Wir haben diese Woche gewerweist, ob Herr Somm auch diesen Samstag wieder in Jubel über gewonnene MEI-Abstimmung ausbrechen werde.
Er hat uns nicht enttäuscht, he did it again.
Doch allmählich scheint dem Chefredaktor der Basler Zeitung, „der auch noch den grössten Stuss stilistisch brillant zu formulieren weiss“ (Lesermeinung) jeglicher originelle Ansatz abhanden gekommen sein.
Es bleibt nur noch der kurzatmig hervorgestossene Schlachtruf: „Brüssel oder Bern“.
Dabei scheint im Grunde genommen nur noch die Frage wichtig, was denn den Besitzer der Basler Zeitung umtreibt. Wollte man diese zentrale Frage mit psychologischen oder gar psychiatrischen Diagnosen – Vaterkomplex und Evangelikalenneurose, die sich im Verlaufe der Jahre auf politische Institutionen und ausländische Machtzentralen übertragen haben – beantworten, Herrn Blocher also in die nervenleidende Ecke drängen, hiesse das, ihn nicht ernst, nicht beim Wort zu nehmen.
Der Slogan „Brüssel oder Bern“ ist die Kurzfassung eines politischen Programms in drei Worten. Er hat die Qualität von „Ich bin doch nicht blöd“ oder treffender „Wer hat’s erfunden“.
Der Nationalkapitalismus war in der Schweiz bis zum Fall der Berliner Mauer für alle Parteien und Gruppierungen die scheinbar unverrückbare Staatsideologie. Nationalkapitalismus heisst, die Wirtschaft auf Export trimmen aber gleichzeitig den Heimmarkt mit Importlizenzen und Zuzügerkontingenten von der internationalen Konkurrenz abzuschotten.
Wobei der Nationalkapitalist seine Unternehmen so strukturiert, dass sie den freien Zugang zu den wichtigsten Märkten niemals verlieren – selbstredend unterhält er eigene Produktionsstätten in strategisch wichtigen Märkten – schottet aber den Heimmarkt zwecks Gewinnmaximierung vor unliebsamer Konkurrenz ab.
Das Ergebnis dieses Systems ist die „Hochpreisinsel Schweiz“, die den Arbeitnehmern und den Inhabern von Parmaschinken-, Wein-, Auto- und Weissichnichtwasnochfürimportlizenzen über Jahre ein schönes, weil konkurrenzloses Leben bescherten.
Im schicksalsergebenen Begriff „Hochpreisinsel Schweiz“ schwingt Stolz, Eigenart, Besonderheit, Ausnahmefall mit.
Bedeutungsverwand mit „Hochpreisinsel Schweiz“ ist „Heidiland“.
Die Nationalkapitalisten trafen sich in den jährlich wiederkehrenden Generalstabsübungen und Wiederholungskursen der Schweizer Armee und einigten sich dort auf die Kartellpreise in der jeweiligen Branche.
Man muss einfach zur Kenntnis nehmen, dass den Anhängern des Nationalkapitalismus mit der Unterzeichnung der Bilateralen und der damit verbundenen Öffnung der Grenzen für Waren und Dienstleistungen Milliardengewinne entgangen sind.
Wir alle nehmen das mit den stetig sinkenden Preisen erfreut zur Kenntnis.
Noch selten wurde eine wirtschaftliche Machtelite in so kurzer Zeit derart zurückgestutzt. Dank den neu eingeführten Spielregeln von „Brüssel“.
Wobei: Ein Nationalkapitalist wird immer für den freien Warenverkehr kämpfen, zumindest in eine Richtung, aber den freien Personenverkehr muss er schon aus ROI-Überlegungen ablehnen.
Dreh und Angelpunkt des nationalkapitalistischen Systems schweizerischer Prägung war das Saisonnierstatut, was man vor dem Hintergrund der europäischen Idee der Personenfreizügigkeit als eine schweizerische Spielart ausgeklügelter Sklavenwirtschaft bezeichnen muss.
