In einem früheren Lebensabschnitt habe ich kein Hemd unter 100 Franken getragen. Um nicht eine Neiddebatte loszutreten, schweige ich mich über die Preisklasse meiner übrigen Officekampfklamotten aus.
Ob die alle fair produziert wurden – ich weiss es nicht.
Doch man müsste annehmen, dass die Schneiderinnen in Italien, Rumänien oder sonst wo im Umkreis fair bezahlt würden. Wäre da nicht das Wissen um die 100-Prozent-Marge der Kleiderläden an noblen Adressen in Zürich, Mailand, London und manchmal auch in Basel.
Letztes Jahr habe ich mich in einer grösseren Aktion von all dem Zeugs getrennt, das sich in den letzten Jahren angesammelt hat, von diesem Grundstock, den man braucht, wenn man täglich einen anderen Anzug, ein frisches Hemd, eine andere Krawatte und so weiter trägt.
Seither kaufe ich Hemden bei H&M.
Letztes Jahr habe ich für die Reise zwei Stück für 29 Franken gekauft. Ich konnte es kaum glauben, dass es so billige Hemden gibt.
Letzte Woche schaute ich bei meinem neuen Herrenausstatter vorbei – und siehe da: die hatten jetzt eines in meiner L-Grösse für sage und schreibe 10 Franken im (Sonderpreis)-Angebot.
10 Franken – ich meine, für dieses Geld bekommt kein Europäer ein Hemd in Indien. Da liegt man, wenn man hart verhandelt, am Ende der Feilscherei bei den 30 Franken, die man auch bei H&M bezahlt. Und bekommt miese Verarbeitung, schlechte Baumwolle, billige Farben und ein in Fabriken gefertigtes Hemd, die noch miesere Arbeitsbedingungen bieten.
Wenn mich mal wieder einer dieser indischen Strassenhändler übers Ohr hauen wollte, rieb ich ihm das Etikett meines Hemds unter die Nase: „To buy a shirt in Switzerland made in Bangladesh is much cheaper than your last offer in India. And – look at this export quality of the cotton, the quality of color and the excellent making.“ Etc., etc.
Das tönt ziemlich überheblich. War auch so gemeint.
Indische Strassenhändler gehen einem mit der Zeit ziemlich auf den Sack, weil sie meinen, alle Kunden seien dumm und Europäer ganz besonders, also kann man ihnen jeden Mist für völlig überrissene Preise andrehen.
10 Franken für ein Hemd aus Bangladesh – nun bin ich ja nicht blöd. Ich weiss ganz genau, unter welchen Bedingungen die Leute dort arbeiten. Und ich weiss, wie die leben, die keine Arbeit haben.
Hätte ich also das Hemd bei H&M lassen sollen und stattdessen eines in einer Markenboutique für 120 Franken von Thommy Hilfiger kaufen sollen? Oder irgendein No-Brand-Ding für 80 Franken bei Schild?
Was ist der faire Preis für ein Hemd? Was im Kern die eigentliche Frage berührt: Was ist eine faire Gewinnspanne bei Kleidern?
Ich weiss es nicht, weil ich die Kalkulationsgrundlagen nicht kenne. Wenn ich jedoch weiss, was man für den Quadratmeter an Miete in der Zürcher Bahnhofstrasse bezahlt, dann ist klar, dass da einiges drinliegen muss.
Was ich als Kunde will, ist eine gute Qualität zu einem fairen Preis. Wenn der Laden X für ein Hemd, das 120 Franken kostet, mindestens 60 Franken als Handelsmarge einstreicht, dann kann das durchaus fair sein.
Die Feststellung ist politisch nicht korrekt: Ich bin nicht schuld an den miesen Arbeitsverhältnissen in Bangladesh. Ich kaufe meine Hemden nicht dort, sondern bei H&M. Und ich weiss, dass ich für den Lohn, den eine H&M-Verkäuferin verdient, niemals arbeiten würde.
So ist das halt.
Und wenn behauptet wird, ich als Konsument wolle billige Hemden aus Bangladesh, dann ist das ziemlicher Blödsinn. Weil, mir ist es ziemlich egal, wo die Kleider gefertigt werden, die ich trage. Die italienische Markenskijacke, die ich vor ein paar Jahren in London gekauft habe, wurde in Rumänien genäht.
Ich weiss, dass Kleider schneidern schon immer ein ziemlich harter und mies bezahlter Job war und weiterhin sein wird.
Wenn also ein so tragisches Unglück passiert, wie gerade eben in Bangladesh, dann tragen die Leute vor Ort die Verwantwortung, die Kriminellen, die beim Bau geschlampt haben, so wie kürzlich beim Einsturz eines Mehrfamilienhauses in Bombay. Und nicht die Konsumenten in Europa.
PS: Fakt ist, dass die indische und bangladeschi Kleider- und Stoffindustrie ohne die Kreativität europäischer Designer und die akribische Qualitätskontrolle durch die europäischen Auftraggeber auf dem Weltmarkt gar nicht existieren würde.
Jamie Oliver meint
Es gibt ja schon lange fair-trade Labels. erhältlich im Oekoladen oder beim Coop. Sind vielleicht nicht die schickste Läden.
Darum gibst ja für die modischen den erfolg Laden im Spalenberg und NEU den Grünlicht Laden. Man muss ja nicht alles dort kaufen, aber ein wenig guten Willen zeigen hat sicher noch niemandem geschadet. 10 Franken für ein Hemd ist doch pervers.
Jamie Oliver meint
in meinem frühen Lebensabschnitt hab ich jedesmal wenn ich ein Hemd brauchte ein neues gekauft. War ja fast gleich teuer wie das Bügeln-lassen. Am Schluss hatte ich ein Haufen ungebügelter Hemden, die ich alle in der Alterkleidersammlung entsorgt habe.
liberopoulos meint
Die Marge bei Kleider in reinen Kleiderläden ist sicher so um die 300%.
Old (@trashbarg) meint
In der Schweiz möglicherweise schon, wenn ich aber in Österreich einen Kick anschaue, wo ich für ein T-Shirt 3-4€ zahle kann ich mir das schlecht vorstellen. Wobei meine Vorstellungskraft da vielleicht einfach ein wenig zu schwach ist.
Martin meint
Ich wünschte mir, für meine Armlänge gäbe es auch so günstige Hemden …
Nebenbei: Masshemden sind ja inzwischen in und durchaus erschwinglich. Letzteres führt allerdings dazu, dass man vielen Masshemden ihre «erschwingliche» Herkunft ansieht. Aber hey, Hauptsache «Masshemd»!