Es werden nie genug Polizisten auf der Strasse sein, um dich immer und überall zu schützen.
Haben Sie kürzlich diesen «Tatort» aus München gesehen? Da droht der Kopf einer rumänischen Bettlerbande einem Sozialhelfer mit vorgestreckter Pistole, ihn umzubringen, wenn er nicht die neben ihm am Küchentisch sitzende Bettlerin umbringt. Er könne das nicht, stammelt der Mann und greift das Messer, das der Mafioso auf den Küchentisch legt.
Dann bringt der Sozialmann die junge Frau um.
Diese Szene hat mich erschüttert, weil sie ein Sinnbild dessen ist, wie wir mit Gewalt umgehen: Wir verstehen uns in erster Linie als Opfer und verhalten uns auch so. Besänftigen, gut zureden, therapieren. Ein solches Drehbuch kann nur in Deutschland (oder der Schweiz) geschrieben werden.
Seit Jahren wird behauptet, Aggression sei schlecht. Welche Mutter sagt zu ihrem Sohn, wenn er weinend nach Hause kommt, weil ihn ein Klassenkamerad geschlagen hat: Du musst dich halt wehren. (In dem Bauernkaff im hintersten Thurgau, in dem ich meine früheste Kindheit verbringen musste, waren Prügeleien in der grossen Pause Alltag.)
Heute gilt, dass man Konfliktsituationen mit Gruppentherapien angeht.
Theoretisch ist es ja ganz okay, für den Weltfrieden zu sein. Doch wir haben gerade eben in Berlin und in Istanbul wieder mitansehen müssen, dass die Welt nicht so friedlich ist, wie sie mitteleuropäische Mütter auf den Schulhausplätzen durchsetzen wollen.
Es gibt Menschen, bei denen Reden nichts bringt.
Das sind nicht nur junge Männer aus Ländern und Kulturen, in denen körperliche Gewalt zum Alltag gehört. Nein, es sind auf unseren Strassen auch durchgeknallte Typen unterwegs, die aus heiterem Himmel grund- und wahllos zuschlagen. Vor allem nachts, wenn Alkohol im Spiel ist. Oder die im Streit um den Parkplatz die Nerven verlieren.
Und nicht zu vergessen: streitsüchtige Ehemänner.
Seit drei Jahren trainiere ich Krav Maga. Das ist keine weitere Variante eines asiatischen Kampfsports, wo der perfekte Bewegungsablauf alles ist. Krav Maga ist auch kein Sport, sondern ein israelisches Selbstverteidigungssystem.
Ein schnörkelloses: Der Angreifer wird ausser Gefecht gesetzt, in dem man ihm das Knie zerschmettert, die Finger bricht, den Ellenbogen zerstört, das Schlüsselbein zertrümmert, in die Weichteile tritt und mit einem heftigen Schlag mit der flachen Hand das Nasenbein bricht. Man übt das Hunderte Male, um reflexartig reagieren zu können.
Man duckt sich nicht weg, sondern greift sofort an.
Man trainiert nicht, um ein Schläger zu werden, sondern um ein Gespür für gefährliche Situationen zu entwickeln. Und um ihnen auszuweichen.
Wer spätnachts im Tram Kopfhörer im Ohr hat, blendet seine Umgebung aus. Wer nach Mitternacht in der Stadt unterwegs ist, bewegt sich in einer Gefahrenzone. Wer am Stehtisch vor der Beiz sein letztes Bier trinkt, sollte auf seine Umgebung achten.
Das Recht, nachts allein durch den Park zu schlendern, ist nicht durchsetzbar.
In Israel würde die Münchner Szene so ablaufen: Der Sozialarbeiter weiss, dass seine Überlebenschance unter 50 Prozent liegt. Das Angebot – entweder du oder die Frau – ist absurd. Er steht jammernd auf, greift mit der linken Hand das Messer auf dem Küchentisch und mit der rechten den Lauf der Pistole, drückt die Waffe von sich weg und sticht gleichzeitig auf den Mafioso ein. Das ist Notwehr.
Den Rest klärt ein Gericht.
Zuerst erschienen in der Basler Zeitung vom 4. Januar 2017
peter meint
hallo manfred,
ich hoffe, es geht dir gut und bist gut ins neue jahr gestartet.
alles gute, gesundheit und viel spass am leben!
noch ein kurzer kommentar: sehr gut geschrieben.
lg