Denn, sagen wir mal, für Blochers EMS-Chemie ist es natürlich von Vorteil, wenn der Arbeitsvertrag eines eingewanderten Ingenieurs oder Facharbeiters die Klausel enthält, er könne auf eine bestimmte Zeit hinaus den Arbeitsplatz nicht wechseln, ansonsten er das Land verlassen müsse.
Personalfluktuationen in diesen Segmenten kosten Unternehmen eine Stange Geld.
Womit wir bei Birsfelden und Arlesheim wären, beides Agglomerationsgemeinden. Während in Birsfelden 54.38 Prozent Ja zu MEI gesagt haben, waren es in Arlesheim lediglich 36.45 Prozent.
Selbstverständlich sind die Birsfelder KEINE Bergbewohner, auch keine Hinterwäldler. Aber dort wohnen im Gegensatz zu Arlesheim die, die sich selbst zu den Verlierern zählen. Herr Stöhlker hat schon vor Jahren den treffenden Begriff „B-Schweiz“ eingeführt:
Die B-Schweiz, das ist die Schweiz von gestern, die wir kennen und lieben. Die Schweiz der Vereine und der Gemütlichkeit. Sie ist aus dem zweiten Weltkrieg hervorgegangen und hatte hunderte von Jahren die verschiedenen europäischen Krisen überlebt, ist aber national geblieben. Die B-Schweiz hat vergessen, dass Nestlé von Heinrich Nestlé aus Frankfurt gegründet wurde. Auch Rolex wurde von einem Deutschen gegründet. Die B-Schweiz nimmt nicht zur Kenntnis, dass die beiden grössten Schweizer Banken längst keine Schweizer Banken mehr sind, sondern Auslandsbanken mit Hauptsitz in der Schweiz. Dasselbe gilt auch für Nestlé, Holcim und all die anderen erfolgreichen Unternehmen in der Schweiz. Das sind alles Dinge, die in der B-Schweiz verdrängt werden.
Genau diese diffuse Gemengelage bewirtschaftet der Nationalkapitalist in Birsfelden.
Den BaZ-Lesern in Birsfelden, denen Erasmus genau so ein Rätsel ist wie Horizont 2020, soll irgendwelche Studenten und Wissenschaftler betreffen, was soll’s, Intellektuelle gelten in diesem Land eh als verdächtig, den Wenigwissenden also verkauft der Besitzer der Zeitung seine nationale ROI-Strategie als Arbeitsplatz-und Wohnraum-den-Schweizern-Programm.
Der nächste logische Schritt der Nationalkapitalisten: Eindämmung des Einkaufstourismus ins nahe Ausland. Erreicht wird dies mit tieferen Freiquoten und höheren administrativen Hürden für den Kleinwarenimport.
Spätestens wenn der Benzin- und Dieselpreis um 15 Rappen erhöht wird, werden entsprechende Massnahmen greifen müssen.
Sonst fährt halb Birsfelden mal schnell zum Tanken nach Weil und Lörrach.
PS: Nationalkapitalistische Tendenzen gibt es – wenig überraschend – auch bei den Gewerkschaften, siehe das Theater um die Uhren- und Schmuckmesse. Gewerkschaften und Linke haben wie die Nationalkapitalisten durchaus Interesse an einer abgeschotteten Schweiz. Birsfelden ist eine linke Hochburg.
liberopoulos meint
Vielen Dank für diese wichtige Feststellung der zwei Schweizen, die ja auch Thomas Hürlimann in seinem Essay „Himmelhöchi hilf“ bereits in den 90ern festgehalten hat. Zum Glück gibts am Samstag noch als Gegengewicht zu Somms jeweiligen Kommentar das Magazin auch bekannt als „Tagi-Magi“. Darin war ein hochinteressantes Interview mit Peter Bodenmann, welcher die aktuelle politische Lage sehr realistisch einschätzt. Bspw. mit Feststellungen wie, dass Frau Somaruga mit ihren Aussagen sie nehme die Ängste der Bevölkerung ernst, jedoch keine Lösungsvorschläge präsentierte, die Ängste noch zusätzlich förderte. Eine weitere Aussage ist, dass der Schweizer nur einmal schiesst, weshalb Ecopop abgelehnt werde.