Selbstverständlich muss ich vorausschicken, dass ich ab Januar 1987 fast zehn Jahre für Sandoz gearbeitet habe. Zunächst ging es darum, die nicht existierende Presseabteilung aufzubauen und dann auch um die Unternehmenskrise, die der Brand ausgelöst hatte, zu überwinden. Schliesslich habe ich noch verschiedene weitere Projekte betreut.
Ich hatte mich wenige Monate zuvor selbständig gemacht und mit der Nordtangenten-Abstimmung vom Dezember meine erste politische Schlacht gewonnen. So gesehen war für mich der Anruf des damaligen Sandoz-Kommunikationsleiters ein Glückstreffer.
Die Nacht auf den 1. November habe ich zuhause, damals in Münchenstein, erlebt. Was heisst erlebt, wir sind irgendwann mal aufgewacht, weil in Muttenz die Sirenen heulten. Wir haben dem aber keine weitere Bedeutung beigemessen.
Vom Brand erfahren habe ich dann beim Aufstehen durch Radio Basilisk.
Da war ziemlich viel Aufregung. Einen eingespielten Krisenstab wie heute gab es damals nicht. Jeder redete einfach mal drauflos. Keiner wusste was Genaues. Die Kakofonie erreichte ihren Höhepunkt, als Basels Erziehungsdirektor so gegen acht Uhr verkündete, wegen des Brandes blieben die Schulen geschlossen, die Basler Kinder hätten schulfrei.
Unsere Älteste ging wie jeden Tag in den Kindergarten. Was für Basel galt, hatte in Münchenstein wenig Bedeutung.
Man muss den Tag und was anschliessend diskutiert und vor allem gefühlt wurde, vor dem Hintergrund einer schon lange schwelenden Abneigung weiter Teile der Basler Bevölkerung gegenüber „der Chemie“ verstehen. Die damals ihrem Höhepunkt zustrebende Diskussion um den heftigst umstrittenen Bau der Nordtangente war die aktuelle Begleitmusik zu dieser Stimmung.
Obwohl Basel so tat, Schweizerhalle war kein Seveso und erst recht kein Bhopal. Nüchtern betrachtet, ist nicht viel passiert. Als ich an diesem Samstag beim Bankverein aus dem Tram stieg, hat es fürchterlich gestunken. Und wie sich im Verlaufe des Sonntags herausstellte, sind im Rhein ein paar Tausend Fische verendet. Die rote Brühe bleibt in Erinnerung.
Das war’s denn auch.
Trotzdem hält sich die Mär, dass „der Unfall als eine der grössten bis dahin stattgefundenen Umweltkatastrophen galt“ (Wikipedia).
Die „Umweltkatastrophe“ fand vor allem in den Köpfen der Leute statt. Und auch nur deshalb derart heftig, weil alle, die es schon immer gewusst hatten, sich nun bestätigt sahen.
Dass Umweltschutzverbände schon am Montag verkündeten, der Rhein sei auf Jahrzehnte hinaus tot, war eine ziemlich dreiste Behauptung. Die aber willig aufgenommen wurde. (Mein ehemaliger Schulkollege, der damals beim Schweizer Fernsehen arbeitete, lieferte den optischen Begeitskandal, in dem er vor laufender Kamera in einem Aquarium eine Forelle verenden liess.)
Dazu noch die Kontrast-Anekdote.
Per Zufall hatte ich von einem Bekannten erfahren, dass der damalige Korrespondent des Schweizer Fernsehens ein begeisterter Hobbytaucher war. Mein Bekannter und der SF-Mitarbeiter tauchten auch im Rhein.
Und siehe da, zu deren Erstaunen hatten sie auf der Höhe des Hotels Drei Könige schon eineinhalb Jahre nach dem Brand die besonders sensiblen Flusskrebse gesichtet. Ich habe dann angeregt, das müsse man doch filmen. Für die Tagesschau. Und habe das Geld besorgt, um den Tauchgang der beiden zu finanzieren, weil das Schweizer Fernsehen das nicht tun wollte. War ja keine wichtige Story mehr.
Tja, und dann hat es auch die schweizerische Öffentlichkeit erfahren, dass der Rhein nicht auf Jahrzehnte hinaus tot war.
Das war eine Aktion, die Freude machte.
Und vielleicht noch ein Wort zu den verendeten Fischen: Fakt ist, dass die Fischer besonders auf der Schweizer Seite nicht unglücklich waren, dass der Rhein mal durchgespült worden war. Denn bis dahin war es so, dass die Elsässer, die Deutschen und die Schweizer nach ihrem jeweiligen Gusto Jungfische in den Rhein aussetzten. So kam es, dass die Aale der Deutschen die Edeljungfische der Schweizer frassen. Dank des Rheinfonds der Sandoz, den ich betreute, sassen die erstmals an einem Tisch. Und einigten sich nach längeren Diskussionen auf ein gemeinsames Ansiedlungsprogramm.
Man wollte in Basel schon lange die Chemie loswerden.
Und in der Tat – es dauerte nur noch zehn Jahre und die Chemieindustrie in Basel war mit der Fusion von der Einverleibung der Ciba in die Sandoz Geschichte. Mit Novartis wurde ein neues Buch aufgeschlagen: Pharma hiess der Titel, der später durch „Life Sciences“ ersetzt wurde. Erneut wurde Wohlstand in die Stadt und Region gespült.
Irgendwie war man 1996 in Basel nicht unglücklich darüber, dass der Name Sandoz aus dem Verkehr gezogen wurde. Es war erstaunlich, wie schnell der Traditionsname aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwand.
Die traditionellen Chemieteile der Firmen wurden ausgegliedert und an die Börse gebracht (ich war in der Arbeitsgruppe, die den Börsengang von Clariant organisierte).
Heute spielt die Chemie in Basel keine Rolle mehr. Huntsman verlegt gerade den kümmerlichen Rest der Ciba nach Asien.
Peter Luft meint
Damals musste man am Samstag noch zur Schule – wie die Zeit vergeht! Meine Anekdote: Als – damals – brav Linker und „Betroffener“ bin ich am Sonntag in die Kaserne gegangen, zu einer Diskussionsveranstaltung zum Anlass, irgendwann am späten Vormittag. Waren wenige Leute dort (merke: die Revolution findet nie am Sonntagmorgen statt), aber die wenigen im Saal haben gequalmt, was das Zeug hält, und sich gleichzeitig empört über die Verschmutzung durch die Chemie. Es war Martin Vosseler auf dem Podium, der auf diesen Widerspruch hingewiesen und die Leute sogar für die nächste Stunde vom Rauchen abgehalten hat. Für mich war das im kleinen eines der ersten Erlebnisse, die mich an der Redlichkeit der „Alternativen“ hat zweifeln lassen.
Peter Gysin meint
Die Basler Schulen waren nicht geschlossen! Habe selber in einer stinkenden Turnhalle unterrichten müssen.