Gestern hat mich in der Causa Kessler eine E-Mail vom Regionalleiter der TagesWoche – die haben einen Regionalleiter! – erreicht.
Ihre Tweets und Blog-Einträge deuten darauf hin, dass Sie ein Problem mit unserer Berichterstattung über den Abgang von Herrn Kessler.
Unter anderem beleidigen Sie eine meiner geschätzten und erfahrenen Mitarbeiterinnen und dichten ihr «mangelnde Lebenserfahrung» an. Wie Sie vielleicht gesehen haben, ist der Artikel auch von zwei geschätzten Mitarbeitern gezeichnet. Zusammengezählt sind die Autoren und Rechercheure sogar noch älter als Sie – die Gesamt-Erfahrung kumuliert sich ins Unermessliche.
Selbstverständlich ging diese Teamleistung auch über mein Pult. Sie schreiben, Sie seien journalistisch erfahren, und Sie schreiben neuerdings, unsere Meldung sei «falsch». Ich schreibe: Die Geschichte ist aus journalistischer Sicht wasserdicht (mehrere, direkte, voneinander unabhängige Quellen).
Ihr Ton ist indiskutabel. Ihre wiederholten Unterstellungen haltlos. Die Frage ist nur: Wie kommen Sie darauf? Sind Sie persönlich oder beruflich in die Sache involviert?
Kurz – sie sind beleidigt.
Die letzte Feststellung ist der Running Gag, mit dem zu Leben mir Vergnügen bereitet: Kessler engagiert einen PR-Berater. Toll.
Ich habe selbstverständlich sofort eine Antwort geschrieben:
Selbstverständlich ist es so, dass Morin Kessler entlassen hat. Geht arbeitsrechtlich gar nicht anders. Sonst hätte er Kessler keine Abfindung und keinen schnellen Abgang gewähren können. Das ist so üblich und auf der Arbeitnehmerseite gilt halt auch: Ich lasse mir kündigen, wenn ich gehen will und ich mich in die stärkere Position bringen möchte. Um ein Maximum rauszuholen. Staatsangestellte wird man bekanntlich nicht so einfach los, wie Kulturredaktorinnen bei Ihrem Unternehmen 🙂
Das so einzuschätzen, ist eine Frage der beruflichen (Lebens)Erfahrung. Kurz: Man muss die Aussagen „von mehreren unabhängigen Quellen“ verstehen, übersetzen und einordnen können, Aussagen sind immer nur Material.
Die eigentliche Geschichte ist die, wie Morin seine Nachfolgerin mit dieser „Entlassung“ vorführt, wie er den Regierungsrat umtrippelt und wie er einem Spitzenbeamten zu einem feudalen Abgang verhilft. Ich meine, eine solche Entscheidung trifft man nicht ein paar Tage vor Torschluss. Ohne mit seiner Nachfolgerin zu reden, oder dass diese die Möglichkeit gehabt hätte, mit ihren zukünftigen Chefbeamten Gespräche zu führen.
Herr Morin hat seiner Nachfolgerin insofern auch ein Ei gelegt als es diese Stelle so künftig nicht mehr geben wird. Wessels wird den Teil „Stadtentwicklung“ übernehmen.
Nun stellt sich also die Frage: Warum tut das Morin? Wo liegt sein Nutzen?
Die kurze Antwort des Regionalleiters:
Ja, das ist den Beteiligten hier ebenfalls klar.
Wenn sich der Nutzen je erschliessen sollte, werde ich den der Öffentlichkeit nicht verschweigen. Das ist ja klar.
Muss er nicht mehr machen, weil die Öffentlichkeit heute in der bz und in der BaZ kluge Einschätzungen der Sachlage von zwei Journalisten mit Lebenserfahrung zur Kenntnis nehmen kann:
Harzige Übergabe: Guy Morin hält Nachfolgerin Ackermann draussen
Angesichts der neuen Erkenntnisse stellt sich eher die Frage, ob der Regierungspräsident seiner Nachfolgerin nicht vielmehr ein Ei gelegt hat.
Diese startet nun am 8. Februar ohne einen ihrer wichtigsten Mitarbeiter. Eine der Hauptabteilungen ihres Departements steht ohne Führung da, und dies wohl noch für einige Zeit. Denn Ackermann will nun die Situation analysieren, das Jobprofil anpassen und erst anschliessend die Stelle ausschreiben.
