Der längste Eisenbahntunnel der Welt ist letzte Woche eröffnet worden. Vor sechs Jahren haben Martin Heller und ich zusammen mit fünfzehn Architektenteams aus der Schweiz, Holland, Österreich Deutschland und Frankreich uns Gedanken gemacht, wie man in Sedrun, dort wo einst das Projekt „Porta Alpina“ geplant war, eine Touristenattraktion gestalten können.
Wir waren der Meinung, dass man nicht nur mit 250 Kilometern in der Stunde durch diesen Tunnel brausen sollte, sondern in der Mitte des Tunnels, in Sedrun, mit einer Ausstellung, einer bleibenden Intervention, einem visuellen Spektakel, einer medimensionalen Show unmittelbar neben dem Tunnel und mit Sicht auf den Tunnel und im Internet, also tief unten im Berg und weltweit, Gästen aus dem In- und Ausland ein Wow-Erlebnis bieten sollten.
Ja, wir wollten, dass die Schweiz mit dieser technischen Leistung ruhig mal angibt, obwohl es nicht in der Natur der Einheimischen liegt, solches zu tun. Wir wollten zeigen, dass die Schweiz mehr ist als Kühe und Schokolade.
Die Architenteams waren völlig frei in ihren Vorschlägen. Wir wollten ausdrücklich auch ausgefallene Ideen eingereicht bekommen.
Am Schluss konnten wir zehn Projekte präsentieren, von denen einige tatsächlich hätten umgesetzt werden können.
Finanziert war die aufwändige und mehrere Monate dauernde Projektstudien vom Kanton Graubünden, der Gemeinde Sedrun und vor allem durch ein paar international operierende Schweizer Unternehmen.
Zusagen für die Finanzierung für eines der Projekte lagen auch vor, wir rechneten mit Kosten von rund 50 bis 60 Millionen Franken. Ich hatte fünf Jahre an der Idee gearbeitet und versucht Leute zu begeistern.
Aber wie das halt so ist in diesem Land.
Weil unklar war, wem nun eigentlich die einst für die Bahnstation vorgesehenen Räume gehören und überhaupt ein solches Projekt nur den vorgegebenen, durch Ingenieure, Techniker und Pfennigfuchser bestimmten Lauf der Dinge stört, verlief die Sache irgendwann im Sand.
Was ja auch sein Gutes hatte.
Denn wäre dem nicht so gewesen, hätte ich nicht all die Reisen der letzten Jahre machen können. Wäre auch irgendwie blöd gewesen.
Jetzt herrscht in den nutzlos gewordenen unterirdischen Gewölben eine saubere Ordnung. Und die ist schliesslich auch typisch schweizerisch.
Vorwort
Die Schweiz leidet an einem grundsätzlichen Problem: Es gibt kein „Spiel“-Geld, das heisst, es gibt keine Mittel für Projekte, die beispielsweise einfach fürs Prestige des Landes verwirklicht werden. Eine Ausnahme bildet jeweils die Expo, wobei auch dort gilt, dass man bei Beginn des Entscheidungsprozesses aus Systemgründen mit jeweils unrealistisch tiefen Kosten rechnet.
Deshalb muss das Land sich fortdauernd in Probleme reden. Denn nur wo ein Problem beklagt wird, können auch Mittel beschafft werden, um das Problem zu lösen. Wichtig ist dabei, dass die Problemlösungsmittel gerecht übers Land verteilt werden, dass keine „Leuchttürme“ entstehen, die den Rest überstrahlen könnten.
Bei der Lösung von Problemen und auch bei deren Finanzierung ist die Schweiz einsame Spitze. Was die ausländischen Teams nebst der Ingenieurs- und Bauleistung an der Alpentransversale am meisten ins Staunen brachte, war die Tatsache, dass der NEAT-Gotthardtunnel am Tag seiner Eröffnung auf Franken und Rappen bezahlt ist. Das gibt es nur in der Schweiz.
