sozis nicht nur einen Bonus fürs X-Chromosom gibt, sondern auch einen für den Immigranten-Status.
Damit lässt sich Stimmung machen.
«Die Migrationsbevölkerung soll für gewisse Politiker doch bloss die Opferrolle übernehmen, damit sie ihre Mandate behalten können», sagt Herr Atici allen Ernstes über eine SP-Nationalrätin.
Die linken Parteileiterinnen erneut im Chor: «Sesselkleber».
Denn überhaupt. Nur Migranten könnten Politik für Migranten machen: «Wir brauchen keine Paten», empört sich der schweizerisch-türkische Doppelbürger.
Was mich, nebenbei bemerkt, an diese Diskussion erinnert, ob Weisse Dreadlocks tragen dürfen. Sie wissen schon, diese verfilzten Rastalocken, die zum schwarzen Kulturverständnis gehören. Whoopi Goldbergs kunstvoll geflochtene Zöpfe auf blonden Häuptern bedeutet für Schwarze, so die Diskussion, kultureller Diebstahl, schlimmer noch: einen Identitätsklau.
Wenn also Frau Schenker «Migrantinnen und Migranten» auf ihrer Liste der «Schwachen und Schwächsten in unserer Gesellschaft» führt, für die sie eine politische Lobbyistin sein wolle, dann, so scheint es, kollidiert dieser Anspruch heftig mit der politischen Selbstinterpretation von Herrn Atici.
Im Klartext stellt er die Frage: Wie kann denn eine Aargauerin eine glaubwürdige Migrationspolitikerin sein?
Gut, im Aargau geboren zu sein, ist ja auch kein Schleck. Das weiss vielleicht Herr Atici nicht.
Ist ja egal.
Sollte der SP-Mann aus Elbistan tatsächlich die SP-Frau aus Aarau aus dem Amt drängen, dann ist das nämlich eine gute Nachricht.
Für die Männer.
Lasst uns also anstossen!
Zuerst erschienen in der Basler Zeitung vom 28. Dezember 2016.
Städter meint
Grossartig geschrieben! Wahrheit und Entertainment zugleich!