(Beim letzten Satz habe ich spontan gedacht: Jetzt haben auch die Basler ihre Monica Gschwind.)
Und dann noch Herr Bahnerth in der BaZ (nicht online):
Und vor drei Tagen wirft der noch für ein paar Tage amtierende Stadtpräsident Guy Morin den Stadtentwickler und Chefbeamten Thomas Kessler fast fristlos aus dem Amt. Kessler sei, so flüsterte Morin erfolgreich diversen ihm genehmen Schreibern von der alternativen Presse, fachlich dem Amt nicht gewachsen. Welch ein Blödsinn, welch eine Posse.
….Es ist auch klar, dass Kessler gepokert hat. Wie man immer wieder hörte, hätte Kessler ohnehin im September seinen Posten verlassen wollen, um zu neuen Ufern aufzubrechen. Offenbar drohte nun Morin Kessler schon seit Monaten mit dem Rauswurf, kuschelte sich dann aber nach diesen Trennungsschüben immer wieder bei ihm an, bis er es offenbar nicht mehr aushielt, dass er, der König, tatsächlich abtreten muss, während sein Chefbeamter, theoretisch zumindest, ihn überdauern wird.
So schreiben Erwachsene.
Damit beenden wir die Kessler-Woche, die wir mit unserer Kolumne am Mittwoch völlig unerwartet eingeläutet haben.
Das war auch sonst eine intensive Woche mit interessanten Diskussionen mit klugen Köpfen.
Am Montag fliegen wir wieder zurück. In London soll es auch schneien.
Nachtrag, Schweiz am Sonntag:
So sorgte sein unmittelbares Umfeld denn auch dafür, dass via «Tageswoche» rasch die «richtige» Erzählung kolportiert wurde: Kessler habe seine Abteilung nicht im Griff gehabt; ein Fehler sei es allenfalls gewesen, sich nicht früher von ihm zu trennen. Doch vor allem ermögliche die Trennung einen unbelasteten Neustart für Parteikollegin Elisabeth Ackermann. Morin inszenierte sich als verantwortungsvoller Staatsmann, der vor seinem Abtritt aufräumt.
Damit können wir die TagesWoche abhaken. Und Morin gleich damit.
redbüll meint
sorry – off topic: was sagen Sie, werter MM, zum Sesselkleber-Gesetz, das im Landrat verabschiedet werden soll?
Sissachr meint
Auja. Beleidigte Leberwürste, dünnhäutig und schmollend. Das kenn ich auch von Journis, die zwar wacker auf Politiker eindreschen, wenn man sich dann aber mal bei ihren Vorgesetzten bezüglich journalistischer Gepflogenheiten beschwert, mötzeln und trötzeln sie wie pubertierende Teenager. Sauglatt!
Roland Stark meint
Die Gesamterfahrung der TagesWoche-Redaktion steigt wohl auch deshalb ins Unermessliche, weil im Impressum neben einigen Journalisten auch noch ein „Digitalstratege“ und ein „Creative Director“ aufgeführt sind. In diese luftigen Höhen können natürlich wenige mit aufsteigen. Dafür ist dort allerdings die Luft auch dünner.
Eirin meint
In vielen Medien ist mir aufgefallen dass das Wort INVESTIGATIV oft vor dem Namen des schreibenden Journalisten gedruckt war. INVESTIGATIV – was bedeutet das ? Es bedeutet dass dieser Report sehr gut recherchiert wurde.
Ich war entsetzt als ich dieses Wort zufällig hörte in einer „0815 Fernsehsendung“ die nur „Seichtes“ verbreitet.
Für mich war das der Beweis dass „die“ nur abschreiben was der Newsticker liefert – begriffen haben die gar nichts.
Leider ist es in den Basler Medien oft auch so.
Wünsche gute Rückreise nach London.
U. Haller meint
Selten so gelacht: »die Gesamt-Erfahrung kumuliert sich ins Unermessliche«. Dazu kann man nur sagen: Wenn die Qualität der TagesWoche tatsächlich so gut wäre wie die Überheblichkeit ihres Regionalleiters, dann bräuchte ich keine anderen Medien mehr zu konsultieren. Papier ist bekanntlich geduldig. Mails auch….