Die Argumentationslinie, die wir für die Porta Alpina gezeichnet haben, gilt deshalb auch für das Projekt „Galleria Alpina“, wobei wir gleich eingangs festhalten wollen, dass es sich hier nicht um einen Bahnhof ohne Halt handelt, sondern um die zweite, genauso realistische Idee. Sie lässt jedoch – anders, als wenn man die unterirdischen Anlagen nur noch für technische Einrichtungen der SBB nutzt (dritte Variante) – die Möglichkeit offen, dereinst doch noch auf die Bahnhofsidee zurückgreifen zu können.
Mit der Galleria Alpina wollen wir eine völlig andere Idee über die künftige Nutzung der Räume in der Ausweichstelle in Sedrun zur Diskussion stellen. Ausgangspunkt dieser Ideen ist ein spektakuläres Bauwerk, nämlich der längste Eisenbahntunnel der Welt sowie die längste Liftanlage der Welt, welche die Besucher aufs Niveau der Alpentransversale bringt.
Die vorhandenen Räume sollen genutzt werden, durchaus zur Unterhaltung. Die Besucherinnen und Besucher sollen den Eindruck vermittelt bekommen, hier in Sedrun etwas Einmaliges erlebt zu haben, eine Empfindung, die den Bogen zur Einmaligkeit der Alpentransversale schlägt.
Zugleich soll diese Nutzung, dieses Bild, das wir vermitteln wollen, eine starke Ausstrahlung in die Schweiz, in die Welt ausüben. Dabei denken wir auch daran, bewusst einen Kontrapunkt zur Vision von Andermatt zu setzen. Beim Projekt „Andermatt Swiss Alps“ handelt es sich um die Fantasie von Investoren und Projektentwicklern.
Ohne dies zu werten, handelt es sich um Bilder und Ideen, wie sich ein künftiges Publikum einen Ferienort in der Schweiz vorstellt. Wir wissen, dass diese Vorstellungen mit der Realität in diesem Land herzlich wenig zu tun hat.
Die Schweiz ist nun mal mehr als Schokolade, Kuhglocken und Bergidyll. Die Galleria Alpina soll deshalb keine gängigen Bilder und Vorstellungen von der Schweiz bedienen, sondern sie soll für diese andere Schweiz, die Schweiz der hochwertigen Technik, der international anerkannten Kreativität, für die Schweiz der Pioniere und ja, auch für die Schweiz der Überraschungen stehen. .
Wir wollen einem internationalen Publikum zeigen, wie sich die moderne Schweiz die Bergwelt auch noch anders denken kann.
Aus: Manfred Messmer / Martin Heller, Bericht zu den Projektideen
Idee: Der vorhandene Liftschacht wird zum Klangkörper; der durch die durchfahrenden Züge erzeugte Luftdruck lässt Töne erklingen.
Idee: Ein Leuchtband, das den Verlauf des Tunnels markiert, leuchtet auf, wenn ein Zug tief unten im Berg durchfährt.
Wen’s interessiert, das Booklet zu den Projekten: Hintergrund aktuell
Bericht im Tages Anzeiger
Meury Christoph meint
Grossartige und geniale Ideen dürften es in diesem Land zur Zeit schwer haben. Der Gotthard-Tunnel war nur möglich, weil er einen klaren und greifbaren Zweck erfüllt. Ansonst sonnt sich die Schweiz lieber in rückwärtsgewandten Grossereignissen. Das Eidgenössische Schwing- und Älplerfest 2016 in Estavayer-le-Lac ist beispielsweise ein solch ultimatives Mainstream-Grossereignis. Popkonzertmässig waren die Tickets innerhalb von 2 Stunden ausverkauft. Mindestens 300’000 BesucherInnen werden sich das Retro-Spektakel reinziehen. Oder das Eidgenössische Turnerfest, oder die OLMA in St. Gallen (als guteidgenössische Leistungsshow). Da braucht es zukünftig weder eine EXPO, noch sonstige innovative Extravaganzen. Wir genügen uns selber und müssen uns nicht mit Projekten à la „Porta Alpina“ extra anstrengen oder exklusiv präsentieren. Daher gilt vermutlich: Gutes Projekt, aber zum falschen Zeitpunkt. Nicht Mehrheitsfähig. Und nicht auf dem Miststock der Meinungsmacher geboren.