Wenn ich ehrlich bin, dann muss ich eingestehen, dass ich die Bilder von den Tausenden von Flüchtlingen, die auf dem Landweg und übers Mittelmeer nach Europa wollen, nicht einordnen kann.
Mir fehlt ein Koordinatensystem, um die Bilder von Menschen auf Booten, in überfüllten Zügen und in Parkanlagen einordnen und bewerten zu können.
Handelt es sich um ein vorübergehendes Phänomen oder um eine nicht mehr zu stoppende Völkerwanderung?
Ich bin ratlos.
Sullivan Frisch meint
Jedem Dorf seine Kirche, jedem Dorf sein Fussballplatz, jedem Dorf seine Schule, jedem Dorf sein Asylheim.. in ganz Europa. Wir können Millionen aufnehmen.
G. Koller meint
Das „Eingeständnis eines fehlenden Koordinatensystems“, gefolgt von einer in den meisten Fällen vielleicht peinlich empfundenen „Ratlosigkeit“, mag ein wenig vorgeschoben und nicht recht überzeugend wirken, und wird in einem zweiten Schritt gerne mit „dafür bin aber nicht ich verantwortlich“ erträglich gemacht.
Das ist es doch, „wir Normalsterbliche hier“ profitieren noch von den wirtschaftlichen Verhältnissen im Allgemeinen und im Speziellen, aber verantwortlich dafür, nämlich für all die Verlierer, die oft im wahrsten Sinn des Wortes alles verloren und sich auf den Weg gemacht haben, fühlen wir uns nicht, – das ist Sache der silbergrau und dunkel gekleideten Alten-Jungen und Jungen-Alten auf ihren Posten und in ihren Ämtern!
Gut, am Ende des Monats, wenn regelmässig das Gehalt oder die Rente auf unser Konto fliesst und wir uns glücklich fühlen an unseren Fleischtöpfen, vergeht uns ein wenig die Lust auf eine Revolution, verschieben sie lieber auf die nächsten (Ab)Wahlen und schämen uns ein wenig ob dieser politischen Prokrastination.
(These: Ein wesentlicher Schlüssel zur Lösung dieser „Situation“ liegt auch bei den religiösen, politischen und wirtschaftlichen Upperclasses in Saudiarabien und Iran.)
Chienbäse-Bärti meint
Es handelt sich wohl um eine Völkerwanderung, die uns rat- und hilflos aussehen lässt. Nicht nur unsere Rechtsnationalen versuchen damit Wahlkampf machen und Profit daraus zu schlagen.
Marc Schinzel meint
Einfache Lösungen gibt es weiss Gott nicht. Lösungen müssen zuallererst vor Ort ansetzen. Wir haben immer mehr „failed states“. Wenn wir über das Flüchtlingselend jammern und unsere Hilflosigkeit beklagen, zugleich aber täglich hinnehmen, dass der syrische Bürgerkrieg (inzwischen 250’000 Todesopfer) einfach weiter geht, wird sich nichts ändern. Dann machen wir uns unglaubwürdig. In Syrien oder auch in Libyen brauchen wir „protected areas“. Würden Amerikaner und Türken im Falle Syriens endlich an einem Strick ziehen und die Türken sich von ihrer Anti-Kurden-Obesssion lösen, könnte die dortige Lage zumindest stabilisiert werden. In Grenznähe auf syrischer Seite sollte eine militärisch geschützte, international unterstützte Zone festgelegt werden, in der die syrischen Flüchtlinge sichere Zuflucht finden. Diese Leute möchten in ihrem Land bleiben, weil sie dort ihre Beziehungen und Netzwerke, ihre Betriebe, Werkstätten, Kunden, Häuser, Gebetsstätten, Schulen haben. Gerade die Syrer mit ihren vielen Klein- und Kleinstbetrieben waren vor dem Bürgerkrieg gut in der Lage, für sich zu sorgen. Das Kurdengebiet im Norden des Irak beweist übrigens, dass die Einrichtung von „protected areas“ funktionieren kann. Nachdem Saddam Hussein die Kurden von Halabja 1988 mit Giftgasbombardements grausam umbrachte und sich das Massakker nach der alliierten Befreiung Kuwaits 1991 in noch viel grösserem Umfang zu wiederholen drohte, deklarierten die USA, GB, F, Australien, die Niederlande und die Türkei im April 1991 einseitig eine Flugverbotszone in Nordirak und setzten diese konsequent gegen Saddam durch (Operation „Provide Comfort“). Die Kurden konnten so ihre eigenen Strukturen aufbauen. Die autonome kurdische Region Nordirak ist bis heute das einzige Gebiet im Land, das eine funktionsfähige Infrastruktur und Verwaltung aufweist und der lokalen Bevölkerung ein einigermassen sicheres Leben, ein wirtschaftliches Auskommen und eine gewisse Rechtssicherheit bietet. Isoliert kann die Schweiz nichts tun. Wir sollten uns aber politisch und finanziell für „safe havens“ vor Ort einsetzen und mit denjenigen Ländern zusammenarbeiten, die willens und in der Lage sind, solche Lösungen umzusetzen. Es muss Bewegung in die Konflikte in Syrien und Libyen kommen. Sonst wird es keinen Fortschritt geben.
ArlesHeini meint
So ist es, voll Zustimmung. Und DAS wäre mal ein Ansatz: zuzugeben, dass man und frau ratlos ist. Sie, ich, sogar die Frau mit der Raute. Und mit etwas Glück sogar für einmal Herr Merry, wobei wir schon wissen, wo er das Problem verortet (in BL und/oder bei den Katholiken). Und dann diese Ratlosigkeit aushalten eine (begrenzte) Weile und gucken, ob sich nicht neue, ungewohnte „Lösungsoptionen“ eröffnen. Oder sich manche Dinge einfach ergeben. Gilt auch für das Thema Griechenland.